Erstmals fahren batterieelektrische Züge von Siemens auf einer der anspruchsvollsten Regionalstrecken Deutschlands. Das Pilotprojekt zeigt, was Batterie-Hybridzüge im Alltag leisten.
Batterie-Hybridzug statt Dieseltriebwagen: Im Westerwald beginnt auf einer der topografisch anspruchsvollsten Bahnstrecken Deutschlands eine neue Ära. Früher als geplant setzt die Hessische Landesbahn auf der Westerwald-Sieg-Bahn batterieelektrische Fahrzeuge vom Typ Mireo Plus B ein. Damit startet ein bundesweit beachtetes Pilotprojekt, das zeigen soll, wie alltagstauglich, effizient und skalierbar der Einsatz von Batterie-Hybridzügen auf langen, steigungsreichen und nur abschnittsweise elektrifizierten Regionalstrecken wirklich ist.
Warum Siemens vom „Batterie-Hybridzug“ spricht
Der Mireo Plus B ist kein reiner Akku-Zug, sondern ein sogenannter Batterie-Hybridzug: Er nutzt sowohl Strom aus der Oberleitung als auch Energie aus leistungsstarken Lithium-Ionen-Batterien. Während der Fahrt auf elektrifizierten Streckenabschnitten – zum Beispiel zwischen Siegen und Au (Sieg) – werden die Batterien automatisch geladen.
Auf den nicht elektrifizierten Abschnitten, etwa zwischen Au und Limburg, fährt der Zug rein batterieelektrisch und damit lokal emissionsfrei. Dank dieser Flexibilität kann auf eine durchgehende Elektrifizierung vieler Strecken verzichtet werden – eine zentrale Voraussetzung, um Dieseltriebwagen schnell und wirtschaftlich abzulösen.
Der Mireo Plus B bietet mit bis zu 120 Kilometern Batterie-Reichweite und 1,7 MW Antriebsleistung genügend Reserven, um auch lange und steile Abschnitte zuverlässig zu bewältigen. Die Ladezeit an der Oberleitung beträgt rund 20 Minuten – entscheidend für einen störungsfreien Regionalbetrieb mit engen Taktzeiten.
Die Oberwesterwaldbahn: Deutschlands anspruchsvollste Strecke für Batteriezüge
Die eingesetzten Fahrzeuge bedienen die Linie RB 90 auf der rund 75 Kilometer langen Oberwesterwaldbahn zwischen Limburg und Siegen. Die Strecke gilt als eine der härtesten Teststrecken für Batteriezüge bundesweit: Sie weist auf dieser Distanz mehr als 350 Höhenmeter auf, steile Rampen und enge Kurven fordern Technik und Energiemanagement der Züge heraus.
Während der Überführungsfahrt im April 2025 bewältigte der Mireo Plus B die komplette Distanz im Batteriemodus. Für die Hersteller ist diese Strecke ein Referenzprojekt – sie steht beispielhaft für viele Ausschreibungen, in denen Batteriezüge klassische Dieseltriebwagen ersetzen sollen.
Marktpotenzial und Bedeutung für die Verkehrswende
Laut Marktanalyse der NOW GmbH sind rund 40 Prozent des deutschen Schienennetzes – das entspricht über 16.000 Kilometern – weiterhin nicht elektrifiziert. Auf diesen Strecken dominieren nach wie vor Dieseltriebwagen, die jährlich mehrere Millionen Liter Kraftstoff verbrauchen und maßgeblich zu den CO₂-Emissionen des deutschen Schienenverkehrs beitragen.
Bis 2030 könnten laut NOW-Studie bis zu 2.500 Regional- und Nahverkehrszüge in Deutschland ersetzt oder modernisiert werden, davon ein erheblicher Anteil durch batterieelektrische Fahrzeuge (BEMU). Besonders gefragt sind sie dort, wo ein vollständiger Ausbau der Oberleitung zu teuer oder technisch kaum machbar ist – also auf ländlichen, oft topografisch schwierigen Strecken wie im Westerwald.
Die Gründe: Batteriezüge sind im Betrieb und in der Wartung meist günstiger als Dieseltriebwagen und weisen – im Vergleich zu wasserstoffbetriebenen Zügen – höhere Energieeffizienz und geringere Gesamtkosten auf, wenn Streckenabschnitte bereits elektrifiziert sind. Die Reichweiten von modernen Akku-Zügen (typisch 80–120 Kilometer) passen auf einen Großteil der nicht-elektrifizierten Relationen. Investitionen konzentrieren sich dabei auf punktuelle Nachlade-Infrastruktur und nicht auf durchgehende Elektrifizierung, was die Umsetzung beschleunigt.
Batterie-Hybridzüge gelten heute als Schlüsseltechnologie, um das Ziel eines weitgehend emissionsfreien Schienenverkehrs bis 2035 zu erreichen – nicht nur auf Hauptachsen, sondern vor allem in der Fläche. Das Pilotprojekt im Westerwald zeigt dabei beispielhaft, dass selbst unter anspruchsvollen Bedingungen der batterieelektrische Regionalverkehr machbar und wirtschaftlich attraktiv ist.
Siemens Mobility und politische Förderung als Innovationstreiber
Die drei Mireo Plus B für den Westerwald wurden im Februar 2023 bestellt und bereits im April 2025 ausgeliefert – deutlich früher als geplant. Möglich wurde dies auch durch gezielte Förderung: Das Pilotprojekt wird im Rahmen der „Richtlinie zur Förderung alternativer Antriebe im Schienenverkehr“ mit 3,54 Millionen Euro vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr unterstützt. Siemens positioniert sich mit seiner Hybridplattform sowohl für Batterie- als auch Wasserstoffbetrieb strategisch im Zukunftsmarkt klimaneutraler Regionalzüge.
Reale Alltagstauglichkeit unter Extrembedingungen
Das Westerwald-Projekt zeigt: Batterie-Hybridzüge können auf anspruchsvollen Strecken eine skalierbare, kosteneffiziente und umweltfreundliche Alternative zum Diesel bieten. Gerade für viele ländliche Regionen mit schwieriger Topografie liefert der Praxistest wichtige Erkenntnisse für zukünftige Ausschreibungen – und ist ein Schritt Richtung klimaneutralem Bahnverkehr abseits der Ballungszentren.
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Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.