Ist überkritische Geothermie der Joker der Energiewende?

Cleantech-Startups wie Quaise Energy und GA Drilling wollen die tiefe, überkritische Geothermie schonend erschließen.

Das Cleantech-Unternehmen Quaise Energy entwickelt ein Bohrsystem, das die Nutzung von bis zu 500 Grad Celsius heißem, überkritischem Wasser zur Erzeugung von Strom und Wärme wirtschaftlich machen soll. Das MIT-Spinoff, das jetzt 40 Millionen Dollar Venture Capital erhalten hat, nutzt ein Millimeterwellen-Bohrsystem, um Tiefen von drei bis 20 Kilometer erreichen zu können. Neben Quaise arbeitet auch das slowakische Cleantech-Startup GA Drilling an einer vergleichbaren Lösung – kommt überkritische Geothermie damit endlich raus aus der Nische und wird zum Joker der Energiewende?

Die Technologie für überkritische Geothermie von Quaise Energy soll ermöglichen, saubere Stromerzeugungs- und Wärmeverteilungsanlagen überall dort zu errichten, wo sich größere Bevölkerungs- und Industriezentren befinden. Der Vorteil wäre der überaus geringe Platzbedarf und die einfache Verfügbarkeit sowohl von elektrischer als auch von thermischer Energie.

Bislang scheitern herkömmliche Geothermie-Projekt vor allem an unwirtschaftlich hohen Kosten für die unerlässlichen Tiefenbohrungen einerseits, und an mangelnder Kenntnis über die exakten Potenziale ausgewählter Standorte. Ein Beispiel für die Probleme ist das bayerische Geretsried: Dort versuchen Investoren seit vielen Jahren vergeblich, ein Geothermie-Projekt zu realisieren.

Erst seit das kanadische Cleantech-Unternehmen Eavor Technologies aufmerksam wurde, kommt wieder Bewegung in die Sache – die Kanadier setzen auf eine innovative Technologie.

Bislang ist Island eines der wenigen Länder, das in der Lage ist, sich weitgehend mit Geothermie zu versorgen – allerdings profitiert das Land über weltweit einmalige Vorkommen heißen Wassers, die leicht gefördert werden können. Quaise Energy will die Tiefengeothermie nun für sehr viele Länder global verfügbar machen.

Eine Idee dabei: Die Weiternutzung oder Wiederbelebung bereits ausgedienter Kraftwerke, die bislang mit fossilen Brennstoffen betrieben wurden. Damit könnte ein Großteil vorhandener Infrastruktur genutzt und eine neue Perspektive für Öl- und Gas-Unternehmen bzw. ihrer Dienstleister werden.

Was ist überkritische Geothermie?

Carlos Araque, Mitbegründer und CEO von Quaise Energy, wurde 2017 mit den experimentellen Arbeiten von Paul Woskov (einem wissenschaftlichen Mitbegründer) bekannt gemacht. Woskov, der am MIT Plasma Science and Fusion Center arbeitet, leistete Pionierarbeit bei der Verwendung elektromagnetischer Wellen, um Gestein zu durchbohren. Die Wellen werden von einem sogenannten Gyrotron erzeugt – einer großen Maschine, die häufig in der Industrie für Erhitzungs- und Aushärtungsprozesse sowie bei Kernfusionsexperimenten und zu Verteidigungszwecken eingesetzt wird.

Die überkritische Geothermie erzeugt im Vergleich zur herkömmlichen Geothermie die zehnfache Energiemenge. Dadurch gleichen sich die wirtschaftlichen Anreize an: je höher die Leistung, desto höher die Einnahmen. Zweitens verbessert sich die Skalierbarkeit – die superkritische Geothermie kann bestehenden Kraftwerken neues Leben einhauchen, ohne das Rad der Energieinfrastruktur neu zu erfinden. 

Überkritisch ist ein technischer Begriff für die überkritische Phase von Wasser, wenn es sich nicht um eine Flüssigkeit, einen Feststoff oder ein Gas handelt, sondern um ein überkritisches Fluid. Ein superkritisches Fluid enthält die Eigenschaften von Flüssigkeit und Gas, was den Energietransport erheblich erleichtert. 

