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Atmosphäre am Limit: CO₂-Rekordanstieg markiert dramatische Eskalation der Klimakrise
Sachverständigenrat bestätigt: CO2-Budget Deutschland aufgebraucht – Zukunftsklage erhält wissenschaftlichen Rückenwind
Die Weltorganisation für Meteorologie schlägt Alarm: 2024 verzeichnete den stärksten CO₂-Anstieg seit Beginn der Messungen vor fast 70 Jahren. Parallel liefert der Sachverständigenrat für Umweltfragen dem Bundesverfassungsgericht brisante Zahlen: Das CO₂-Budget Deutschland für das 1,5-Grad-Ziel ist aufgebraucht. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Mit 423,9 ppm erreicht die Treibhausgaskonzentration ein historisches Hoch – während gleichzeitig die natürlichen Kohlenstoffsenken dramatisch schwächeln.
Die Zahlen des neuen WMO-Treibhausgas-Reports lesen sich wie eine Botschaft aus der Zukunft: Die globale CO₂-Konzentration ist innerhalb nur eines Jahres um 3,5 ppm auf 423,9 ppm gestiegen – der stärkste Anstieg seit Beginn der systematischen Messungen 1957. Zum Vergleich: Der bisherige Rekord aus dem El Niño-Jahr 2015/16 lag bei 3,3 ppm, der Zehnjahresdurchschnitt bei moderaten 2,4 ppm pro Jahr.
Was diese Beschleunigung bedeutet, ist klar: Die Erdatmosphäre erlebt eine dramatische Eskalation. Die Klimakrise verschärft sich nicht linear, sondern exponentiell – und die Zeit für wirksame Gegenmaßnahmen schmilzt wie das Eis an den Polen.
Die doppelte Katastrophe: Mehr Emissionen, schwächere Senken

Der dramatische Anstieg hat zwei Hauptursachen, die sich fatal ergänzen. Erstens: Die fossilen CO₂-Emissionen bleiben mit 10,2 Gigatonnen Kohlenstoff (GtC) im Jahr 2024 auf erschreckend hohem Niveau. Öl, Gas und Kohle werden weiterhin in gigantischen Mengen verbrannt – trotz aller Klimakonferenzen und Klimaziele.
Zweitens – und das ist die eigentliche Hiobsbotschaft: Die natürlichen Kohlenstoffsenken versagen zunehmend. Ozeane und Landökosysteme, die bisher etwa die Hälfte der menschengemachten CO₂-Emissionen aufgenommen haben, kommen an ihre Grenzen. 2024 waren die Aufnahmeraten sowohl im Meer als auch an Land historisch niedrig.
Die Ursachen sind vielfältig und alarmierend:
Ozeane: Höhere Wassertemperaturen verringern die Löslichkeit von CO₂. Je wärmer das Wasser, desto weniger Gas kann es aufnehmen – ein klassischer Teufelskreis.
Landökosysteme: Extreme Dürren, beispiellose Waldbrände in Amazonien, Kanada, Bolivien und dem südlichen Afrika, sowie fortschreitende Entwaldung schwächen die Aufnahmekapazität dramatisch. Statt CO₂ zu binden, werden Wälder zu Emissionsquellen.
Das Ergebnis: Ein größerer Anteil der Emissionen verbleibt in der Atmosphäre und beschleunigt die Erwärmung zusätzlich.
Atmosphärenphysikerin Dr. Oksana Tarasova warnt: „Das System bricht zusammen. Es verändert sein Verhalten. Wir können nicht mehr vorhersagen, ob sich die 3,5 ppm Anstieg in diesem Jahr wiederholen. Wir wissen es einfach nicht.“
Der Kippunkt rückt näher: Rückkopplungsschleifen drohen
Die Weltorganisation für Meteorologie warnt eindringlich: Wir könnten an der Schwelle zu gefährlichen Rückkopplungsschleifen stehen. Wenn die Senken dauerhaft schwächer werden oder gar zu Emittenten werden, verschärft sich die Klimakrise selbstverstärkend – unabhängig davon, wie stark wir unsere Emissionen reduzieren.
Szenarien, die bisher als Extremfall galten, werden plötzlich real:
- Permafrostböden tauen und setzen Methan frei
- Wälder sterben ab und werden zu CO₂-Quellen
- Ozeane nehmen kaum noch CO₂ auf
Diese Mechanismen könnten einen Zustand herbeiführen, in dem selbst drastische Emissionsreduktionen nicht mehr ausreichen, um die Erwärmung zu bremsen. Das ist die eigentliche Katastrophe: Der Verlust der Kontrolle über das Klimasystem.
