Analyse des NZZ-Kommentars von Johannes Bockenheimer in der NZZ zur Habecks transformativer Angebotspolitik.
Hat Johannes Bockenheimer von der NZZ Recht? Führt Habecks Wirtschaftspolitik unweigerlich „in den Kollaps“? Unter Ökonomen gibt es seit jeher den Streit zwischen solchen, die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik bevorzugen und denjenigen, die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik als entscheidend ansehen. Dabei sollte immer betrachtet werden, in welcher Phase sich eine Volkswirtschaft gerade befindet. Martin Jendrischik analysiert den Kommentar von NZZ-Autor Johannes C. Bockenheimer detailliert.
Deutschland befindet sich in einer Phase jahrelanger Stagnation mit schwachem „Potenzialwachstum“. Und Deutschland sieht sich vielfältigen Krisen (Kriege, Energiekrise, Lieferkettenprobleme) ausgesetzt.
Hinzu kommt, dass sich fundamentale Veränderungen durch disruptive Märkte ergeben: Etwa im Energiesektor und in der Automobilbranche. Dort verschieben sich Marktanteile radikal. Es sind geopolitische Verschiebungen zu beobachten – nicht nur, aber auch, weil China vom Zulieferer zum dominierenden Produzenten geworden ist.
Außerdem muss eine vernünftige Politik in einem Haus, das Wirtschaft und Klimaschutz gemeinschaftlich denkt, Klimaneutralität in den Mittelpunkt gerückt werden. Das Haus von Robert Habeck hat das „transformative Angebotspolitik“ genannt. Mehr dazu gibt es hier.
Aus meiner Sicht als Ökonom sind in den Überlegungen Habecks ganz viele richtige Punkte enthalten, die derzeit allerdings durch Haushaltsengpässe nicht mehr ganz konsequent umgesetzt werden können. Habeck sieht sich derzeit vielfältiger Kritik ausgesetzt.
Es wird behauptet, er wolle die Kontrolle über einzelne Märkte übernehmen, schleudere Subventionen heraus und betreibe zu viel Mikromanagement. Die NZZ fährt in Person von Johannes Bockenheimer noch schwerere Geschütze auf, und behauptet, Habeck führte Deutschland mit seiner Wirtschaftspolitik unweigerlich „in den Kollaps“. Stimmt das? Welche Argumente werden angeführt?
Werfen wir einen Blick darauf.
Habeck wird vorgeworfen, VW habe 6,4 Milliarden Subventionen seit 2016 erhalten, sich redlich bemüht den politischen Wunsch zur Elektrifizierung zu erfüllen, aber die dubiose Wirtschaftspolitik Habecks sei Schuld, dass es nicht geklappt habe. Weil der größte Anteilseigner von VW das Land Niedersachsen sei. Deshalb könne man die Lage bei VW keineswegs Management und Ingenieuren in die Schuhe schieben.
Die Argumentation ist witzig bis anmaßend. Einerseits soll sich der Staat heraushalten und nur Rahmenbedingungen setzen. Das hat er mit dem Thema Elektrifizierung und dem Thema Klimaneutralität getan. Andererseits soll der Staat dann auch Schuld sein, wenn es Management und Ingenieuren offensichtlich nicht gelingt, mit Herstellern in anderen Ländern Schritt zu halten? Was kann das BMWK dafür, dass VW seine Strategie immer wieder geändert hat und seit Jahrzehnten beim Thema Digitalisierung versagt? Von 6,4 Milliarden „Subventionen“ auf überbordende Eingriffe des Staates und daraus folgendem Versagen des Unternehmens zu schließen, ist wahrlich abenteuerlich. Die Subventionen waren übrigens „umfangreiche Steuervergünstigungen und Förderungen für Forschung im Bereich der Antriebs- und Digitaltechnik.“
Denn der Grünen-Politiker versteht sich primär nicht «nur» als Minister – als Leiter einer Verwaltung also, die den bestmöglichen Rahmen für Unternehmen und Betriebe schafft. Nein, sein Anspruch ist es, die Wirtschaft zu lenken, zu steuern und zu führen. Zwar erlebt interventionistische Wirtschaftspolitik weltweit gerade eine Renaissance. Selbst die Vereinigten Staaten, einst eine Bastion des freien Marktes, greifen nunmehr zu milliardenschweren Subventionen. Doch kaum jemand betreibt diesen neuen Interventionismus mit solchem Eifer wie Deutschlands Wirtschaftsminister. Wo andere Pragmatismus walten lassen, sieht Habeck offenbar seine Mission: den Staat zum Dirigenten der Wirtschaft zu machen.
