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Net-Zero Framework: Kommt jetzt die globale CO₂-Abgabe auf die Schifffahrt?
Die IMO steht vor einer historischen Abstimmung über die weltweit erste branchenweite Klimaabgabe
Diese Woche entscheidet sich in London, ob die internationale Schifffahrt zur ersten Branche wird, die einer globalen CO₂-Abgabe unterliegt. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) stimmt noch bis heute, 17. Oktober 2025, über ihr „Net-Zero Framework“ ab, das Reedereien für Treibhausgasemissionen zur Kasse bitten würde. Sollte das Rahmenwerk angenommen werden, wäre es die erste verbindliche Klimaabgabe einer UN-Organisation und könnte wegweisend für andere Wirtschaftssektoren werden.
Breite internationale Unterstützung trotz amerikanischen Widerstands
Bereits im April dieses Jahres stimmten 63 Länder dem Rahmenwerk grundsätzlich zu, während nur 16 Staaten dagegen votierten. Zu den Unterstützern gehören die gesamte Europäische Union, wichtige Schifffahrtsnationen wie Griechenland, Japan und Südkorea sowie überraschenderweise auch China und Brasilien. Für die finale Annahme sind allerdings zwei Drittel der 108 Staaten erforderlich, die die entsprechenden internationalen Schifffahrtsabkommen ratifiziert haben.
Die USA unter Präsident Trump hingegen boykottieren die Verhandlungen vollständig und haben alle IMO-Mitglieder in einem diplomatischen Kraftakt aufgefordert, gegen das Framework zu stimmen. Washington droht unterstützenden Ländern mit drastischen Vergeltungsmaßnahmen, darunter Hafensperren für deren Schiffe, Visa-Beschränkungen für Schiffsbesatzungen und zusätzliche Handelssanktionen.
Trump selbst bezeichnete die geplante Abgabe als „Global Green New Scam Tax“ und kündigte an, die USA würden sich „in keiner Weise“ daran halten.
Funktionsweise und Umfang der geplanten CO₂-Abgabe
Das Net-Zero Framework sieht ein zweistufiges Preissystem vor, bei dem Reedereien je nach Überschreitung der festgelegten Emissionsgrenzwerte zwischen 100 und 380 US-Dollar pro Tonne CO₂ zahlen müssen. Betroffen wären alle Schiffe über 5.000 Tonnen Bruttoraumzahl, die etwa 85 bis 90 Prozent der internationalen Schifffahrtsemissionen verursachen. Die jährlichen Einnahmen werden auf 10 bis 12 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Diese Mittel sollen in einen neu geschaffenen „IMO Net-Zero Fund“ fließen, der gezielt die Entwicklung und den Einsatz klimafreundlicher Schiffstechnologien fördern würde. Ein wesentlicher Teil der Gelder ist auch für die Unterstützung von Entwicklungsländern beim Übergang zu sauberen Kraftstoffen wie grünem Methanol, Ammoniak oder Wasserstoff vorgesehen. Bei erfolgreicher Annahme würde das Net-Zero Framework 2027 in Kraft treten, mit ersten Zahlungsverpflichtungen ab 2028.
Scharfe Kritik aus den USA und unterstützenden Medien
Die Trump-Administration führt ihren Widerstand mit ungewöhnlicher Vehemenz. US-Außenminister Marco Rubio und andere Kabinettsmitglieder bezeichnen die Abgabe als „taxation without representation“ und „europäisch geführten neokolonialen Export von Klimaregulierung“. Sie argumentieren, dass eine nicht gewählte UN-Organisation kein Recht habe, Steuern zu erheben, die letztendlich amerikanische Verbraucher belasten würden.
Das einflussreiche Wall Street Journal unterstützt diese Position mit einem scharfen Editorial, das das Framework als ersten Fall einer direkten UN-Steuer kritisiert und vor Korruption sowie mangelnder demokratischer Kontrolle warnt. Auch andere konservative Medien wie Breitbart und RedState mobilisieren gegen die „UN-Steuer“ und rahmen sie als Angriff auf die amerikanische Souveränität.
Die mediale Kampagne folgt dabei den typischen Mustern Trump-naher Berichterstattung, die globale Institutionen grundsätzlich als Bedrohung nationaler Interessen darstellt.
Warum eine globale Lösung unverzichtbar ist
Die internationale Schifffahrt verursacht etwa drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen und war bislang einer der wenigen großen Wirtschaftssektoren ohne verbindliche Klimaregulierung. Anders als nationale Alleingänge würde eine weltweite Abgabe gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und das Problem des „Carbon Leakage“ zu weniger regulierten Häfen vermeiden. Regionale Lösungen wie der EU-Emissionshandel, der seit 2024 auch die Schifffahrt erfasst, können nur begrenzt wirken, solange der Großteil der internationalen Routen unreguliert bleibt.
Die Abgabe würde entscheidende Anreize für Innovationen setzen und alternative Kraftstoffe wirtschaftlich attraktiver machen. Derzeit sind grüne Schiffstreibstoffe deutlich teurer als konventionelle Kraftstoffe, was deren Markteinführung hemmt. Durch die CO₂-Bepreisung würde diese Kostenlücke verringert und die Entwicklung sauberer Technologien beschleunigt. Die geschätzten Milliardeneinnahmen könnten gezielt für Forschung, Infrastruktur und die Unterstützung von Entwicklungsländern beim Übergang zu klimaneutraler Schifffahrt eingesetzt werden.
