Rügenwalder Mühle: Tradition im Wandel von tierisch zu pflanzlich

Traditionsreiches Lebensmittelunternehmen, Rügenwalder Mühle aus Bad Zwischenahn ist in der Transformation des Produktsortiments.

Von der Metzgerei mit Mut, Neugier und familiären Rückhalt zum Pionier für Fleisch- und Wurstalternativen: Die Traditionsmarke Rügenwalder Mühle steckt seit 2014 in einer großen Transformation von tierisch zu pflanzlich. Mittlerweile macht das Unternehmen mit den pflanzlichen Produkten mehr Umsatz als mit den tierischen Originalen. Es sieht die sogenannten Flexitarier als Hauptzielgruppe. Doch der Wandel verläuft nicht schmerzfrei: Multiple Krisen und hausgemachte Schwächen führten zum Gewinneinbruch 2022 von 92 Prozent. Ist die Transformations-Strategie zu pflanzlicher Vielfalt also gescheitert?

Vom traditionsreichen Lebensmittelunternehmen aus dem niedersächsischen Bad Zwischenahn, Rügenwalder Mühle, sind klare Ziele zu vernehmen: Der Vorreiter für Fleischalternativen, die in diesem Segment einen Marktanteil von etwa 40 Prozent hat, will expandieren. 2023 hat das Unternehmen so viele vegane und vegetarische Produkte auf den Markt gebracht, wie noch nie zuvor. Immer häufiger werden beliebte Originale mit tierischem Fleisch – wie etwa Schinken Spicker Ende 2023 – aus dem Sortiment genommen, um Kapazitäten für Fleischersatzprodukte zu schaffen.

Seit 2020 ist mit Michael Hähnel, der Erfahrung bei Beiersdorf und Bahlsen einbringt, erstmals ein Geschäftsführer im Amt, der nicht zur Familie Rauffus gehört. Seine Aufgabe: Strukturen und Prozesse professionalisieren und die angestrebte Expansion des Unternehmens auf allen Ebenen vorantreiben. Doch immer wieder erleidet das Unternehmen Rückschläge: Der kulturelle Bruch von Metzgerei-Produkten zu pflanzlichen Alternativen verläuft nicht ohne Spannungen.

Michael Hähnel, Geschäftsführer der Rügenwalder (Bild: PR)

Doch Hähnel kommt in dem Moment operativ an Bord als es Rügenwalder entlang der Megatrends gelingt, die klimafreundlichen Alternativen in die Mitte der Gesellschaft zu holen: Während der Corona-Zeit ist die Nachfrage nach veganen und vegetarischen Fleisch- und Wurstalternativen um mehr als 70 Prozent gewachsen, berichtet Hähnel in mehreren Podcasts im Jahr 2022.

Dabei spielten besonders die Megatrends Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz sowie bewusste Ernährung eine zunehmende Rolle. Rügenwalder Mühle verkauft mit dem Wandel exakt hierzu passende Produkte.

Gewinneinbruch 2022: Droht nun die Insolvenz?

Ende Februar 2024 gab das Traditionsunternehmen das Geschäftsergebnis für 2022 bekannt (277,6 Mio. Euro Umsatz) und meldete einen Gewinneinbruch von 92 Prozent. Als Grund dafür gab das Unternehmen an, bei der Expansion an die eigenen Grenzen gestoßen zu sein. Das hat schließlich zu einer besonderen Anfälligkeit aufgrund der großen Krisen (Energiekrise, Lieferkettenkrise, Ernährungskrise) geführt. „Wenn man seine Produktionsplanung händisch in Excel macht, stößt man bei schnellem Wachstum irgendwann an seine Grenzen“, erläutert der Geschäftsführer.

Hauptstandort in Bad Zwischenahn.

Die Umstellung auf Sortiment mit pflanzenbasierten Lebensmitteln führt daneben auch zu stärkerer Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten von Gewürzen oder anderen Zutaten. Hier hatte das Unternehmen noch nicht die notwendige Flexibilität, um durch unterschiedliche Rezepte reagieren zu können. Innerhalb weniger Jahre verdoppelte sich die Mitarbeiterzahl auf heute mehr als 1.000 Mitarbeitende. Auch hier fehlten Strukturen und Prozesse.

