Wieso die Offshore-Windenergie plötzlich zur Boombranche wird

Überraschend hohe Kostensenkungen zieht Investoren und realisierende Unternehmen an.

Die Offshore-Windenergie ist weltweit auf dem Vormarsch: Eine Studie vom Juli 2020 zeigt jetzt: Die Kosten für Windkraftanlagen auf dem Meer sind in lediglich fünf Jahren zum zwei Drittel gefallen. Die Ausschreibung zum Windpark Doggerbank brachte einen Preis von 45 Euro pro Megawattstunde hervor. Noch 2015 mussten Investoren mit dem dreifachen Preis kalkulieren.

Noch vor fünf Jahren galt die Offshore-Windenergie weltweit als eher zukünftige Technologie der Energiewende. Damals dauerte allein die Anbindung der Windparks auf dem Meer an das Stromnetz auf dem Festland oft Monate. Die Kosten für Windturbinen auf See waren höher als für Windkraft an Land. Mittlerweile hat sich der Wind gedreht: Die Offshore-Windenergie ist zur Boombranche geworden.

Wesentlicher Grund dafür sind Kostensenkungen in beinahe atemberaubenden Tempo, die sogar Experten wie Malte Jansen vom Imperial College in London überrascht haben. „Auch wir Fachleute hätten nicht erwartet, dass die Erzeugungskosten auf diesem Sektor so schnell fallen“, berichtet Jansen auf Basis einer aktuellen Studie im Interview mit DER SPIEGEL.

In den vergangenen fünf Jahren sind die Kosten für entsprechende Windparks um zwei Drittel gesunken. In Kürze wird die Offshore-Windenergie so günstig Energie liefern, dass alle fossil befeuerte Kraftwerke unterboten werden können – vorausgesetzt die Strompreise verbleiben auf dem selben Level wie in den vergangenen 15 Jahren.

Höhepunkt der bisherigen Preissenkungen: Beim Offshore-Windpark Doggerbank, der eine Leistung von 3,6 Gigawatt haben wird, sind die Produktionskosten mit 45 Euro pro Megawattstunde so gering, dass dauerhaft Geld an den Staat zurückfließen wird. „Wir sprechen von negativer Subvention“, so Jansen. Üblicherweise wird die Spanne zwischen Marktpreis und bei der Auktion angebotenem Strompreis per Subvention ausgeglichen.

Kostensenkungen ziehen Unternehmen und Investoren an

Die deutlichen Kostensenkungen der vergangenen Jahre ziehen mittlerweile neben den Vorreitern wie Orsted immer mehr etablierte Energiekonzerne an, die das Potenzial der Offshore-Anlagen erkannt haben. Mit Ocean Winds haben sich beispielsweise zwei Cleantech-Unternehmen mit großen Zielen zusammengeschlossen.

Maßgeblichen Einfluss auf die Kostendegression haben auch die Hersteller der Windturbinen wie etwa Siemens Gamesa oder Vestas. Der Offshore-Windpark Doggerbank setzt erstmals riesige Rotoren ein, die einen Durchmesser von 222 Metern haben. Mehr zur SG 14-222 DD mit einer Leistung von 15 Megawatt gibt es hier.

Für Investoren werden Windparks auf See angesichts der veränderten Rahmenbedingungen zu immer attraktiveren Assets. Blackrock hat gerade seine Anteile am Turbinen-Hersteller Vestas ausgebaut. Große Pensionsfonds brauchen dringend zuverlässige Renditechancen mit Perspektive. Die bisherigen Optionen mit fossilen Energien verlieren an Bedeutung, weil die Gefahr, in Stranded Assets zu investieren, quasi jeden Tag wächst.

Potenzial der Offshore-Windenergie

Der Global Wind Energy Council (GWEC) rechnet mit einer globalen Offshore-Windkapazität von 234 Gigawatt bis 2030. Zum Vergleich: Ende 2019 lag dieser Wert noch bei 29 Gigawatt.

Studien gehen von einem generellen Potenzial von 5.000 Terwattstunden Elektrizität pro Jahr aus, die vor den Küsten Europas, Asiens und Amerikas produziert werden könnten. Deutschland hat einen Nettostromverbrauch von rund 512 Terawattstunden im Jahr.

Dabei zählen sowohl das anhaltend starke Wachstum in Europa als auch das exponentielle Wachstum in der asiatisch-pazifischen Region zu den Treibern. Im Jahr 2019 wurden 6,1 Gigawatt Offshore-Kapazität zugebaut – der bislang höchste Zubau innerhalb eines Jahres überhaupt. China installierte 2,4 Gigawatt, Großbritannien 1,8 Gigawatt, Deutschland 1,1 Gigawatt.

Zuverlässige Energieversorgung, ideal für Wasserstoffherstellung

Weitere Trends zeigen das Potenzial der Offshore-Windenergie: Einerseits laufen diese Anlagen an guten Standorten 50 Prozent der Zeit unter Volllast – an Land sind es nur 15 bis 25 Prozent.

Damit sind die Anlagen günstig im Betrieb und passen gut zum ebenfalls überall auf der Welt aufkeimenden Trend zu grünem Wasserstoff – Elektrolyseure benötigen in der Regel kontinuierliche Energiezufuhr. Kühne Pläne wie die der Energieinsel vor Dänemark sehen sogar vor, direkt auf dem Meer, grünen Wasserstoff zu produzieren und anschließend an Land zu bringen. Womöglich ist aber ein Transport als Methanol oder Ammoniak realistischer.

Die Antwort auf die Frage, wieso Offshore-Windenergie plötzlich zur Boombranche wird, ist somit klar: Die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen haben sich rasant verbessert. Dazu wurden technische Erfahrungswerte gesammelt, von denen auch neue, ausführende Unternehmen profitieren können. Dazu kommen der Ausstieg aus der Kohleenergie, der nun jede zuverlässige, nachhaltige Möglichkeit der Energieerzeugung begünstigt und auch Investorengelder frei macht.

Das Zeitalter, günstiger Energieerzeugung durch Offshore-Windenergie hat gerade erst begonnen – damit entsteht ein wichtiger Treiber für die Realisierung der globalen Energiewende sowie zur Erreichung der Klimaziele.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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