100 Prozent Erneuerbare: Technisch machbar und ökonomisch sinnvoll

Um den Umbau zu 100 Prozent Erneuerbare zu gestalten, fehlt es ausschließlich am politischen Willen, sagt eine neue Studie einer finnischen Universität und der Energy Watch Group.

Die Worte der Wissenschaftler sind eindeutig. Fast möchte man sagen: ein-eindeutig. Die erneuerbare Versorgung der Welt mit Energien bis 2050 ist machbar – und das rentabel. Die Kosten pro Jahr beziffern die Experten auf 5,4 Billionen Euro – die Einsparungen auf 1,5 Billionen. Das zeigte eine der bisher umfassendsten Studien zum Thema – der 321-seitige Bericht dokumentiert eindrucksvoll: Die Technik ist vorhanden, es fehlt lediglich politischer Wille.

Es ist grotesk: Dem Planeten Erde geht es in diesen Tagen immer schlechter und trotzdem ist nicht das Gefühl vorhanden, Politik und Gesellschaft würden auf die Wissenschaft hören, um endlich mit voller Dynamik das globale Energiesystem auf Erneuerbare Energien umzustellen. Dass es mit den heutigen Technologien möglich ist, zeigt die Studie der Universität Lappeenranta und der Energy Watch Group.

Die 14 Wissenschaftler widmen die Studie übrigens einem besonderen Menschen: Der Klimaaktivistin Greta Thunberg, die mit ihrer Bewegung Fridays For Future dafür sorgen will, dass der Wissenschaft endlich zugehört wird. „An Greta Thunberg und an die gesamte #FridaysForFuture-Bewegung, für die deinen unerbittlichen Mut zur Erhaltung unseres Planeten, und eine bessere Zukunft für uns alle.“

Viereinhalb Jahre haben sich die Wissenschaftler mit Wegen, technischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für den 100-Prozent-Umbau des globalen Energiesystems beschäftigt. Sie haben eine vollständige, konsequente, weltweite Energiewende in den Sektoren Strom, Wärme, Verkehr und Meerwasserentsalzung bis 2050 simuliert. Das Besondere: Sie skizzieren einen Weg, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen: ohne negative CO2-Emissionstechnologien, ohne fossile Energien und ohne Atomstrom.

100 Prozent Erneuerbare: Prof. Christian Breyer im Youtube-Interview.

Das künftige Energiesystem basiert dann vor allem auf elektrischer Energie: Vier- oder fünfmal mehr Strom als heutzutage müssen produziert werden, um vollständig auf fossile Brennstoffe verzichten zu können. Zur Speicherung der Elektrizität dienen Batteriespeicher und Wärmespeicher.

„Die Wende hin zu 100 Prozent sauberer, erneuerbarer Energie ist sehr realistisch – schon jetzt, mit den heute verfügbaren Technologien“, sagt Prof. Christian Breyer, einer der führenden Wissenschaftler der Studie. Und Hans-Josef Fell von der Energy Watch Group betont: „Wir müssen die Debatte ändern: Ein Übergang zu einem globalen 100-prozentigen erneuerbaren Energiesystem ist nicht mehr eine Frage der technische Machbarkeit oder wirtschaftlichen Tragfähigkeit, sondern allein des politischem Willens. Wir brauchen nicht nur ehrgeizige Ziele, sondern auch stabile, langfristige und zuverlässige politische Rahmenbedingungen, die an die regionalen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen angepasst sind. Wir rufen die globale Gemeinschaft dazu auf, dringend diesen zukunftsweisenden Weg in Richtung Netto-Null-GHG-Emissionen zu gehen, indem sie einen schnelle Veränderung der Art und Weise bewirken, wie wir natürliche Ressourcen nutzen und Strom, Wärme und Verkehr bereitstellen.“

100-Prozent-Studie: 69 Prozent muss Photovoltaik beitragen

Die Wissenschaftler haben in ihrem Modell die Welt in 145 Klein- und neun Großregionen aufgeteilt und den stündlichen Energieverbrauch auf jeweils Fünfjahreszeiträume extrapoliert. Photovoltaik muss mit 69 Prozent den größten Beitrag leisten – an zweiter Stelle folgt die Windkraft mit 18 Prozent. Nicht zu vernachlässigen sind Lösungen rund um Biomasse und Abfall (6 Prozent), Wasserkraft (drei Prozent) und Geothermie (zwei Prozent).

