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„Wer hat Angst vor der Klima-RAF?“ – Ein notwendiger Perspektivwechsel mit blinden Flecken

Wie ein Buch reale Stimmen aus der Klimabewegung hörbar macht – und dabei analytische Distanz vermissen lässt

Das Schlagwort „Klima-RAF“ hat sich in den vergangenen Jahren zu einem rhetorischen Kampfbegriff entwickelt – genutzt von Politikerinnen und Kommentatoren, um Teile der Klimabewegung mit terroristischen Gruppen wie der RAF zu vergleichen. Das Buch „Wer hat Angst vor der Klima-RAF?“ von Sonja Manderbach und Zachary Gallant will diesem Diskurs eine dokumentarische, unmittelbare Perspektive entgegensetzen. Anstatt über Klimaaktivistinnen zu sprechen, lassen die Autoren diese selbst zu Wort kommen – unkommentiert, direkt und roh. Der Anspruch: die Realität hinter der medialen Hysterie sichtbar machen.

Technologie der Narration: Interviews statt Narrative

Das Buch setzt bewusst auf eine dokumentarische Herangehensweise. In neun Interviews mit Aktivist*innen aus verschiedenen Klimacamps in Europa – darunter Deutschland, Frankreich und Lateinamerika – entsteht ein vielschichtiges Bild vom Denken, Handeln und Fühlen einer neuen Protestgeneration. Der Fokus liegt dabei auf individuellen Motivationen, Ängsten und dem persönlichen Einsatz – etwa der Verzicht auf Familiengründung oder Karrieren im Dienst der Klimasache.

Ein analytisches Vorwort kontextualisiert die politische Eskalation des Begriffs „Klima-RAF“, unterlegt mit Zitaten von AfD-, CDU- und CSU-Politikern. Damit gelingt den Autoren eine Gegenüberstellung von öffentlicher Rhetorik und gelebter Aktivismusrealität.

Anwendung: Stimmen der Bewegung statt Sprachrohre der Politik

Wer hat Angst vor der Klima-RAF - Buchcover und Rezension

Die Interviews geben authentische Einblicke in eine Bewegung, die häufig nur als Schlagzeile oder Störfaktor medial auftaucht. Clotilde, eine französische Aktivistin, spricht über ihren freiwilligen Verzicht auf Kinder, um sich ganz dem Klimaengagement zu widmen. Gustav beschreibt psychische Belastungen durch Polizeigewalt auf Demos. Solche Aussagen veranschaulichen, wie stark sich viele Aktivist*innen mit ihrer Mission identifizieren – und was sie dafür aufgeben.

Die Diversität der Stimmen – geografisch, sozial, politisch – ist ein großer Mehrwert des Buches. Die Leser*innen erfahren, was es bedeutet, Klimaengagement nicht als Hobby, sondern als Lebensentscheidung zu verstehen.

Markt und Debatte: Zwischen Versachlichung und ideologischer Verengung

Mit seinem Fokus auf persönliche Perspektiven füllt das Buch eine Lücke in der öffentlichen Debatte. Es bietet keine Strategie für Klimaschutz, sondern einen Zugang zu den Menschen, die ihn fordern. In einer Zeit, in der mediale Aufregung oft die Faktenlage dominiert, ist das ein wertvoller Beitrag zur Versachlichung.

Allerdings zeigt sich hier auch eine zentrale Schwäche: Die Autoren übernehmen viele Aussagen der Interviewpartner*innen unkritisch. Problematische Positionen – etwa antidemokratische Haltungen oder verkürzte Gewaltdefinitionen – bleiben oft unwidersprochen. Aussagen wie „Ich glaube nicht, dass wir durch Wahlen etwas geändert haben“ oder die Relativierung von Gegengewalt werden nicht analysiert oder eingeordnet.

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Gerade im Spannungsfeld zwischen zivilem Ungehorsam, demokratischem Protest und möglicher Radikalisierung wäre mehr analytische Tiefenschärfe notwendig gewesen.

Politischer Kontext: Die „Klima-RAF“-Rhetorik als Strategie der Kriminalisierung

Das Buch verdeutlicht überzeugend, wie der Begriff „Klima-RAF“ politisch instrumentalisiert wird, um eine als störend empfundene Bewegung zu delegitimieren. Der Verweis auf reale historische Gewalt der RAF dient dabei oft als Drohkulisse. Dass dieser Vergleich angesichts der gewaltfreien Grundhaltung vieler Klimaaktivist*innen nicht haltbar ist, zeigt das Buch eindrücklich.

Gleichzeitig wird ein kritisches Versäumnis sichtbar: Die Autoren beleuchten zu wenig, wie interne Probleme – etwa antisemitische Tendenzen, wie sie von Interviewpartner Mikhail angesprochen werden – das Bild der Bewegung selbst beschädigen können. Auch diese Aspekte wären relevant für eine realistische Bewertung der politischen Relevanz der Bewegung.

Fazit: Wichtiges Korrektiv mit analytischen Schwächen

„Wer hat Angst vor der Klima-RAF?“ ist ein notwendiger Beitrag zur deutschen Klimadebatte – und gleichzeitig ein unvollständiger. Das Buch macht sichtbar, dass viele Klimaaktivist*innen keine Extremisten sind, sondern idealistische, engagierte Menschen mit Ängsten und Hoffnungen. Diese Menschlichkeit sichtbar zu machen, ist ein Verdienst des Buches.

Doch der dokumentarische Stil wird zum Problem, wenn er jede kritische Reflexion vermeidet. Die unkommentierte Darstellung radikaler Positionen untergräbt letztlich die Glaubwürdigkeit der intendierten Gegenerzählung. In der Balance zwischen Empathie und Analyse neigt das Buch stark zur ersteren – zulasten der differenzierten Einordnung.

👉 Bewertung: ⭐⭐⭐☆☆ (3 von 5 Sternen)

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