Kohleausstieg 2024 geht voran – Energiewende-Kritiker wittern Blackout-Gefahr

Wie Tichys Einblick oder Apollo News Desinformation verbreiten und Ängste wegen weiterem Kohleausstieg schüren

Der deutsche Kohleausstieg 2024 geht sichtbar voran: Nach dem problemlosen, ersten Winter 23/24 ohne Atomkraftwerke gehen nun rund um Ostern 15 Kraftwerksblöcke vom Netz. Dazu gehören insbesondere Steinkohle- und Brainkohlekraftwerksblöcke, deren Stilllegung wegen der Energiekrise verschoben worden war. Sie hatten zuletzt die Aufgabe, den Gasverbrauch zu reduzieren. Energiewende-Kritiker wie die Medien Tichys Einblick, Apollo News oder Youtubern wie Oli oder Outdoor Chiemgau wittern Blackout-Gefahr. Was ist wirklich dran?

Zunächst zu den Fakten rund um den Kohleausstieg 2024: RWE Power schaltet zum 31. März im Rheinischen Revier weitere fünf Kraftwerksblöcke endgültig ab. Konkret geht es um 2,1 Gigawatt installierter Leistung und die Blöcke Grevenbroich-Neurath C (300 MW), Neurath D (600 MW), Neurath E (600 MW) sowie Berhgeim-Niederaußem E (300 MW) und Niederaußem F (300 MW). Die Blöcke in Neurath beispielsweise sollten bereits Ende 2022 vom Netz gehen – wegen der Gasmangellage wurde das auf Ende März 2024 verschoben.

Seit Ende 2020 hat RWE 12 Braunkohlekraftwerksblöcke mit einer Gesamtleistung von 4.200 Megawatt stillgelegt. Dazu wurde die Brikettproduktion eingestellt. Zum Jahreswechsel 24/25 geht außerdem der 300-MW-Block Weisweiler F vom Netz. Bedeutet: 2025 sind noch 7 von ehemals 20 Kraftwerksblöcken in Betrieb. 7

All diese Stilllegungen sind in den Kalkulationen der Bundesnetzagentur enthalten und entsprechend genehmigt. Die Übersicht zeigt den ursprünglichen Abschaltplan nach dem Kohleausstiegsgesetz:

LEAG schaltet Jänschwalde E und F wieder ab

Die Kraftwerksblöcke Jänschwalde E und F waren erst im Herbst 2023 zur „Absicherung der Stromversorgung“ wieder ans Netz gegangen – es handelt sich um zwei 500-MW-Blöcke. Insgesamt werden also an oder nach Ostern 3,1 Gigawatt Braunkohlekraftwerkskapazität abgeschaltet.

Lesen Sie auch: Kohleausstieg in Deutschland: Bis 2030 raus aus Stein- und Braunkohle?

Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde im Landkreis Spree-Neiße ist das erste Großkraftwerk in der Lausitz, das im Rahmen des deutschen Kohleausstiegs komplett stillgelegt wird. Der Betrieb der weiteren vier Blöcke ist aber noch bis 2028 vorgesehen.

Steinkohlekraftwerk Mehrum geht endgültig vom Netz

Bild: Kathrin Henneberger

Auch weitere Steinkohlekraftwerke werden an Ostern 2024 ausgeschaltet. Insgesamt geht es um eine installierte Leistung von 1,3 Megawatt – das prominenteste Kraftwerk, das in Rente und Rückbau geschickt wird, ist das Steinkohlekraftwerk Mehrum mit 690 Megawatt. Es befand sich zuletzt im Reservebetrieb, um bei Bedarf Gas einsparen zu können.

Daneben hat der Betreiber Uniper beantragt, das ebenfalls große Steinkohlekraftwerk Heyden 4 vor dem kommenden Winter abschalten zu dürfen (30. September). Die weiteren Abschaltungen zu Ostern sind der Kraftwerksliste des Wirtschaftsministeriums zu entnehmen.

Mehrere STEAG-Kraftwerke, wie etwa die Kraftwerke Weiher (656 MW) und Bexbach (726 MW) werden an Ostern überdies wieder in die sogenannte Reserve zurückversetzt, also noch nicht stillgelegt. Für sie galt zuletzt das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, das die befristete Rückkehr an den Markt ermöglichte – und Ende März nun wiederum ausläuft. Hierbei geht es um laut STEAG um 2,5 Gigawatt an Kraftwerksleistung.