Das Unternehmen spürt neben der Verteuerung der eigenen Vorprodukte sowie Energie auch die Kaufzurückhaltung der bisherigen oder künftig angepeilten Kunden, die durch die Inflation verunsichert sind. Der Einzelhandel erkennt in dieser Phase seine Chance, auf den Zukunftsmarkt aufzuspringen und launcht eigene, oft günstigere Produkte. „Unsere Marke gab den Menschen trotzdem Orientierung“, betont Hähnel. Trotzdem kommt es aufgrund multipler Krisen und sogar partieller Lieferengpässe zum Gewinneinbruch.

Die Liste der Gründe für den Gewinneinbruch ist also lang – und nachvollziehbar. Doch für einige Medien aus dem rechten Spektrum steht fest: Die Strategie des „Woke-Seins“ geht nicht auf. Ein paar Beispiele:

  • Rügenwalder Mühle – politisch korrekt und woke in den Abgrund? (Report 24)
  • Vegan-Strategie der Rügenwalder Mühle geht nicht auf (Apollo News)
  • Bald PLEITE? Rügenwalder Mühle macht JETZT DAS (Blitzmeldung)
  • Tausende Mitarbeiter: Traditionsmarke Rügenwalder steht vor Aus (KA-Insider)

Besonders der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, Maximilian Krah, hebt sich hervor, und behauptet am 29. März 2024 auf X, Rügenwalder stehe vor dem Aus und suche einen Investor. „Tja: Everything woke turns to shit!“

Dieser ekelhafte Kommentar wird noch peinlicher, wenn man bedenkt, dass Rügenwalder bereits im November verkündet hatte, dass sich das Unternehmen den Kölner Lebensmittelkonzern Pfeifer & Langen als neuen Mehrheitsgesellschafter ausgesucht habe. Am 25. März schließlich kam es zur Zustimmung durch die Kartellbehörden. Das zeigt gut, dass eine faktische Grundlage (Gewinneinbruch) missbraucht wird, um die eigene Ideologie und entsprechende Feindbilder zu pflegen (Wokeness ist böse).

Dass die Behauptungen der rechten Medien nicht zusammenpassen, belegt auch das Online-Magazin Rouge! eindrücklich.

Droht oder drohte also die Insolvenz? Nein, nicht wirklich. Trotz des Gewinneinbruchs 2022 ist Rügenwalder Mühle in den vergangenen Monaten höchst umtriebig gewesen, um die gewünschte Expansion voranzutreiben. Diese Umtriebigkeit wird durch diese Nachrichten rund um das Unternehmen deutlich:

  • Rügenwalder übernimmt den Standort von Fleisch Krone bei Vechta, um Produktionskapazitäten zu erweitern
  • Im März 2024 stellt das Unternehmen erstmals pflanzliche Produkte speziell für Kinder
  • Im Oktober 2022 kam mit Mathis Schlüter ein neuer Vertriebschef an Bord
  • Zahlreiche Produkterweiterungen kommen auf den Markt, wie etwa Veganes Hack mit 100 Prozent Soja aus deutschem Anbau – vor einem Monat gab es allerdings einen Rückruf wegen Salmonellengefahr

Lesen Sie hier mehr zu Grüne Transformation.

Wer hat Rügenwalder Mühle gekauft?

Im März 2024 stimmten die Kartellbehörden zu, dass der Lebensmittelkonzern Pfeifer & Langen die Mehrheit der Rügenwalder Mühle Carl Müller GmbH & Co. KG übernehmen darf. Das vegane / vegetarische Sortiment wird in die Tochtergesellschaft „The Nature’s Richness Group“ integriert. Diese bündelt die Plant-based-Food-Aktivitäten des führenden, europäischen Zuckeranbieters.

