
Reiches Kraftwerksstrategie: Gaskraftwerke statt Energiewende von unten?
Kraftwerksstrategie: Die Bundesregierung plant 12 Gigawatt neue Gaskraftwerke. Warum Fachleute warnen – und welche Alternativen es gibt.
Deutschlands Energiepolitik steht vor einer Richtungsentscheidung durch die Kraftwerksstrategie. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) will bis 2026 neue Gaskraftwerke mit 12 Gigawatt Leistung ausschreiben – deutlich mehr als bislang angenommen. Ziel sei die Versorgungssicherheit, doch Kritiker sehen darin einen klimapolitischen Rückschritt. In diesem Beitrag analysieren wir: Was steckt hinter der neuen Strategie? Wer profitiert? Und wie teuer wird es für Stromkund*innen?
Beim Stadtwerkekongress 2025 präsentierte Reiche die neue Marschroute: 12 Gigawatt Gaskraftwerke sollen als „Schnellboote“ ab Sommer 2026 ausgeschrieben werden. Das geht über die bisher diskutierten fünf bis zehn Gigawatt hinaus. Doch Expert*innen zweifeln an der Umsetzbarkeit: Ein Kraftwerksbau dauert mindestens vier Jahre, hinzu kommt ein global angespannter Markt für Gasturbinen. Das Zeitfenster bis 2030 ist eng – zu eng?
Hinzu kommt: Die Bundesnetzagentur erwartet bis 2035 einen Bedarf von bis zu 36 Gigawatt gesicherter Leistung. Sollte der Ausbau Erneuerbarer Energien weiter schleppen, könnten 24 Gigawatt auf fossile Kraftwerke entfallen. Das wiederum gefährdet den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen zum Jahr 2030.
Ein besonders kritischer Punkt ist die Finanzierung. Während Habecks Konzept vorsah, neue Kraftwerke über den Klima- und Transformationsfonds zu fördern, will Reiche die Kosten über Umlagen auf den Strompreis refinanzieren. Die EU fordert: Die erste Ausschreibungsrunde muss über den Markt bezahlt werden.
Laut einer Analyse des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft (BNE) könnte der geplante Kapazitätsmarkt mit fossilem Fokus Haushalte und Industrie mit bis zu 435 Milliarden Euro belasten – allein bis 2045. Das sind laut Sven Giegold dann zwei Cent mehr pro Kilowattstunde Strom, wenn die Lasten sowohl auf Unternehmen als auch auf andere Verbraucher verteilt werden. Würde bedeuten: Aus den Milliardensenkungen beim Strompreis wird eine Enttäuschung – allerdings dauert es bis dahin noch einige Jahre.
Dezentral günstiger: Das zeigt die New Energy Alliance
Dass es anders – und günstiger – gehen könnte, zeigt eine aktuelle Studie der New Energy Alliance. Sie beschreibt, wie dezentrale Lösungen die Versorgungssicherheit erhöhen und gleichzeitig die Stromkosten senken könnten. Konkret geht es um:
- Bidirektionales Laden von E-Autos
- Dynamische Stromtarife
- Direktvermarktung von Erneuerbaren
- Intelligente Messsysteme (Smart Meter)
Diese Technologien können die sogenannte Residuallast – also den Strombedarf bei Dunkelflaute – deutlich senken. Damit ließe sich ein Großteil der geplanten Gaskraftwerke vermeiden.
Auch der ntv-Podcast „Klimalabor“ greift diese Studie auf und stellt klar: Eine dezentrale Energiewende bringt Vorteile für Netzstabilität, Klima und Verbraucher*innen.
Wer profitiert? Die Rolle der Gasindustrie
Der Youtuber Andreas Schmitz analysiert in einem vielbeachteten Video die wirtschaftlichen Interessen hinter Reiches Plänen. Seine These: Die Strategie sichert vor allem der Gasindustrie und etablierten Versorgern wie RWE, EnBW und LEAG lukrative Märkte. Auf der Strecke bleiben Innovation, Wettbewerb und die Chance auf eine wirklich bürgernahe Energiewende.
Unterstützt wird diese Einschätzung durch das aktuelle Energiewende-Monitoring des Bundeswirtschaftsministeriums. Darin wird betont, wie wichtig Flexibilität, Digitalisierung und dezentrale Strukturen für die Effizienz der Energiewende sind.
Der KfW-Energiewendemonitor 2025 zeigt: Die Bereitschaft der Bürger*innen, in die Energiewende zu investieren, ist hoch. Voraussetzung dafür sind faire Marktbedingungen und transparente Politik. Eine auf Großprojekte fixierte Strategie, wie sie Reiche vorschlägt, könnte diese Beteiligung ausbremsen.
Fazit: Fossiler Rückschritt statt grüner Fortschritt?
Die Kraftwerksstrategie von Ministerin Reiche priorisiert kurzfristige Versorgungssicherheit – aber auf Kosten langfristiger Klimaziele, höherer Strompreise und einer möglichen Verzögerung des Kohleausstiegs.
Dabei gibt es Alternativen: Dezentralität, Digitalisierung, Speicher und Lastmanagement. Politischer Wille vorausgesetzt, ließen sich damit Versorgungssicherheit und Klimaschutz vereinen.
Ob Reiche diesen Weg noch einschlägt, ist unklar. Klar ist nur: Die Weichenstellungen der nächsten Monate entscheiden mit darüber, ob Deutschland seine Klimaziele bis 2030 und 2045 noch erreichen kann.
Studien zuum Download
- New Energy Alliance: https://www.new-energy-alliance.de/
- BMWE Monitoring: https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/energiewende-effizient-machen.pdf
- BNE-Analyse: https://www.bne-online.de/bne-hochrechnung-zentraler-kapazitaetsmarkt-verursacht-kosten-von-bis-zu-435-milliarden-euro/