Wie Pyrum Innovations mit BASF den Durchbruch bei der Reifen-Pyrolyse schaffte

Gemeinsam könnten in fünf Jahren bis zu 50 Reifen-Pyrolyse-Reaktoren zum Recycling entstehen. Kooperation von Pyrum mit Mercedes-Benz.

Pyrum Innovations ist in den vergangenen Monaten durch ein Investment des Chemiegiganten BASF der Durchbruch seiner Reaktoren zum Altreifen-Recycling gelungen. Zuvor hatte das auf die Reifen-Pyrolyse spezialisierte saarländische Cleantech-Unternehmen Schwierigkeiten Geldgeber einerseits und Abnehmer für die eigenen Produkte andererseits zu finden. BASF vereint beide Rollen – und stärkt die Hoffnung, auch die energieintensive Reifenindustrie umkrempeln zu können. Seit Februar 2023 läuft die Inbetriebnahme der ersten, großindustriellen Reifen-Thermolyse in Dillingen.

Pyrum Innovations AG Dillingen ist ein Cleantech-Unternehmen, das wir seit vielen Jahren verfolgen. Das Unternehmen ist in gewisser Weise typisch für den Cleantech-Sektor: Es existiert seit mehr als dreizehn Jahren, entwickelte eine hoch innovative Technologie – und hatte über Jahre Schwierigkeiten, Vertrauen bei Investoren und Kunden in die eigene Innovation zu erzeugen.

Das hat auch damit zu tun, dass sich im Bereich Reifen-Pyrolyse speziell bzw. Pyrolyse oder Thermolyse allgemein eine Reihe von Unternehmen tummeln, die außer großen Versprechungen wenig auf die Beine stellen konnten. Klar ist: Einen solchen Reaktor so zu bedienen, dass unten tatsächlich ökologisch wie ökonomisch sinnvoll verwertbare Produkte herauskommen, ist keine leichte Aufgabe.

Pyrum mit seinen jungen Gründern Julien Dossmann und Pascal Klein sowie einem jungen Kernteam, das dazu angestachelt wird, alles zu hinterfragen und unkonventionell zu denken, haben die Herausforderung ganz offenbar bewältigt. Seit Mai 2020 läuft das Pyrolyse-Werk in Dillingen „ununterbrochen und störungsfrei“ – und liefert nach Angaben von Gründer Klein „Rohstoffe von gleichbleibend hoher Qualität“.

Einfaches Verfahren bei 700 Grad Celsius

Einer der Gründe dafür, dass Pyrum eine Technologieentwicklung schaffte, an der Andere bislang scheiterten: Die Ingenieure haben ein verhältnismäßig einfaches Verfahren gewählt – beispielsweise bleibt die Reaktor-Temperatur im gesamten Vorgang konstant bei 700 Grad Celsius, um eine gleichbleibende Qualität der im Thermolyse-Verfahren zu erreichenden Produkte zu bewirken.

Diese erfolgreiche Entwicklung führte dazu, dass sich der Chemieriese BASF für die Technologie zu interessieren begann. Über Monate prüfte der Konzern das Unternehmen – Technologie, Finanzen, Patente, Mitarbeiter. Dann war klar: BASF schließt nicht nur einen Abnahmevertrag über 100.000 Tonnen Pyrolyse-Öl pro Jahr, sondern investiert für eine Zehn-Prozent-Beteiligung auch 16 Millionen Euro in das junge Unternehmen. Ziel: Den Weg zur Serienfertigung der Technologie ebnen.

Für Pascal Klein war das Bekenntnis von BASF zur Pyrum-Technologie im Herbst 2020 „der Durchbruch“. Denn damit steht nicht nur der Aufbau von bis zu 50 zusätzlichen Reaktoren im Raum. Der Vertrauensbeweis der BASF führte dazu, dass jetzt auch Kreditgeber an die Technologie glauben, und weltweites Interesse besteht.

Und, natürlich, hat auch der Druck, die CO2-Emissionen reduzieren zu müssen, mittlerweile auch die Reifenbranche erfasst, die nun ernsthaft nach besseren Lösungen sucht. Heute ist das Geschäft mit Altreifen ein schmutziges: Nicht nur, weil man schmutzige Hände bekommt, wenn man Reifen trägt, sondern auch weil Altreifen viel zu oft auf Müllhalden landen, und beispielsweise Krankheiten und Feuer begünstigen.

