Tempolimit: Die unterschätzte Klimaschutz-Maßnahme

Warum die Klimaschutz-Maßnahme Tempolimit neben Erdöl bzw. fossilen Kraftstoffen auch zur Einsparung von Erdgas beiträgt.

Über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, auf Landstraßen sowie in den Städten zu debattieren, ist eigentlich eine Farce: Der Nutzen im Hinblick auf die Sicherheit beim Autofahren ist so groß und offensichtlich, dass die Einführung ein No-Brainer ist. Trotzdem gibt es erbitterten Widerstand von CSU, CDU und FDP gegen diese Klimaschutz-Maßnahme. Dennoch wird ein zunächst befristetes Tempolimit in Deutschland bald kommen – jede Wette.

Ein Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen in Deutschland kann problemlos beschlossen und eingeführt werden. Anders, als von Bundesverkehrsminister Volker Wissing behauptet, scheitert es nicht an „Schildermangel“, sondern am politischen Willen von Konservativen und Liberalen. Dabei ist die Limitierung der Geschwindigkeit die unterschätzte Maßnahme, die uns auch bereits kurzfristig beim Erdgas-Sparen helfen wird – und das ganz ohne finanziellen Aufwand.

Trotzdem hat Wissing, der für den Verkehr zuständige Minister, die Chance verstreichen lassen, die Klimaschutz-Maßnahme in sein uninspiriertes Sofortprogramm aufzunehmen, das diese Woche vorgestellt wurde.

Laut Umweltbundesamt kann eine Maximalgeschwindigkeit auf Autobahnen von 100 km/h und auf Landstraßen von 80 km/h 2,1 Milliarden Liter fossilen Kraftstoff einsparen. Das entspricht 3,8 Prozent des im Verkehrssektor verbrauchten Kraftstoffs und ist damit ein signifikanter Beitrag zum Klimaschutz. Aber das ist nur ein Teil der Einspareffekte durch ein Tempolimit. In vielen Umfragen sagen die Deutschen, dass sie hinter einer solchen Höchstgeschwindigkeit stehen.

Laut einer weiteren Studie des Umweltbundesamtes könnte die Einführung eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen die Treibhausgasemissionen um bis zu 6,9 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr reduzieren. Diese Studie legt nahe, dass ein Tempolimit nicht nur die Emissionen reduzieren, sondern auch die Verkehrssicherheit verbessern und Lärmbelästigung verringern würde.

Erdgas einsparen mit festgelegter Höchstgeschwindigkeit

Wie kann mit dem Tempolimit, das im Kern die Höchstgeschwindigkeit auf 130 km/h festlegt, Erdgas eingespart werden? Nach Experteneinschätzungen ist das generelle Limitierung der Geschwindigkeit auf Autobahnen und Straßen außerhalb von Ortschaften die schnellste und einfachste Maßnahme, um Erdgas zu sparen. Denn, was oft nicht diskutiert wird: Erdgas wird in erheblichem Umfang für die Herstellung von Benzin, Diesel und Adblue benötigt.

Denn für die Produktion von schwefelarmem Dieselkraftstoff sowie Heizöl in den Raffinerien, wird Wasserstoff benötigt; und dieser wird – Stand heute und gar nicht im Einklang mit Klimaschutz – auf Basis von Erdgas gewonnen. Da Erdgas auch für Prozessöfen gebraucht wird, sind Raffinerien zwingend auf Mindestmengen an Erdgas angewiesen. Wird der Erdgas-Hahn zugedreht, stehen die Raffinerien still – das wäre dann sozusagen das 100-Prozent-Tempolimit, bedingt durch Gasmangel.

Laut dem Wirtschaftsverband Fuels und Energie hatten Raffinerien in den vergangenen Jahren einen Anteil von drei Prozent am Erdgas-Gesamtverbrauch in Deutschland. Diese Menge wurde durch Ausweichen auf Flüssiggas und Heizöl halbiert. (Quelle)

Diesel-PKW und insbesondere Diesel-LKW benötigen das aus Harnstoff gewonnene Adblue zur Abgasreinigung. Dieser Harnstoff stammt insbesondere aus Ammoniak. Und Ammoniak wird heute ebenfalls aus Wasserstoff gewonnen, der wiederum erdgasbasiert entsteht. 0,5 Millionen Tonnen Ammoniak werden so pro Jahr benötigt, während etwa zwei Millionen Tonnen in die Düngemittel-Produktion gehen. Entscheidender Kostentreiber dabei sind die gestiegenen Gaspreise.

