Kohleausstieg: Gesetz bietet Chance für schnelleren Ausstieg

Die Verträge mit den Kraftwerksbetreibern für Entschädigungen zum Kohleausstiegsesetz sind womöglich wettbewerbswidrig

Bundestag und Bundesrat haben am 3. Juli 2020 eine historische Entscheidung gefasst: Deutschland hat den Kohleausstieg beschlossen. Bis spätestens 2038 sieht das Kohleausstiegsgesetz die Abkehr vom fossilen Rohstoff Kohle vor. Doch der Abschied von der Verbrennung von Steinkohle und Braunkohle in den drei Revieren im Rheinland, in Mitteldeutschland und der Lausitz wird teuer: Betreiber von Kohlekraftwerken erhalten mehr als vier Milliarden Euro Entschädigung.

Das Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleausstiegsgesetz) regelt zwar den deutschen Ausstiegspfad aus der Verstromung von Kohle, die oft aus Australien oder Russland kommt, Das Kohleausstiegsgesetz regelt aber nicht die Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber.

Hierzu wurden gesonderte Verträge mit RWE und LEAG geschlossen, die bislang nicht öffentlich sind. Mit diesen vertraglichen Regelungen verfolgt die Bundesregierung vor allem ein Ziel: Sie möchte den Kohleausstieg wirklich zementieren und rechtliche Streitigkeiten mit den Betreibern vermeiden. Das scheint immerhin geglückt zu sein, die Betreiber haben jedenfalls keine Klagen angekündigt. Auf Basis des Vertrags über die Energiecharta wären entsprechend Schiedsverfahren möglich.

Bundestagsabgeordnete der Grünen hingegen halten die Entschädigungszahlungen für wettbewerbswidrig und gehen davon aus, dass die EU-Kommission genau deshalb ein Verfahren gegen Deutschland einleiten werden. „Wir erwarten, dass Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager jetzt schnellstmöglich mit der Prüfung beginnt“, sagt Jutta Paulus im ZEIT-Interview.

Wieso sind die Entschädigungen wettbewerbswidrig?

Der Grund für das wahrscheinliche Verfahren ist, dass die Entschädigungszahlen aus den nicht-öffentlichen Verträgen vor allem für die Renaturierung der Tagebaue gedacht sind. Aber hierfür müssen die Unternehmen selbst Rückstellungen bilden und die Kosten auf den Strompreis aufschlagen. Fraglich ist, ob längere Laufzeiten Rückstellungen in dieser Höhe erzeugt hätten.

Wenn man den Betreibern das Bilden von Rückstelölungen abnehmen würde, fördere man letztlich nur die Stromerzeugung aus der Kohle finanziell. „So hält man sie künstlich am Leben, obwohl Kohlestrom schon heute rein preislich nicht mehr mit Strom aus Erneuerbaren Energien konkurrieren kann“, beschreibt Paulus. „Das ist wettbewerbsrechtlich nicht zulässig.“

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Ein entsprechendes EU-Verfahren kann bis zu vier Jahre dauern – und dann zur Folge haben, dass eine dann aktive Bundesregierungen die Entschädigungs-Verträge neu aushandeln muss.

Wann erfolgt Deutschlands Kohleausstieg?

Laut Kohleausstiegsgesetz hat Deutschland nun den Kohleausstieg bis spätestens 2038 beschlossen. Das ist verdammt spät für die Erreichung der Pariser Klimaziele, zumal erst MItte der 30er Jahre viele Meiler abgeschaltet werden sollen. Immerhin: Ohne zusätzliche Entschädigungen kann der Ausstieg aus der Kohle drei Jahre früher geschehen – also 2035.

Die EU-Kommission erwartet, dass Deutschland einen deutlich schnelleren Kohleausstieg durchführen wird. „2038 ist das Datum, aber ich glaube, wir können einen beschleunigten Wandel sehen“, sagte Frans Timmermans, Vize-Präsident der EU Kommission, im Handelsblatt. Klar sei, dass dramatisch sinkende Kosten für erneuerbare Energie wie Sonne oder Wind die Stromgewinnung aus Kohle so schnell aus dem Markt treiben würden, wie noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar gewesen wäre. Der disruptive Wandel entfaltet seine Wirkung.

Nach Ansicht von Timmermans geht der Ausstieg aus der Kohle in ganz Europa dadurch voran. Selbst Polen entwickle sich zu einem der größten Produzenten von Offshore-Windparks, viele Haushalte investierten dort in Solarpanels, weil sie besonders von Luftverschmutzung belastet seien. Wegen der niedrigen Preise für alternative regenerative Energien sei der Ausstieg auch für Polen, Tschechien, Bulgarien oder Rumänien günstig.