2024: Das Jahr der Extreme
2024 wird als Zäsur in die Klimageschichte eingehen – und zwar nicht im positiven Sinne. Es war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Erstmals wurde die kritische Marke von +1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau überschritten – wenn auch temporär verstärkt durch das El Niño-Phänomen.
Die Folgen waren verheerend:
Amazonas: Extreme Dürre ließ den Regenwald – normalerweise die „grüne Lunge“ der Erde – teilweise zur CO₂-Quelle werden. Waldbrände erreichten ein nie dagewesenes Ausmaß.
Bolivien und Brasilien: Flächenbrände auf Rekordniveau verwandelten riesige Waldgebiete in verkohlte Landschaften.
Kanada: Auch die borealen Wälder brannten in einem Umfang, der selbst frühere Rekordjahre übertraf.
Südliches Afrika: Dürreperioden schwächten die Vegetation und damit die CO₂-Aufnahme dramatisch.
Die Kombination aus El Niño, extremer Hitze und Dürre schuf einen perfekten Sturm für die Kohlenstoffbilanz – mit Folgen, die noch Jahre spürbar sein werden.
CO₂-Budget Deutschland aufgebraucht: Zukunftsklage bekommt Rückenwind
Während die globalen Emissionen neue Rekorde brechen, liefert der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) dem Bundesverfassungsgericht eine wissenschaftliche Stellungnahme, die politischen Sprengstoff birgt. Das Gericht hatte den SRU selbst um eine Bewertung des aktuellen Wissensstands gebeten – im Rahmen der laufenden Klima-Verfassungsbeschwerden, der sogenannten „Zukunftsklage“.
Hierzu das Interview mit Karsten Schwanke in den tagesthemen vom 15. Oktober 2025:
Die Botschaft des SRU ist eindeutig und alarmierend: Das CO₂-Budget Deutschland für das 1,5-Grad-Ziel ist vollständig aufgebraucht. Für das 1,75-Grad-Ziel verbleibt lediglich ein Restbudget von 2,5 Gigatonnen CO₂, das bei gleichmäßig sinkenden Emissionen spätestens 2033 erschöpft wäre.
Warum ist das Budget so dramatisch geschrumpft?
Der SRU stützt sich auf die neuesten wissenschaftlichen Studien von Forster et al. (2025), die das globale CO₂-Budget erstmals auf den aktuellen Stand der Emissionsdaten und Temperaturen gebracht haben. Die Gründe für die Schrumpfung sind klar:
- Zwischen 2020 und 2024 wurden global rund 200 Gt CO₂ ausgestoßen – diese mussten vom ursprünglichen Budget abgezogen werden. Die Welt hat in fünf Jahren verbraucht, was für ein ganzes Jahrzehnt hätte reichen sollen.
- Neue Klimamodelle erfassen den Einfluss anderer Treibhausgase präziser – insbesondere Methan und Lachgas. Das senkt das verbleibende CO₂-Budget zusätzlich um den Gegenwert von etwa 170 Gt CO₂.
- Die rekordhohen globalen Temperaturen 2023/24 (erstmals über 1,5 °C!) zeigen, dass die Erde schneller und stärker auf Treibhausgase reagiert als in älteren Modellen angenommen.
- Das Ergebnis: Das 1,5-Grad-Budget ist um rund 170 Gt CO₂ kleiner als noch im IPCC-Bericht 2021 angegeben. Deutschland lebt längst auf Pump – beim Klima.
Die verfassungsrechtliche Dimension
Der SRU zieht eine klare Verbindung zur deutschen Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2021 in seinem wegweisenden Klimabeschluss festgestellt: Klimaschutz ist eine verfassungsrechtliche Pflicht. Die Freiheitsrechte künftiger Generationen dürfen nicht unverhältnismäßig belastet werden.
Der SRU führt dazu aus:
„Da die Freiheitsrechte der jungen Generation angemessen zu wahren sind, muss die Lastenverteilung in der Zeit verhältnismäßig, das heißt ambitioniert und im Wesentlichen gleichmäßig erfolgen.“
Mit anderen Worten: Wenn heute zu wenig geschieht, zwingt das kommende Generationen zu radikalen, freiheitsbeschränkenden Einschnitten – und das ist verfassungswidrig. Die aktuellen Zahlen zeigen: Die Politik ignoriert dieses Urteil weiterhin.
Professor Remo Klinger, Prozessbevollmächtigter der Kläger, bringt es auf den Punkt:
„Wer den Klimabeschluss 2021 gelesen hat und denkt, man könne die Klimaziele einfach nach hinten verschieben, sollte spätestens jetzt in der verfassungsrechtlichen Realität angekommen sein.“
Was passiert jetzt?