Um das überkritische Wasser fördern zu können, sind weit tiefere Bohrungen nötig, als heute in der Öl- und Gasbranche üblich. Hierzu experimentiert Quaise Energy mit einem Millimeterwellen-Bohrsystem, um hochenergetische Ressourcen bei Temperaturen von bis zu 500 Grad Celsius zu erschließen. Die Technologie wird an die Spitze des Bohrers gesetzt. Dort schmelzen Wellen und verdampfen Gestein.

Zur Übertragung der elektromagnetischen Energie von der Oberfläche ans Bohrloch nutzt Quaise Millimeterwellen, die über eine Art Glasfaserkabel, das wie ein Standard-Ölfeldrohr aussieht, übertragen wird. Das Rohr ist letztlich das Einzige, was in das Loch gesteckt wird – was die Technologie sehr einfach und effizient machen soll.

Quaise Energy will in diesem Jahr mit Labortests beginnen – und anschließend Feldversuche durchführen. Eine entscheidende Frage die geklärt werden muss: Wie lassen sich Erdbebenrisiken beherrschen?

Quaise Energy

Gründung: 2018

Gründer:

MIT Spinoff

Finanzierung: 63 Mio. US-Dollar

Quaise will überkritische Geothermie skalieren durch die Erschließung schwer zugänglicher, tiefer und heißer Ressourcen mit neuen Bohr- und Leitungstechnologien.

Investoren

  • Safar Partners
  • Prelude Ventures
  • Fine Structure Ventures
  • The Engine
  • Collaborative Fund
  • Nabors

Quaise experimentiert mit Millimeterwellen-Bohrsystemen, um hochenergetische Ressourcen bei Temperaturen im Bereich von 500 Grad Celsius zu erschließen.

Die neue Finanzierung wird es ermöglichen, bis 2024 Feldbohrungen in Tiefen von 100 bis 1.000 Metern zu testen und das Team zu erweitern.

Sehr hohes Potenzial für die Energiewende und die Transformation

Bislang ist Geothermie nicht mehr als eine Nische mit relativ geringer Verbreitung. Hauptgrund: Tiefenbohrungen sind teuer und zeitaufwändig.

Überkritische Geothermie hat gewaltiges Potenzial, weil 70 Prozent des Globus hierfür geeignet sind.

„Wir müssen tiefer und heißer bohren, um die Geothermie wirklich zu einer globalen Quelle zu machen, so dass es nicht mehr darauf ankommt, in der Nähe eines Vulkans oder in Island oder in den typischen Geothermiegebieten zu sein“, sagt Araque. Aber so tiefe Bohrungen – zwei bis 19 Kilometer (12 Meilen) unter der Erde – sind teuer und zeitaufwändig. Sein Unternehmen fand eine Lösung in der Forschung von Paul Woskov am MIT Plasma Science and Fusion Center. Statt physischer Bohrer, die sich schnell abnutzen und häufig ausgetauscht werden müssen, schlug Woskov vor, hochintensive 30- bis 300-Gigahertz-Mikrowellen aus einem Gerät namens Gyrotron zu verwenden. „Es ist wie das Magnetron in Ihrem Mikrowellenherd, aber viel leistungsfähiger und effizienter“, sagt Araque.

Araque, der einen Abschluss als Ingenieur vom MIT hat, arbeitete fast 15 Jahre lang für Schlumberger, einen der weltweit führenden Anbieter von Bohrdienstleistungen für die Öl- und Gasindustrie. Es war seine Zeit in der traditionellen Energiewirtschaft, in der er deren Folgen von innen sah, die ihn dazu brachte, ein Unternehmen für saubere Energie zu leiten. Und sein technisches Fachwissen half ihm, das Potenzial von Woskovs Innovationen und die Möglichkeiten einer Hybridbohrplattform zu erkennen.