Die neue Eigentümerschaft soll dabei helfen, das Produktportfolio auszubauen, das Lieferantennetzwerk zu diversifizieren und auch die Expansion in ausländische Märkte zu organisieren. Das geht mit einem Partner wie Pfeifer & Langen, der bereits Milliardenumsätze generiert, besser als alleine. „Pfeifer & Langen versteht sich als eine familiäre Gruppe individueller Unternehmen eigenen Charakters“, sagte Guido Colsman, geschäftsführender Gesellschafter der Holding.

Die Familienholding Pfeifer & Langen Industrie- und Handels-KG ist eine Inhabergesellschaft führender Unternehmen aus der internationalen Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Das Portfolio zeichnet sich durch namhafte Marken, Handelsmarken und eine starke Position im Industriekundengeschäft aus.

Das Zusammengehen bedeutet aber, dass Rügenwalder Mühle als Marke eingeständig im Markt auftreten wird – das Management um Michael Hähnel bleibt bestehen und die etwa 1.000 Arbeitsplätze bleiben erhalten. Die Inhaberfamilie Rauffus behält Minderheitsanteile.

Folgt auf den Wandel die viel schwierigere Transformation?

Entgegen der Ansicht der weitgehend rechten Medien ist Rügenwalder also nicht zwischenzeitlich in Schieflage geraten, weil die Veggie-Strategie nicht aufging – sondern, weil diese zu gut aufging, dass mit dem Wachstum nicht mehr schrittgehalten werden konnte. Durch die neue Partnerschaft mit dem Kölner Zuckerhersteller dürfte hier ein entscheidender strategischer Schachzug begangen worden sein, der dem Unternehmen das weitere Wachstum ermöglicht.

Der neue Fokus von Rügenwalder Mühle auf weniger, aber qualitativ hochwertiges Fleisch einerseits und Ersatzprodukte andererseits sollte laut der Tierschutzorganisation PETA übrigens Vorbild für andere Lebensmittelkonzerne sein. Im Mai 2020 kaufte sie Aktien der Fleischkonzerne Tyson und Smithfields, um als kritische Anteilseignerin die Unternehmen zu einem stärkeren Engagement für pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte zu bewegen (Fleischatlas 2021).

Doch mitten im Wandel von tierisch zu pflanzlich könnte in den kommenden zehn Jahren die viel schwierigere Transformation erst noch bevorstehen. In den kommenden Jahren will das Unternehmen sein erstes „Hybridprodukt“ mit veganem und kultiviertem Anteil auf den Markt bringen. Hierzu kooperieren die Niedersachsen mit Cleantech-Startups, die sich mit „Clean Meat“ beschäftigen. Bis 2040 ist von mindestens einem Drittel Marktanteil von kultiviertem Fleisch auszugehen – bei einem Zuwachs des Fleischkonsums von 70 Prozent.

Rügenwalder Mühle ist ein grundsolides und sehr deutsches Unternehmen, das überwiegend auf regionale Lieferanten setzt – wie etwa sieben Schweinefleisch-Lieferanten im Umkreis von 100 Kilometer. Auch neue Standorte werden in diesem Umkreis errichtet. Daneben baut es Soja in Baden-Württemberg selbst an und setzt darüber hinaus auf Lieferungen aus Europa und Nordamerika – nicht aber aus Südamerika.

Es ist wirklich bemerkenswert, wie ein solch traditionsreiches Familienunternehmen, das eine Langfrist-Strategie fährt, auf Hass von rechter Seite stoßen kann.

Kommt die Disruption rund um kultiviertes Fleisch, wird ein wesentlicher Teil des heutigen Geschäftsmodells der Rügenwalder in Frage gestellt – oder kurz: disrupiert. Sich auf diesen nächsten Wandel, der viel schwerwiegender sein wird als nur die Veränderung im Produktsortiment, vorzubereiten, sieht der Geschäftsführer heute als eine seiner Kernaufgaben an. Die Analyse zeigt: Auch dann wird Rügenwalder Mühle wieder neue Wege finden, um Kunden mit Qualität und Geschmack zufrieden zu stellen. Vielleicht ja sogar auch Maximilian Krah…

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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