Die Beschreibung ist aus meiner Sicht falsch. Das gibt die Beschreibung der „transformativen Angebotspolitik“ nicht ansatzweise her. Es ist schlicht eine Behauptung.
Der Autor kritisiert das üppige Subventionsbudget der Bundesregierung von 67 Milliarden Euro. 86 Prozent dieser Subventionen stehen im Kontext Klimaneutralität.
Was hier als „Subvention“ abwertend betitelt wird, sind überwiegend „Finanzhilfen“ (48,7 Milliarden) und Steuervergünstigungen (18,4 Milliarden). Diese „Subventionen“ kommen dabei beispielsweise denen zugute, die Immobilien bauen oder in Energieeffizienz investieren. Zu betonen ist, dass dieses Budget in der Regel nicht ausgeschöpft wird. (Quelle Handelsblatt)
Der Autor kommt also von direkten Subventionen an Unternehmen, etwa zur Forschungsförderung, zum gesamten Subventionstopf und suggeriert, diese Ausgaben würden einzelnen Unternehmen zugute kommen.
Richtig ist aber, dass hiermit Branchen indirekt unterstützt werden, die entscheidend zur Transformation beitragen.
Was aber kommt heraus, wenn der Staat Milliarden verteilt, die an Vorgaben dazu geknüpft sind, was, wie und zu welchem Preis produziert werden soll? In der Regel kein innovatives Produkt, das von Konsumenten nachgefragt wird – und damit auch keine reale Wertschöpfung.
Jetzt wird es ganz wild: Diese Aussage entspringt allein der Fantasie des Autors.
Habecks Ausgabeneifer beschränkt sich nicht auf die Automobilbranche. ThyssenKrupp hat der Wirtschaftsminister Geld für den Bau eines «grünen Werks» versprochen, um die Stahlindustrie im Land zu halten. Den Chiphersteller Intel wiederum will er mit Milliarden nach Magdeburg locken. Mögen die Branchen noch so unterschiedlich sein, gemeinsam haben die beiden Unternehmen eines: Es ist schlecht um sie bestellt.
Intel nach Magdeburg zu holen, ist ein Coup. Halb Europa interessierte sich für eine Ansiedlung. Sachsen-Anhalt bekam den Zuschlag. Intel macht 2024 Gewinn – so schlecht ist es um das Unternehmen also gar nicht bestellt, wie der Autor suggeriert. Dass der Bau der Fabrik um zwei Jahre verschoben wurde, weil das Unternehmen zunächst eine Konsolidierung anstrebt, ist Pech, aber nicht der Politik anzulasten.
Die Kernfrage lautet: Will Deutschland resilienter werden gegenüber Asien? Dann wird es auch weiter Ansiedlungen geben, die mit Millionen unterstützt werden. Man kann zu einem anderen Schluss kommen, als es der Wirtschaftsminister tut. Ihm aber firmenpolitische Themen etwa bei Intel vorzuwerfen, ist hanebüchen.
Dann wird es auch faktisch skurril: Der NZZ-Autor wirft Habeck vor, auf den „Atomausstieg bestanden“ zu haben – ohne auf die Laufzeitverlängerung und die Aussagen der Betreiber zu den Möglichkeiten eines Weiterbetriebs einzugehen.
Die Fakten NACH dem Atomausstieg zeigen, dass dieser richtig war. Das pragmatische Weiterlaufen-Lassen über den Winter war sogar unnötig. Aber noch wilder wird es anschließend.
Hier lässt sich der Autor zu einer glasklaren Märchenerzählung hinreißen:
Weil sich dann allerdings Versorgungslücken abzeichneten, legte der Grünen-Politiker eine Kraftwerksstrategie vor, die den Bau neuer Gaskraftwerke vorsieht. Das staatliche Subventionsvolumen taxierte er dafür auf mindestens 16 Milliarden Euro.
Nein. Es gab keine Versorgungslücken und keinen Kollaps. Die Kraftwerksstrategie ist – wenn überhaupt – eine Antwort auf Putins Krieg. Es war immer klar, dass Moleküle gebraucht werden, in Zeiten von Dunkelflauten.