Wie die Reifen-Pyrolyse-Technologie funktioniert

Bis zu 3.000 Altreifen werden am Standort von Pyrum im Saarland täglich verarbeitet. Der Stahldraht wird extrahiert und an die Stahlindustrie verkauft. Die Reifen werden in mehreren Stufen geschreddert. Das dann übrig bleibende Gummigranulat wird noch feiner gemahlen und dem Pyrolyse-Reaktor zugeführt.

Im Reifen-Pyrolyse-Reaktor selbst herrschen Temperaturen von 700 Grad Celsius. Diese sorgen dafür, dass das Gummi verdampft – und in seine Bestandteile Gas, Koks und Öl zerfällt. Der Kohlenstoff-Ruß, in der Reifenindustrie als Carbon Black bezeichnet, wird an Reifenhersteller verkauft. Aus dem Pyrolyse-ÖL macht BASF Kunststoffe, Medikamente oder Kosmetika (oder entsprechende Vorprodukte).

Für das Pyrolyse-Öl hat die Pyrum Innovations ESC GmbH mittlerweile als erstes Unternehmen im Sektor Altreifen-Recycling eine REACH-Zertifizierung der Europäischen Union erhalten. Bedeutet: Das Öl ist als offizieller Rohstoff anerkannt, und hilft Abnehmer BASF, die eigene Klimabilanz zu verbessern. Schon heute verwendet BASF das Öl am Standort Ludwigshafen.

Riesiger Recyclingmarkt für Altreifen

Pyrum adressiert nicht nur ein gewaltiges Problem – alleine in Deutschland fallen pro Jahr mehr als 500.000 Tonnen Altreifen an -, sondern auch einen großen Markt. Das Volumen weltweit schätzt das Cleantech-Unternehmen auf 39 Milliarden Euro. Es geht um nichts weniger als das Schließen eines gewaltigen Ressourcenkreislaufs. Selbst wenn es gelingt, gemeinsam mit BASF 50 Anlagen aufzubauen, wäre dies letztlich nur ein ganz kleiner Anfang.

Neben dem Vertrieb des Öls aus der Reifen-Pyrolyse ist Pyrum auch daran interessiert, die weiteren Ausgangsstoffe seiner Reaktoren sinnvoll zu verwenden (Gas, Koks). Ein Großteil des Gases wird genutzt, um den Reaktor über zwei Blockheizkraftwerke mit Strom zu versorgen.

Bis 2022 sind zunächst zwei weitere Reaktoren zum Altreifen-Recycling per Thermolyse in Dillingen im Saarland geplant. Darüber hinaus arbeitet Pyrum kontinuierlich sowohl an neuen Input-Stoffen wie auch an neu zu produzierenden Rohstoffen, wie etwa Tests zur Extraktion von Wasserstoff aus dem mit der patentierten Technologie gewonnenen Gas, belegen.

Gab es bis vor einem Jahr reichlich Bedenken, ob es dem jungen Pyrum-Team wirklich gelungen sein konnte, eine solche Anlage zur Reifen-Pyrolyse zu entwickeln, mehren sich nun Bewunderung und Aufmerksamkeit. Bei den Recircle Awards ist das Unternehmen in zwei Kategorien nominiert. Die Veranstaltung hat zum Ziel, Unternehmen und Einzelpersonen innerhalb der Reifenbranche auszuzeichnen, deren Arbeit sich auf das Erreichen einer Kreislaufwirtschaft konzentriert. Die Sieger werden am 15. März 2021 bekanntgegeben.

Mercedes-Benz ersetzt fossile Rohstoffe durch Pyrolyse-Öl

Am 24. August 2022 gab Mercedes-Benz bekannt, den Wertstoffkreislauf von Altreifen schließen zu wollen. Konkret: Ab 2022 werden Bauteile in unterschiedlichen Fahrzeugmodellen in Serie gebracht, für die Pyrolyse-Öl unter anderem aus recycelten Altreifen fossile Rohstoffe ersetzt. Hierfür sollen pro Jahr mehrere hundert Tonnen Altreifen aus Mercedes-Benz-Fahrzeugen chemisch recycelt werden. Das entstehende Kunststoffmaterial soll in Neuwagen eingesetzt werden. Das Unternehmen strebt an, den Anteil an recycelten Materialien in seiner Pkw-Flotte bis 2030 auf durchschnittlich 40 Prozent zu erhöhen.