Eine Studie von BloombergNEF hat herausgefunden, dass es für diese vier Länder bis 2030 möglich wäre, die Emissionen aus der Stromerzeugung um 48 Prozent unter das Niveau von 2018 zu senken. Die Kosten für die Investition in Erneuerbare Energien beliefen sich auf 53,7 Milliarden Euro – eine vergleichsweise geringe Summe für die CO2-Reduzierung, die erreicht werden kann. Zumal die Betreiber solcher Anlagen zwar investieren müssen, aber auch Renditen erhalten. Es muss letztlich nur politisch und gesellschaftlich gewollt werden.

Sanfter Kohleausstieg in Spanien – ohne Proteste

Unterdessen managt Spanien den eigenen Ausstieg aus der Kohleverstromung besonders intelligent. In einem Rutsch hat das sonnenverwöhnte Land sieben von 15 Kohlekraftwerken vom Markt genommen, vier weitere sollen folgen. Experten gehen davon aus, dass die Kohleverstromung bis 2025 beendet sein könnte. Dieser Wandel passiert schnell und so geräuschlos wie in kaum einem anderen Land.

Der Grund dafür sind auch hier die ökonomischen Gesetze: Brüssel lässt es nicht mehr zu, die Kraftwerke nur mit staatlichen Subventionen rentabel laufen zu lassen. Iberdrola, Endesa, Naturgy und Co. gehen raus aus einer unwirtschaftlichen Technologie. Geräuschlos verläuft der Ausstieg in Spanien aber auch deshalb, weil das Land ohnehin keine Kohleförderung mehr hat.

Kohleausstieg auch in Deutschland beschleunigen, aber wie?

Das Kohleausstiegsgesetz enthält einen ganz wichtigen Aspekt: Es macht möglich, dass Deutschland früher als 2038 oder 2035 aus der Kohle aussteigt, wenn die Kraftwerke durch steigende Kosten für CO2-Zertifikate zeitnah oder innerhalb weniger Jahre nicht mehr rentabel betrieben werden können. Daher kann die Konsequenz für diejenigen, die die Ausstiegsdaten zu spät finden, nur sein: Alles dafür tun, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien den Wandel zementiert.

Mit der überflüssigen und falschen Inbetriebnahme von Datteln 4 gibt es ein Kraftwerk, das mit hoher Wahrscheinlichkeit bis 2035 laufen wird – weil Betreiber Uniper die Milliardenkosten des problembehafteten Meilers wieder hereinholen möchte. Aber viele andere Kraftwerke sind längst abgeschrieben – hier ist es mehr eine Frage der Alternative, wann abgeschaltet wird.

Daher ist entscheidend, gerade im Revier in Mitteldeutschland und in der Lausitz durch die 40 Milliarden Strukturförderung und Anpassungsgelder an die Beschäftigten für alternative Arbeitsplätze und weiterhin sichere Energieversorgung zu sorgen. Gelingt das, wird auch hier eine schnellere Abkehr möglich – denn zusätzlich wird der Druck steigen, der Klimakrise mehr CO2-Reduktion entgegen zu stellen.

Kohleausstieg: Nachahmer in der Welt gesucht

Es gibt noch Länder in der Welt, die auf klimaschädliche Braun- und Steinkohleverstromung setzen. Japan beispielsweise bekommt vier Fünftel seiner Stromerzeugung derzeit aus fossilen Quellen. Nach starkem Druck hat sich das Industrieland – einziges G7-Land, das noch neue Kohlekraftwerke baut – entschieden, bis 2030 mehr als 100 alte Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen. Diese sind unrentabel und ineffizient. Neue Meiler werden trotzdem gebaut.

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Für die Welt ist umso wichtiger, Staaten wie Japan, China oder Indien zu beweisen, dass Energieversorgung auch in starken Wachstumszeiten ohne Kohle machbar ist. Die Botschaften, die aus den Entscheidungen Spaniens oder Deutschlands gesendet werden müssen ist, dass eben genau das möglich ist, und dass Europa die Technologien entwickelt, die dafür notwendig sind.

Letztlich muss es nun darum gehen, die Chance des Kohleausstiegsgesetzes aus deutscher Sicht zu nutzen. Die Renaissance der Solarmodul-Produktion in Deutshland durch Meyer Burger ist ein wichtiges Signal. Viele weitere Signale werden nach der Abschaffung des 52-Gigawatt-Deckels folgen. Bundesländer wie Berlin oder Baden-Württemberg gehen mit Solarpflichten voran. Öffentliche Gebäude werden nun endlich eingeschlossen.

Es gibt viele Baustellen, wie etwa den Abbau bürokratischer Hürden zur Ermöglichung von Mieterstrom-Modellen oder zur Vereinfachung der Solarstromnutzung für Gewerbebetriebe. Das beschlossene Gesetz bietet die Chance für den schnelleren Ausstieg durch den Ausbau Erneuerbarer Energien – packen wir durch konsequentes und aktives Handeln zu!

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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