Bei den Grünen im Bundestag überwiegt indes die Freude über das Vorankommen des Kohleausstiegs, wenngleich die meisten Blöcke schon hätten früher vom Netz gehen sollen:

Kathrin Henneberger (MdB) bei X

Kathrin Henneberger betonte, dass speziell die „dreckigsten“ und „CO2-intensivsten“ Kohlekraftwerke vom Netz gehen würden. „Mit dem Ausbau der Erneuerbaren wollen wir aber noch schneller werden und bei der regelmäßigen Überprüfung des Kohleausstiegspfades nachschärfen. Die Auswirkungen der Klimakrise sind bereits grausame Realität und wir müssen deshalb dringend mehr Maßnahmen ergreifen, um Treibhausgase einzusparen, wie beispielsweise rasch den Kohleausstieg umzusetzen“, so Henneberger in ihrem Statement.

Opposition: Kohle-Winter und Blackout-Gefahr

Bild: Kathrin Henneberger (MdB)

In den vergangenen zwei Jahren gab es immer wieder Unkenrufe zur Versorgungssicherheit in Deutschland. Der Fakt, dass zum vorletzten Winter die Atomkraftwerke am Netz blieben und zu diesem Winter einige Kohle-Kraftwerke als Reserve und Backup am Netz blieben, zeigt: Die Versorgungssicherheit steht immer im Mittelpunkt des Handelns von Bundeswirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur.

Trotzdem ließ es sich die Opposition im Deutschen Bundestag, angeführt von CSU und AfD, nicht nehmen, die Energieversorgung für unsicher zu erklären und einen „Kohle-Winter“ auszurufen. Die faktisch unwahre Behauptung, Atomstrom sei überwiegend durch schmutzigen Kohlestrom ersetzt worden, hält sich seitdem hartnäckig – ist aber Desinformation. Sogar von einem Kohle-Winter war die Rede. „Robert Habeck ist beim Klimaschutz nicht mehr ernst zu nehmen. Er verfeuert die Kohle in uralten Kohlekraftwerken und schaltet die klimaneutrale Kernenergie ab“, so Alexander Dobrindt.

Während die Opposition nach dem erneut milden Winter, in dem es keinerlei Blackout-Gefahr, Gasmangellage oder gar Strommangellage gab, nun weitgehend still ist, hat die Bundesregierung die Bayerische Staatsregierung durch das Festhalten am Bundes-Atomgesetz zum Rückbaustart vom Atomkraftwerk Isar 2 gezwungen. Für den Bayerischen Umweltminister Glauber von den Freien Wählern eine „falsche Entscheidung.

Youtuber und Medien: Blackout-Angst und Desinformation

Der Kohleausstieg 2024, die Energiewende und gar die Transformation sind rechten Medien wie Tichys Einblick, Apollo News und Youtubern wie Oli (Youtube) oder Outdoor Chiemgau (Youtube) ein Dorn im Auge. Immer und immer wieder verbreiten die AfD-nahen „alternativen“ Medien Falsch- und Desinformation über die Versorgungssicherheit und schüren Ängste vor einem Blackout.

Um es ganz klar zu betonen: Diese Ängste zu schüren in Verbindung mit Falschaussagen und einer Anklage von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sind fern jeglicher Realität sowie hanebüchen, töricht und fahrlässig.

Laut der Bundesnetzagentur waren im November insgesamt 245 Gigawatt an Stromerzeugungsanlagen in Deutschland aktiv, wovon etwa 159 Gigawatt auf erneuerbaren Energieträgern basierten. Die Stilllegungen dieser Anlagen beeinträchtigen die Versorgungssicherheit laut der Netzagentur nicht. Ein Sprecher erklärte, dass die Stilllegungen geplant seien und in allen Versorgungsprognosen berücksichtigt wurden. Strom werde dort erzeugt, wo es am kostengünstigsten sei, im europäischen Verbund.

Bedeutet: Deutschland kann sich jederzeit selbst und problemlos mit eigenen Kraftwerken mit Energie versorgen. Ziel des Energieministers Robert Habeck ist es, die Abhängigkeit von Importen von 70 auf 30 Prozent zu reduzieren.