Letztlich führt also eine Geschwindigkeitsbegrenzung im Verkehr zu deutlich weniger Beschleunigungsvorgängen und Kraftstoffverbrauch. Damit wird indirekt durch Raffinierung und Adblue-Herstellung kräftig Erdgas eingespart. Denn bei höheren Geschwindigkeiten entstehen besonders viele Stickoxide, die durch Adblue „gewaschen“ werden.

Kommt eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung?

Wenn Argumente wie Verkehrssicherheit oder Alleingang Deutschlands in Europa nicht dazu führen, konservative und liberale Tempolimit-Gegner für das Thema zu erwärmen – ich bin mir sicher, dass der gesellschaftliche Druck in den Bereichen Umwelt, Natur und Klimaschutz nun dermaßen steigen wird, dass die unterschätzte Klimaschutz-Maßnahme Tempolimit mindestens temporär auf Autobahnen und Straßen außerhalb von Ortschaften eingeführt wird. Denn rationale Argumente gegen diese Maßnahme im Bereich Verkehr, der insgesamt zu wenig zur Erreichung der Klimaziele beiträgt, gibt es nicht. Das emotionale Freiheits-Geschrei muss angesichts der Energie-, Gas- und Klimakrise zurückstehen.

Trotz all dieser Vorteile eines generellen Tempolimits auf Deutschlands Autobahnen und Landstraßen ist es politisch immer noch nicht durchsetzbar. Das ist wirklich beschämend, weil es so einfach wäre in der Umsetzung. Perspektivisch gäbe es auch einen Anreiz, weniger stark motorisierte Fahrzeuge zu entwickeln. Das wirkt sich auch positiv auf die Perspektive des autonomen Fahrens sowie der Elektromobilität aus. Denn konstanter, flüssiger Verkehr bei Tempo 100 bis 120 kommt auch der Reichweite der Elektrofahrzeuge entgegen.

Wirtschaftlicher Nutzen 950 Millionen Euro pro Jahr

Eine internationale Forschergruppe hat in einer Studie ermittelt, dass ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde in Deutschland nicht nur einen positiven Effekt auf den Klimaschutz hätte, sondern auch einen erheblichen wirtschaftlichen Nutzen mit sich brächte. Die sogenannten Wohlfahrtsgewinne lägen demnach bei mindestens 950 Millionen Euro pro Jahr. Dies resultiere besonders aus dem eingesparten Treibstoff, weniger Unfällen, geringeren Lieferkettenkosten und Einsparungen bei der Infrastruktur.

Auch ohne Emissionseinsparungen würde sich laut der Studie ein Wohlfahrtsgewinn von 660 Millionen Euro jährlich ergeben. Die Experten beschreiben das Tempolimit als Win-win-Situation: Es sei gut für das Klima und bringe erheblichen Gewinn für die Gesellschaft.

Die Experten aus Deutschland, Schweden und Kanada stützten sich auf öffentlich zugängliche Daten und führten eine Kosten-Nutzen-Analyse durch. Dabei wurden die Auswirkungen eines Tempolimits auf Reisezeiten, Treibstoffverbrauch und -subventionen, Lieferketten, Infrastrukturausbau und -unterhalt sowie Unfälle berücksichtigt. Auch Landnutzung, Emissionen von Luftschadstoffen und Treibhausgasen wurden in die Berechnungen einbezogen.

Prof. Udo Becker vom Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr an der TU Dresden zeigt sich von den Ergebnissen der Studie begeistert. Er betont, dass ein Tempolimit volkswirtschaftlich sehr vorteilhaft sei. Fahrerinnen und Fahrer würden durch ein Tempolimit Kraftstoff im Wert von 766 Millionen Euro pro Jahr sparen. In der Studie seien alle wesentlichen Wirkungen einbezogen worden.

Irreführende Argumente der Gegner

Die Einführung eines Tempolimits auf Bundesautobahnen sei ein volkswirtschaftlich sinnvolles Vorgehen, um die Klimaprobleme, Flächenverbrauchs-, Abgas- und Lärmprobleme des Verkehrs zu reduzieren, so Becker. Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin bezeichnete die Annahmen und Methodik der Studie als plausibel und betonte, dass die Annahmen konservativ getroffen worden seien, insbesondere bei den sozialen Kosten der CO2-Emissionen.

Obwohl Deutschland nach wie vor das einzige große Land der Welt sei, das keine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen habe, würden Tempolimit-Gegner argumentieren, dass niedrigere Geschwindigkeiten Kosten für die Reisezeit verursachen, die nicht durch Vorteile wie eine Verringerung der Treibhausgasemissionen aufgewogen werden könnten. Die Autoren der Studie halten diese Argumente jedoch für irreführend.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.