Ähnliches Spiel bei der Energieinfrastruktur: Angesichts hoher Ausbaukosten lohnt sich der Betrieb der deutschen Stromnetze für private Betreiber kaum mehr – trotz versteckten, milliardenschweren Subventionen, die von den Verbrauchern über die sogenannten Netzentgelte monatlich beglichen werden.
Es gibt eine staatlich garantierte Eigenkapitalverzinsung für neue Netze sowie für den Bestand. Es ist nicht richtig, dass sich der Betrieb kaum noch lohnen würde. Hierfür kommen die Stromverbraucher mit den Netzentgelten auf. Problematisch ist nicht das, was der Autor schreibt, sondern dass viel zu lange Investitionen in die unterschiedlichen Netzebenen unterblieben sind. Dadurch besteht jetzt besonders hoher Investitionsdruck.
Habeck setzt hier jetzt direkt auf die Verstaatlichung. Bei drei von insgesamt vier Betreibern hat sich der Staat bereits Beteiligungen gesichert. Den Einstieg beim letzten verbliebenen Unternehmen ohne öffentlichen Anteilseigner strebt der Minister an.
Richtig ist, dass es seit 2020 (vor der Zeit Habecks) u.a. Gespräche mit den Niederlanden gab, Tennet neu aufzustellen. Hintergrund war aber eher, dass die Niederlande selbst keine 15 Milliarden ins deutsche Stromnetz investieren wollten, sondern nur 10 Milliarden in die eigenen Netze. Die Argumentation des Autors führt also auch hier ins Leere.
Hayek erkannte: Der Markt ist vor allem ein Informationssystem. Preise sind Signale, die uns Menschen helfen, uns an Ereignisse und Veränderungen anzupassen, von denen wir nichts wissen. Und auch nichts wissen können, denn kein menschliches Individuum und auch keine künstliche Intelligenz verfügt über das gesamte Wissen, das dafür notwendig wäre.
Habecks Milliardensubventionen stehen somit nicht nur betriebswirtschaftlich auf wackeligen Beinen. Sie sind auch ein Angriff auf die Grundpfeiler der freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Denn mit jedem Euro, den er verteilt, verfälscht er die Marktsignale und erodiert damit das System, das seinem Land Wohlstand und Freiheit gebracht hat.
Das Zitat passt meines Erachtens nicht. Habeck subventioniert die Transformationsbranchen wie Auto, Stahl oder Energie. Das tut er, um das Ziel Klimaneutralität zu erreichen und die Resilienz der deutschen Wirtschaft bzw. deren Wohlstand zu erhalten. Inwiefern das ein Angriff auf die „Grundpfeiler der freiheitlichen Wirtschaftsordnung“ sein soll? Das erschließt sich mit nicht.
Statt von «Fünfjahresplänen» zu schwadronieren, spricht er lieber vornehm von «Pfaden», die der Staat der Wirtschaft weisen müsse. Statt von der Weltrevolution zu träumen, strebt er lieber die Weiterentwicklung der deutschen Wirtschaftsordnung hin zu einer «sozial-ökologischen Marktwirtschaft» an. Doch der Kern seiner Politik bleibt unverkennbar: Intervention, Regulierung, Subvention – die unheilige Dreifaltigkeit der Planwirtschaft.
Ich halte den Vorwurf angesichts meiner Analyse der Argumentation Bockenheimers, die meines Erachtens auf verdammt wackeligen Beinen steht, für falsch bis absurd. Bockenheimer verkennt die Weltlage und die Veränderungen, die schon begonnen haben. Die fundamentalen Sektoren unserer Volkswirtschaft werden einmal komplett umgekrempelt.
Was ist also dran am Kollaps-Vorwurf?
Hierauf kann man mit dem Ruf nach „Freiheit“ reagieren, oder man kann gezielt unterstützen, dass man am Ende nicht mit leeren Händen dasteht als Volkswirtschaft. Ich halte Letzeres, gerade in der Habeckschen Dosierung, für richtig. China und die USA – Hauptwettbewerber Deutschlands – machen das ganz ähnlich.
Dort hat man erkannt, wie viel Wandel bevorsteht. Und wie wenig Kollaps. Vielleicht erkennt es auch Herr Bockenheimer irgendwann…
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.