Technologisch setzt der Autobauer dabei auf das chemische Recycling von Pyrum-Partner BASF: Aus den ausgedienten Reifen wird von der Pyrum zunächst Pyrolyseöl erzeugt. Dieses kombiniert BASF mit Biomethan aus Landwirtschaftsabfällen. Unter Einsatz der beiden Rohstoffe kann ein vollkommen neuwertiger Kunststoff entstehen. Die Kombination von Pyrolyse-Öl aus Altreifen und Biomethan kommt im Rahmen der Zusammenarbeit von Mercedes-Benz und BASF erstmals zum Einsatz.

Dieser nachfolgende Beitrag über Pyrum stammt vom 12.1.2018.

Pyrum recycelt Altreifen

Es war Mitte Juli 2011 als wir von Cleanthinking zum ersten Mal über ein junges deutsch-französisches Cleantech-Startup mit dem Namen Pyrum berichteten. Damals erhielt die 2007 gegründete Pyrum eine Förderung über rund eine Million Euro der EU für die eigene saubere Technologie. Denn die Dillinger wollten Altreifen zum Recycling nutzen, um einen umweltfreundlichen Kreislauf zu ermöglichen. Jetzt gibt es Neuigkeiten von der heutigen Pyrum.

Die Fakten sind flott berichtet: Die Dillinger Pilotanlage, die aus Altreifen und anderen Gummi-Abfällen wertvolle, neue Rohstoffe und Produkte macht, läuft. Und weckt Interesse von potenziellen Kunden, beispielsweise aus der Automobil- und Zulieferer-Industrie. 300 Angebote hat Pyrum rausgeschickt – immerhin fünf Anlagen sind offenbar in Planung.

Die Pilotanlage von Pyrum in Dillingen ist 25 Meter hoch. Dort werden Kunststoffe und Gummi-Granulat von Altreifen in die Bestandteile Öl, Gas und Koks zerlegt. Der Prozess braucht hohe Temperaturen von 700 Grad und findet unter Ausschluss von Sauerstoff statt – ist also keine Verbrennung sondern eine Thermolyse. Mit der Technologie entstehen Dämpfe, die
bei niedrigen Temperaturen zu Öl kondensieren, zu Permanentgas (gasförmige Kohlenwasserstoffverbindungen) sowie zu Koks werden. Das Unternehmen hält mehrere Patente.

Erster Kunde: Innovative Recycling AG

Eine davon in Sembach bei der Innovative Recycling AG. Dort entsteht nach offiziellen Angaben von Pyrum ein Recycling-Werk für 15.000 Tonnen Altreifen pro Jahr. Der Spatenstich soll 2018, die Inbetriebnahme 2019 erfolgen. Jeder Pyrum-Reaktor schafft 5.000 Tonnen pro Jahr – die Anlage besteht also aus drei solcher Technologieteile.

Alle drei Monate sind technische Wartungen notwendig – damit der komplette Prozess nicht stillgelegt werden muss, werden Anlagenteile einzeln gewartet. Das Hochfahren der Anlage dauert nach Angaben von Pyrum sehr lange und ist – im Gegensatz zum Normalbetrieb der Anlage – energieintensiv. Erzeugt die Anlage in diesem Betriebszustand Gas, reicht die daraus generierte elektrische Energie aus, um den Prozess am Laufen zu halten. Überschussenergie wird sogar ins Stromnetz eingespeist.

Diese Kundenanlage ist komplett finanziert. Weitere Anlagen im Südwesten Frankreichs und in Indonesien ebenfalls. Aber: Generell sind Banken sind skeptisch, ob der neuartige Thermolyse-Prozess des deutsch-französischen Unternehmens funktioniert. Das liegt auch daran, dass es bereits eine Reihe von Unternehmen in der Vergangenheit gab, die ähnliche Technologien versprachen – viele davon sind über Ankündigungen nie hinausgekommen.

Daher, so sagen die Gründer, heutigen Vorstände und 50-Prozent-Anteilseigner Pascal Klein und Julien Dossmann, scheitere manche Finanzierung für die rund 20 Millionen Euro teuren Anlagen. Eine Vorfinanzierung von Kundenprojekten wiederum kann sich Pyrum nicht erlauben. Also ist klar: Frisches Geld muss her.

Börsengang an der Euronext

Die Pyrum adressiert ein gewaltiges Problem und kann damit eine hervorragende Story zum „Going Public“ aufbauen. Denn Gummi- und Kunststoffabfälle werden in Europa und weltweit bislang oft nicht recycelt, sondern in Zementwerken verbrannt oder deponiert. Eine so verbrannte Tonne Altreifen erzeugt 2,6 Tonnen CO2.