Gelingt diese Phase, will das Unternehmen eng mit der Öl- und Gasindustrie kooperieren, um beispielsweise bestehende Projekt-Bohrungen mit der eigenen Technologie zu erweitern. In bisherigen fossilen Kraftwerken wird ein fossiler Brennstoff verbrannt, um Wasser zu erhitzen, es in Dampf umzuwandeln und diesen Dampf mit einer Turbine zur Stromerzeugung zu nutzen. Das Ziel von Quaise ist es, den Teil der Verbrennung der fossilen Brennstoffe zu ersetzen – und stattdessen den Dampf aus dem Boden nutzbar zu machen.

Durch den Rückgriff auf bestehende Anlagen und vorhandenes Personal der Öl- und Gasbranche kann Quaise Energy seine Technologie theoretisch perfekt andocken, um die Stromerzeugungsanlagen weltweit zu dekarbonisieren. Quaise Energy strebt einen Preis von einem bis drei Cent pro Kilowattstunde an – günstig genug, um mit fossilen Brennstoffen zu konkurrieren und sie schließlich als Grundlaststrom zu ersetzen, wenn kein anderer erneuerbarer Strom verfügbar ist.

Technische Herausforderungen für Quaise Energy

Doch die technischen Herausforderungen sind enorm. Bis 2024 will Quaise zunächst demonstrieren dass die Innovation wirklich funktioniert – und zwar 17 Jahre nachdem das MIT die Idee einst erstmalig formuliert hatte. Hierbei sollen bestehende Borlöcher um einen zusätzlichen Kilometer erweitert werden, um Temperaturen von 400 bis 500 Grad Celsius zu erreichen.

Bis 2028 sollen dann die ersten Anlagen in Betrieb gehen – angedockt an vorhandene Infrastruktur. Hiermit sollen Wirtschaftlichkeit und die Skalierbarkeit der Technologie nachgewiesen werden. „Wir erwarten die gleiche Rentabilität, die die Öl- und Gasindustrie aus ihrem Kerngeschäft gewöhnt ist“, so Gründer Carlos Araque.

Wie groß ist das Potenzial?

Die Geothermie ist schwierig zu realisieren, viel schwieriger als Öl und Gas. Viele der bei Öl und Gas eingesetzten Technologien sind bei der Geothermie nicht anwendbar. Die für Öl und Gas erforderlichen Bohrungen sind relativ oberflächlich und überschreiten selten 150ºC, und dort, wo geothermische Energie an die Oberfläche gelangt, wird sie bereits seit Jahrhunderten angezapft (z. B. in Island oder bei den Geysiren an der Westküste der USA). Bei den meisten geothermischen Anlagen muss man tiefer graben, um an die erforderliche Wärme und Energie zu gelangen. 

Laut dem Unternehmen ist das Potenzial der überkritischen Geothermie gewaltig. Gründer Araque geht langfristig von einem gewaltigen Potenzial aus – bis 2100 könnte das Unternehmen ungefähr die Hälfte des weltweiten Bedarfs liefern. „Quaise beabsichtigt, einer der wichtigsten Energieversorger zu sein die für die saubere Energiewende benötigt werden“, haben sich die Energie-Manager zum Ziel gesetzt.

Araque ist zuversichtlich, dass die Geothermie im Zuge der weltweiten Umstellung auf saubere Energie eine wichtige Rolle spielen wird. „Wir sprechen von einem Terawatt-Potenzial – nicht Megawatt, nicht Gigawatt, sondern Terawatt“, sagt er. „Aber um das zu realisieren, müssen wir uns auf diese sehr schwierigen technologischen Unternehmungen einlassen. Genau das versuchen wir zu tun. Wir wollen das gesamte Potenzial der Geothermie ausschöpfen.

Quaise plant, mit konventioneller Technologie bis zu fünf Kilometer tief zu bohren. Danach wird das Unternehmen sein Energiebohrsystem einsetzen, um Tiefen von 10-20 Kilometern zu erreichen. Der Plan ist einfach, aber er erfordert technische Innovationssprünge und eine hervorragende technische und betriebliche Ausführung.