Die „Zukunftsklage“ ist wieder beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Mit der SRU-Stellungnahme liegt nun das wissenschaftliche Fundament vor, auf dem Karlsruhe entscheiden kann. Viele Verfassungsrechtler erwarten:
👉 Das Gericht wird die Bundesregierung mit ziemlicher Sicherheit verpflichten, deutlich schärfere Klimaziele zu setzen und einen verbindlichen, Paris-kompatiblen Reduktionspfad vorzuschreiben.
Die politischen Implikationen sind enorm: Wenn Karlsruhe feststellt, dass das CO₂-Budget Deutschland nicht eingehalten wird, würde die gesamte Klima- und Energiepolitik auf den Prüfstand gestellt
Methan und Lachgas: Die unterschätzten Beschleuniger

Während CO₂ zu Recht im Fokus steht, verschärfen auch andere Treibhausgase die Lage dramatisch. Methan (CH₄) erreichte 2024 einen neuen Rekordwert von 1.942 ppb – ein Anstieg um 8 ppb gegenüber dem Vorjahr. Das klingt nach wenig, bedeutet aber eine Konzentration von 266 Prozent des vorindustriellen Niveaus.
Methan ist besonders gefährlich, weil es in der Atmosphäre zwar kürzer verweilt als CO₂, aber ein 80-mal stärkerer Klimatreiber über einen Zeitraum von 20 Jahren ist. Die Hauptquellen: Landwirtschaft (Viehzucht, Reisanbau), Energie (Öl- und Gasförderung, Kohlebergbau) und Biomasseverbrennung.
Lachgas (N₂O) kletterte auf 338,0 ppb – das entspricht 125 Prozent des vorindustriellen Wertes. Der Anstieg fiel zwar etwas geringer aus als 2023, bleibt aber auf besorgniserregend hohem Niveau. Hauptquellen sind Landwirtschaft (Düngemittel), Industrie und Verbrennung.
Die Bilanz 2024: Drei Rekorde auf einen Schlag
| Gas | 2024-Mittelwert | Anstieg in 1 Jahr | Anteil am Vorindustriellen |
|---|---|---|---|
| CO₂ | 423,9 ppm | +3,5 ppm | 152% |
| Methan | 1.942 ppb | +8 ppb | 266% |
| Lachgas | 338,0 ppb | +1,0 ppb | 125% |
Diese Zahlen sind mehr als Statistik – sie sind ein Alarmsignal. Jedes einzelne dieser Gase erreicht Rekordniveaus, und ihre kombinierte Wirkung treibt die Erderwärmung mit beschleunigter Geschwindigkeit voran.
Das globale CO₂-Budget schmilzt dramatisch schnell
Der WMO-Report erscheint nicht zufällig unmittelbar vor der COP 30 in Brasilien. Er liefert eine ernüchternde Zwischenbilanz zum Pariser Klimaabkommen: Das verbleibende globale CO₂-Budget – also die Menge an Treibhausgasen, die wir noch ausstoßen dürfen, um unter 1,5 °C zu bleiben – schmilzt dramatisch schnell.
Bei aktuellen Emissionsraten und unter Berücksichtigung der schwächelnden Senken könnte dieses Budget bereits in wenigen Jahren aufgebraucht sein. Danach wird jede weitere Tonne CO₂ die Erderwärmung über die kritische Schwelle treiben – mit unabsehbaren Folgen für Ökosysteme, Landwirtschaft, Wasserversorgung und menschliche Zivilisation.
Die WMO-Experten sind unmissverständlich: Die Reduktion fossiler CO₂-Emissionen muss absolute Priorität haben. Methan- und Lachgas-Minderung bleiben wichtige Hebel – aber ohne CO₂-Bremse sind alle anderen Maßnahmen wirkungslos.