Ein paar Beispiele für die Fehlinformationen zum Kohleausstieg 2024, die verbreitet werden:

  • Tichys Einblick behauptet, es sei unklar, welche Betreiber überhaupt für neue, regelbare Gaskraftwerke, die direkt oder später auf Wasserstoff umgerüstet werden, in Frage kämen: Fakt ist, dass die EnBW bereits 3 Gaskraftwerke plant/baut, RWE den Bau von mindestens 3 Gigawatt wasserstofffähiger Gaskraftwerke angekündigt hat und auch Uniper und ausländische Betreiber Interesse signalisiert haben. EPH, der Betreiber des Kraftwerks Mehrum, möchte am gleichen Standort ebenfalls ein Gaskraftwerk errichten.
  • Apollo News zitiert u.a. Robert Habeck „Die Energieversorgung ist in jeder Hinsicht sicher“ und behauptet – ohne Fakten zu liefern – diese Aussage entspreche nicht der Realität und „mit der Abschaltung der Kohlekraftwerke verliere sie weiter an Glaubwürdigkeit:“ Wäre die Versorgungssicherheit in Gefahr, hätten sich Bundesnetzagentur, Übertragungsnetzbetreiber und Unternehmen sowie Medien längst gemeldet. Es handelt sich bei der arroganten Aussage des jungen Redakteurs Jerome Wnuk um reine Hassbildpflege ohne Wahrheitsgehalt.
  • „Besonders“ ist die Ansicht des Youtubers „Oli“, der eine „Akute Blackout-Gefahr“ wittert. Dabei zitiert er den fragwürdigen Artikel von Apollo News und zeigt obendrein, dass er die Energieversorgung nicht versteht. Deutschland importiert seit einem Jahr (Abschaltung der letzten drei AKWs) etwas mehr Strom als zuvor. Das ist logisch, weil in Europa günstiger Windstrom sowie teilweise günstigerer Atomstrom zur Verfügung steht, der eigener Kohlestromerzeugung vorgezogen. wird. Es handelt sich also um einen gewünschten Effekt – nicht um ein Zeichen von Abhängigkeit. Die Kohleverstromung sank 2023 auf den niedrigsten Wert seit 1959. Warum Deutschland kein Strombettler ist, wird von Fraunhofer-Forscher Bruno Burger beispielsweise hier allgemeinverständlich erläutert.
  • Und Outdoor Chiemgau philosophiert über einen Blackout und verbreitet fragwürdige Informationen über die Stromautobahnen Suedlink und Suedostlink, die ab zirka 2027 bzw. 2028 Bayerns Stromlücke schließen sollen. Der Youtuber erzählt, die Stromautobahnen würden erst „frühestens in sieben Jahren“ fertig werden – und da die Trassen nur teilweise durch Bayern gehen würden, sei Bayern auch nicht Schuld am verzögerten Bau.
    Fakt ist: Seehofer, Söder und Aiwanger waren die schärfsten Blockierer dieser Hochspannungsleitungen. Eine der beiden Trassen kommt wegen dem Wechsel zur Kabelverlegung im Boden um 5 Jahre verspätet und kostet mittlerweile zehn Milliarden Euro.

Kohleausstieg 2024: Gut geplant und keine Gefahr

Auch wenn es rechten Energiewende-Kritikern und der Opposition nicht in den Kram passt: Der Kohleausstieg 2024 (und bis 2030) ist gut geplant und durchdacht – und es besteht keine Gefahr für Blackout oder die Versorgungssicherheit allgemein. Wer wie Apollo News behauptet, die Kraftwerks-Abschaltungen würden „ohne Ersatz“ passieren, lügt bewusst oder ist inkompetent. Deutschland hat allein vergangenes Jahr 14 Gigawatt Solar und Wind sowie Speicherkapazität zugebaut, weshalb – neben weiteren Gründen – die Kraftwerksabschaltungen kein Problem darstellen.

Für Youtuber Oli ist die „Stromgedacht“-App von TransnetBW schließlich ein Zeichen für bevorstehende Stromausfälle. Hintergrund: Die App fordert Stromkunden im Netzgebiet der TransnetBW im südlichen Bundesland gelegentlich dazu auf, zu bestimmten Zeiten sparsam mit Energie umzugehen und zu Verbräuche in andere Zeiten zu verschieben: Dabei geht es nicht um Versorgungssicherheit, sondern um Kosten: Sind die Menschen in der Lage, ihre Verbräuche zu verschieben, kann auf teure Minutenreserve aus dem Ausland verzichtet werden. Das senkt die Netzentgelte. That’s it.

Der Kohleausstieg 2024 ist übrigens ein positiver Lichtblick für alle Deutschen in Sachen Klimaschutz. Denn selten laufende Kraftwerke, die nicht auf einen Reservemodus ausgelegt sind, sind für den Steuerzahler teuer. Gut, dass die meisten der genannten Kohlekraftwerke nun dazu nicht mehr beitragen.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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