40 Millionen-Finanzierungsrunde

Zuletzt hat Quaise 40 Millionen Dollar Venture Capital für die Produktentwicklung erhalten „Wir werden zwei Maschinen bauen: eine 100-Kilowatt-Maschine und eine 1-Megawatt-Maschine“, so Araque. „Die 100-Kilowatt-Maschine wird tragbar sein, so dass wir sie an einer Reihe von Versuchsstandorten in New Mexico und Colorado einsetzen können; diese Maschine ermöglicht den Einsatz in der Bergbauexploration. Die 1-MW-Maschine wird in eine konventionelle Öl- und Gasbohranlage unserer Partner bei Nabors Industries integriert, um die Erweiterung eines bestehenden Bohrlochs auf geothermische Tiefen und Temperaturen zu demonstrieren.“ 

„Wir ersetzen nicht das Bestehende, sondern wir nutzen es zu unserem Vorteil, um uns einen Vorsprung von 100 Jahren zu verschaffen“, so Araque. „Wir bauen auch ein globales Team auf, das die besten Bohr-, Plasmaphysik- und Gyrotron-Experten der Welt vereint – mit Mitgliedern und Partnern in Boston, Houston, den US National Labs und Cambridge, UK.“

Ein schneller Übergang zu sauberer Energie ist eine der größten Herausforderungen für die Menschheit. Geothermische Energie kann mit weniger Ressourcen viel mehr Energie liefern. Wir müssen den Übergang zu sauberer Energie aus beiden Blickwinkeln betrachten. Die Lösung stimmt uns optimistisch für eine Zukunft, in der saubere, erneuerbare Energie die Zukunft unseres Planeten sichern wird.“

Arunas Chesonis, geschäftsführender Gesellschafter von Safar Partners

Was andere Geothermie-Startups machen

Die Analyse zeigt klar, dass das teure Bohren in große Tiefen das entscheidende Handicap der Nischen-Technologie Geothermie in der Gesamtheit darstellt. Doch Quaise ist längst nicht das einzige Unternehmen, das nach alternativen Bohrtechniken sucht, und sich sehr geschickt an die Öl- und Gasindustrie andockt: Diese und deren Mitarbeiter suchen nach Perspektiven. Bohren und Dampf in Energie wandeln können sie – die Startups wie Quaise oder GA Drilling aus der Slowakei müssen die Expertise im Umgang mit Tiefenbohrungen sowie heißen Fluiden hinzufügen.

Weniger tief bohren möchte indes Eavor Technologies: Mit seiner Eaver-Loop-Technologie will das kanadische Cleantech-Unternehmen unter anderem das Erdbeben-Risiko minimieren und durch den geschlossenen Kreislauf auch das Fördern von ungewohnten Stoffen oder Gasen wie Kohlendioxid und Methan minimieren. Wie die WirtschaftsWoche unter Berufung auf die Weltbank berichtet, gibt es bei manchen Geothermie-Technologien durchaus Probleme, die gelöst werden wollen.

Gelingen die neuen Bohrtechniken, könnte die Geothermie auch in Deutschland salonfähig werden. Städte wie München setzen zwar bei der Wärmewende stark auf diese erneuerbare Energieerzeugung – die Kosten sind aber schlicht zu hoch für den breiten Einsatz. Ziel der Wärmewende in den Regionen ist es aber, erneuerbare Nah- oder Fernwärme in großem Stil zu etablieren. Alleine mit Großwärmepumpen oder Gaskraftwerken erscheint das in der kurzen Zeit bis 2030 oder 2045 kaum möglich.

Aber dennoch bleiben zwei zentrale Herausforderungen: Einerseits die technologische Herausforderung mit überkritischem Wasser umzugehen, erdbebensicher mit in 20 Kilometer Tiefe zu bohren und schließlich zu den heute veranschlagten Kosten Strom und Wärme zu liefern. Doch daneben hat die Geothermie auch ein PR-Problem, weil negative Nachrichten in der Vergangenheit immer wieder Normalität waren. Neben der Ingenieur-Herausforderung steht also auch die Überzeugungs-Herausforderung bevor. Damit überkritische Geothermie sein Potenzial als Joker der Energiewende eines Tages voll ausschöpfen kann.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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