In manchen Teilen der Welt wird die Windkraft dominieren, in Afrika, Asien, Zentral- und Südamerika hingegen die Solarenergie. Das erstaunliche Ergebnis: Die immer effizientere Energienutzung wird dazu führen, dass es bis 2050 nur einen zusätzlichen Bedarf an Energie von 1,8 Prozent pro Jahr geben wird – und das, obwohl die globale Bevölkerung auf fast 10 Milliarden Menschen anwachsen wird.

5,4 Billionen Euro kostet der Umbau – pro Jahr

Die Kosten, 5,4 Billionen Euro, klingen auf den ersten Blick atemberaubend. Aber, eingeordnet relativiert sich die Geldmenge erheblich: Es ist dreimal so viel, wie die Welt pro Jahr für Kriegsgeräte und Verteidigung ausgibt. Und: Wenn wir das heute, völlig irrsinnige Energiesystem beibehalten, wird es ungleich teurer. Denn der Umbau des Energiesystems hin zu Erneuerbaren Energien reduziert Luftverschmutzung, verbessert Gesundheitsbedingungen und richtet weit weniger Schaden an der Umwelt an, als das bisherige System.

Auf ein Plus von 1,5 Billionen Euro beziffern die Wissenschaftler diese Wohlfahrtsgewinne. Der Umbau würde sicherstellen, dass statt 30 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent nichts in die Luft geblasen wird: Null-Emission.

Bei dem Szenario geht es auch darum, die Veränderungen durch den Klimawandel einzubeziehen und daraus Konsequenzen zu ziehen. So gehen 6,7 Millionen Quadratkilometer fruchtbaren Bodens aufgrund der Klimaveränderungen verloren – dieser Platz reicht aus, um Jatropha-Pflanzenöl anzubauen. Aus diesem können Biokraftstoffe gewonnen werden – ausreichend, um den globalen Kerosin-Bedarf zu decken. Vermutlich wäre auch Elefantengras eine Alternative.

Mehr zur Brechnuss genannten Jatropha-Pflanze gibt es hier:

Ein deutscher Wissenschaftler will aus der Jatropha-Pflanze Kerosin machen.

Für die Bewässerung wäre entsalztes Meerwasser notwendig – dessen Menge muss sich bis 2050 vervierzigfachen. Vier Prozent des globalen Energiebedarfs muss dafür aufgewendet werden, entsalztes Meerwasser zur Verfügung zu stellen.

Dabei ist der Umbau des Energiesystems dem Szenario zufolge nicht nur wirtschaftlich lukrativ: Die heutigen, neun Millionen Arbeitsplätze im globalen Kohlebergbau würden durch 15 Millionen Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien ersetzt. 35 Millionen Menschen sind nötig, um den weltweiten Strombedarf entsprechend zu erzeugen.

Politischer Wille entscheidet, nicht neue Technologien

Es ist grotesk: Dem Planeten geht es immer schlechter in diesen Tagen und die Wissenschaft legt den Pfad vor, den die globale Gemeinschaft einschlagen muss. Aber letztlich bewegt sich: Nichts.

Der September mit dem Vorlegen eines Klimaplans der deutschen Bundesregierung und den UN-Klimakonferenzen wird zeigen, ob der Wandel ernsthaft angestrebt wird oder ob wir uns in Deutschland weiter in Askese-Debatten verheddern werden. Ohne Nutzen für die Reduktion der CO2-Emissionen und Erneuerbare-Energien-Ausbau.

Es wäre ein Selbstzerstörungsakt der Menschheit, würde sie jetzt nicht reagieren.

Hier kann die Studie heruntergeladen werden.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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