Pyrum hingegen verwandelt diese klimaschädlichen Abfälle in wertvolle Ressourcen  – der Liter Öl kostet beispielsweise weniger als 15 Cent. Gelingt der Pyrum die Skalierung und der weitere Verkauf und Betrieb ihrer Anlagen, entsteht ein geschlossener Kreislauf, der wahrlich großen Impact für Umwelt und Klima hat. Dass die Technologie funktioniert, sollen unabhängige Gutachten von KIT, Steinbeis Stiftung und der TU Hamburg verifizieren.

Überzeugend fand das offenbar die Kölner Industrie Beteiligungsgesellschaft IBG, die im Jahr 2017 nach Angaben von Pyrum „mehrere Millionen Euro“ investierte, um zehn Prozent der Firmenanteile zu werben. Klein und Dossmann halten noch zirka 51 Prozent der Geschäftsanteile. 40 Prozent liegen bei „Business Angels“, die der Gesellschaft in schwierigen Zeiten durch ihr Investment unter die Arme griffen.

Die jungen Vorstände, Dossmann und Klein sind auch zehn Jahre nach der Unternehmensgründung erst Anfang 30, wollen ihre AG in Frankreich an der Euronext an die Börse bringen. Und zwar bereits im ersten halben Jahr 2018. Den Pariser Börsenplatz schätzen sie aufgrund einiger Reformen als besonders attraktiv ein. Unterstützt werden die jungen Unternehmen von einem Börsenguru namens Louis Thannberger (IPO N° 1), der nach eigenen Angaben bereits mehr als 400 Unternehmen beim Börsengang begleitet hat  – und den Börsenplatz Euronext besonders gut kennt.

Das frische Geld – Pyrum möchte zirka 40 Millionen Euro erlösen – soll für die Vorfinanzierung von weiteren Kundenanlagen, aber auch für die weitere Forschung an zusätzlichen Anwendungsgebieten verwendet werden. Denn grundsätzlich lassen sich in den Anlagen auch andere Gummiabfälle, Ölschiefer, Biomasse, Bitumen und diverse Kunststoffe verarbeiten. Weitere Einsatzgebiete perspektivisch könnten auch Farbstoffe oder Bodenverbesserer sein.

Inbetriebnahme der ersten großindustriellen Thermolyse-Recyclinganlage

Seit Februar 2023 läuft die Inbetriebnahme der ersten, großindustriellen Thermolyse-Recyclinganlage von Pyrum. Diese wird am Standort Dillingen gebaut. Nach Inbetriebnahme der Druckluftversorgung im Juni 2023 geht die Anlage in weiteren Etappen in den kommenden Wochen in Betrieb. Nach erfolgreicher Kaltinbetriebnahme erfolgt schließlich die erste Probefahrt der Reaktoren mit Produktherstellung.

Im Februar 2023 waren die beiden neuen Thermolyse-Reaktoren in den Thermolyseturm eingebaut worden. Die Heizelemente wurden mittlerweile endmontiert. Seit Anfang Juni läuft auch die neue Schredderanlage mit einer Kapazität von ca. sechs Tonnen Altreifen pro Stunde mit voller Auslastung. Die Warminbetriebnahme der Pyrolyseanlage mit sukzessiver Steigerung der Produktionsmengen soll plangemäß im August/September 2023 starten. Das Ziel des Unternehmens ist, dass zum Ende des dritten Quartals 2023 erste Öllieferungen an die BASF erfolgen können.

Das finale Element ist anschließend die Lieferung und Inbetriebnahme der neuen Mühle und Pelletierung im ersten Halbjahr 2024. Nach erfolgreicher Rampup-Phase werden zukünftig am Standort Dillingen jährlich ca. 18.000 bis 20.000 Tonnen Altreifen zu Thermolysegas, -öl und -koks sowie zu Stahl verarbeitet. Daraus können wieder neue Produkte, wie beispielsweise neue Reifen, Kunststoffe und Energie entstehen.

Cleanthinking-Einschätzung

Die Pyrum kann eine der Erfolgsgeschichten aus dem deutsch-französischen Cleantech-Markt im Jahr 2018 und den Folgejahren werden. Agiert das 15-Mann-Unternehmen bis zum Börsengang auch im Hinblick auf Marketing und Öffentlichkeitsarbeit richtig, kann aufgrund der hoch interessanten Technologie, der klaren Problemlösung mit vorhandenem Geschäftsmodell mit nach Aussagen von Pyrum hoher Rentabilität ein wichtiger Beitrag zur globalen Energiewende geleistet werden. Im laufenden Jahr rechnet Pyrum mit 80 Millionen Euro Umsatz.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.