Was jetzt geschehen muss
Die Botschaft des Reports ist glasklar: Wir stehen vor der vielleicht letzten Chance, das Ruder noch herumzureißen. Was es braucht, ist eine beispiellose globale Kraftanstrengung:
1. Nettonull-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts
- Sofortiger Ausstieg aus fossilen Energieträgern
- Massive Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien
- Elektrifizierung aller Sektoren (Verkehr, Industrie, Wärme)
- In Deutschland: Paris-kompatibler Reduktionspfad, der dem verfassungsrechtlichen Gebot gerecht wird
2. Schutz und Wiederherstellung natürlicher Senken
- Stopp der Entwaldung, insbesondere in Amazonien
- Massive Aufforstungsprogramme
- Schutz der Ozeane und Moorlandschaften
- Nachhaltige Landwirtschaft statt Monokulturen
3. Methan- und Lachgas-Reduktion
- Reform der Landwirtschaft (Düngemittel-Management)
- Stopfen von Methan-Lecks in der Öl- und Gasindustrie
- Verbessertes Abfallmanagement
4. Präzise Überwachung und Monitoring
- Flächendeckende Mess- und Überwachungssysteme
- Satelliten-gestützte CO₂-Kartierung
- Transparente Berichterstattung
5. Verfassungskonforme Klimapolitik
- Verbindliche Reduktionspfade, die Generationengerechtigkeit wahren
- Keine Verschiebung von Lasten in die Zukunft
- Regelmäßige wissenschaftliche Überprüfung der Zielerreichung
Die COP 30: Entscheidungsmoment der Klimapolitik
Der Zeitpunkt des Reports ist symbolträchtig: Die COP 30 im Amazonas – dem Herzen der globalen Kohlenstoffsenke – wird zum Lackmustest für die Ernsthaftigkeit der internationalen Klimapolitik. Brasilien als Gastgeber steht dabei besonders im Fokus: Kann das Land, dessen Regenwald 2024 so dramatisch gelitten hat, eine Führungsrolle bei der Rettung der Senken übernehmen?
Parallel wird in Karlsruhe entschieden, ob Deutschland seine Klimapolitik grundlegend überarbeiten muss. Die Kombination aus wissenschaftlicher Evidenz (WMO, SRU) und verfassungsrechtlichem Druck könnte einen historischen Wendepunkt markieren.
Die Erwartungen sind hoch, die Zeit ist knapp. Noch gibt es ein Zeitfenster – aber es schließt sich rapide.
Generationengerechtigkeit: Mehr als ein Schlagwort
Die Zukunftsklage macht deutlich, was in der politischen Debatte oft untergeht: Klimaschutz ist kein Luxusprojekt, sondern eine Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Jede Tonne CO₂, die heute emittiert wird, schränkt die Handlungsspielräume künftiger Generationen ein.
Die Kläger – viele von ihnen jung – argumentieren nicht mit abstrakten Klimamodellen, sondern mit konkreten Grundrechten: Dem Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit. Wenn das CO₂-Budget aufgebraucht ist, werden diese Rechte durch drastische Notmaßnahmen eingeschränkt – Fahrverbote, Rationierungen, Zwangsmaßnahmen könnten dann unausweichlich werden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2021 genau davor gewarnt: Wer heute zu wenig tut, verschiebt die Last auf morgen – und macht aus Freiheitsrechten leere Versprechen.
Der Countdown läuft – und Karlsruhe schaut zu
Der WMO-Treibhausgas-Report 2025 ist mehr als ein wissenschaftliches Dokument – er ist ein Ultimatum der Natur. Die Beschleunigung des CO₂-Anstiegs, das Versagen der Senken, die Rekordwerte bei allen Treibhausgasen: All das zeigt, dass wir die Kontrolle zu verlieren drohen.
Gleichzeitig liefert der Sachverständigenrat für Umweltfragen dem Bundesverfassungsgericht die wissenschaftliche Grundlage für eine historische Entscheidung: Das CO₂-Budget Deutschland ist aufgebraucht. Die bisherige Klimapolitik ist nicht Paris-kompatibel und verletzt die Rechte künftiger Generationen.
Die gute Nachricht: Noch haben wir die Technologien, das Wissen und die wirtschaftlichen Mittel, um gegenzusteuern. Erneuerbare Energien sind günstiger als je zuvor, Speichertechnologien reifen, Elektromobilität ist Realität geworden.
Die schlechte Nachricht: Die Zeit läuft uns davon. Jedes weitere Jahr mit hohen Emissionen und schwächelnden Senken bringt uns näher an irreversible Kipppunkte. Und jedes Jahr, in dem Deutschland sein CO₂-Budget überzieht, vertieft die verfassungsrechtliche Schieflage.
Das nächste Jahrzehnt entscheidet, ob sich das globale Klima noch stabilisieren lässt – oder ob wir in eine neue, unkontrollierbare Phase der Erderwärmung eintreten. Die Daten sind auf dem Tisch. Die Wissenschaft hat gesprochen. Das Bundesverfassungsgericht wird urteilen.
Jetzt ist die Politik am Zug.
Der Countdown läuft. Und die Uhr tickt lauter als je zuvor – sowohl in der Atmosphäre als auch vor dem höchsten deutschen Gericht.
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