Europäische Führung und industrielle Unterstützung
Die Europäische Union steht fest hinter dem Net-Zero Framework und betrachtet es als „bedeutenden Meilenstein“ für die Dekarbonisierung der Schifffahrt. Brüssel argumentiert, dass nur globale Lösungen ein echtes „level playing field“ schaffen können und verweist auf die positiven Erfahrungen mit dem eigenen Emissionshandel. Auch wichtige EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland und Frankreich unterstützen die Initiative als notwendigen Schritt zur Erreichung der Klimaziele.
Bemerkenswert ist auch die Unterstützung aus der Industrie selbst. Große Reedereien und Branchenverbände wie die International Chamber of Shipping befürworten die Abgabe, da sie Planungssicherheit für langfristige Investitionen in saubere Technologien schafft. Viele Unternehmen sehen in der globalen Regelung eine Chance, ihre bereits getätigten Investitionen in klimafreundliche Schiffe zu amortisieren und Wettbewerbsvorteile gegenüber weniger innovativen Konkurrenten zu erlangen.
Überraschende internationale Allianzen
Besonders bemerkenswert ist die Unterstützung Brasiliens, das als Gastgeberland der kommenden COP30-Klimakonferenz das Net-Zero Framework trotz früherer Bedenken nun befürwortet. Brasília sieht in der Annahme ein wichtiges Signal für die Glaubwürdigkeit internationaler Klimabemühungen vor der entscheidenden Konferenz. Auch China, das ursprünglich alternative Modelle wie Emissionsgutschriften vorgeschlagen hatte, fügt sich pragmatisch in den multilateralen Kompromiss ein.
Klimavulnerable Inselstaaten aus der Karibik und dem Pazifik gehören zu den vehementesten Unterstützern der Abgabe, da sie sowohl von steigenden Meeresspiegeln als auch von höheren Transportkosten besonders betroffen sind. Sie argumentieren, dass die langfristigen Klimaschäden die kurzfristigen wirtschaftlichen Belastungen bei weitem überwiegen. Andere Entwicklungsländer zeigen sich hingegen gespalten, da sie Sorgen vor höheren Handelskosten und negativen Auswirkungen auf ihre Volkswirtschaften haben.
Fragwürdige Argumentation der Trump-Administration
Die Begründungen der US-Regierung für ihren Widerstand weisen mehrere Widersprüche auf. Während Washington höhere Schifffahrtskosten als inakzeptable Belastung für amerikanische Verbraucher kritisiert, droht es gleichzeitig mit Maßnahmen wie Hafengebühren und Sanktionen, die ebenfalls die Transportkosten erhöhen würden. Die Behauptung mangelnder demokratischer Legitimation übersieht zudem, dass alle IMO-Mitgliedsstaaten gleichberechtigt vertreten sind und das Net-Zero Framework nach jahrelangen multilateralen Verhandlungen entstanden ist.
Der Zeitpunkt des verschärften US-Widerstands ist ebenfalls aufschlussreich, da er mit einem eskalierenden Handelskrieg mit China und der Einführung neuer Hafengebühren für chinesische Schiffe zusammenfällt. Dies deutet darauf hin, dass handelspolitische Motive mindestens ebenso wichtig sind wie die offiziell vorgebrachten Klimaschutz-Bedenken. Die Trump-Administration scheint die IMO-Abgabe primär als weiteres Instrument im geopolitischen Konkurrenzkampf zu betrachten, anstatt sie als sachpolitische Klimamaßnahme zu bewerten.
Weitreichende Bedeutung für die internationale Klimapolitik
Sollte das Net-Zero Framework trotz amerikanischen Widerstands angenommen werden, wäre dies ein starkes Signal für die Handlungsfähigkeit multilateraler Institutionen auch ohne US-Beteiligung. Es würde zeigen, dass internationale Klimapolitik auch dann funktionieren kann, wenn sich die größte Volkswirtschaft der Welt querstellt. Gleichzeitig würde es einen wichtigen Präzedenzfall für ähnliche Abgaben in anderen schwer regulierbaren Sektoren wie der Luftfahrt oder dem Zement- und Stahlbereich schaffen.
Die praktische Umsetzung wird allerdings komplex werden, insbesondere wenn sich die USA tatsächlich weigern, das System anzuerkennen oder gar Vergeltungsmaßnahmen ergreifen. Unklar ist auch, wie sich die IMO-Abgabe zu bestehenden regionalen Systemen wie dem EU-Emissionshandel verhält und ob es zu Doppelbelastungen oder Anrechnungsverfahren kommt. Diese technischen Fragen müssen in den kommenden Monaten gelöst werden, sollte das Net-Zero Framework angenommen werden.
Für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis 2050 ist die Schifffahrtsabgabe dennoch ein wichtiger Baustein, auch wenn sie allein nicht ausreichen wird. Sie könnte den Anstoß für ähnliche Maßnahmen in anderen Sektoren geben und zeigen, dass verbindliche globale Klimapolitik trotz geopolitischer Spannungen möglich ist. Die Abstimmung in London wird daher weit über die Schifffahrt hinaus Signalwirkung haben für die Zukunft internationaler Umweltpolitik.
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