Precision Labs GmbH
Precision Labs: Die präzisen Milch-Revolutionäre aus München
Wie drei E-Commerce-Veteranen mit Biotechnologie und Präzisionsfermentation eine neue Milchgeneration erfinden
Die Spannung in der „Höhle der Löwen“ war greifbar. Fast zwei Stunden verhandelten Dr. Fabio Labriola, Philipp von Plato und Malte Zeeck, die Gründer von Precision Labs, mit den Investoren – am Ende verdichtet auf 20 Minuten Sendezeit. Frank Thelen nannte es später einen der „intensivsten Fights“ der Show. Das Thema: eine weiße Flüssigkeit, die wie Milch schmeckt, schäumt und sich verhält, aber zu 97 Prozent ohne Kuh hergestellt wird.
Der Deal kam unter Vorbehalt der Zustimmung der 20 Bestandsinvestoren zustande (hier gibt es die Sendung bei RTL+): 12 Prozent für 500.000 Euro. Doch Wochen nach der Ausstrahlung verhandeln Thelen und sein Team noch immer mit diesen Anteilseignern. „Der Deal ist noch nicht zustande gekommen“, sagt Malte Zeeck heute. Zu den prominenten Geldgebern des Münchener Cleantech-Startups zählen u.a. die Fußballstars Ilkay Gündogan, Joshua Kimmich und Serge Gnabry sowie weitere Athleten.
Dass die drei Gründer es sich leisten können, auch mal „nein“ zu sagen, liegt an ihrer Vergangenheit: Labriola baute fashionette zum führenden Handtaschen-E-Commerce aus, von Plato skalierte InterNations und Westwing international, Zeeck entwickelte InterNations zur weltweit größten Expat-Community. Drei serielle Entrepreneurs mit bewiesener Skalierungs-Expertise – und jetzt einer Mission.
Vom Luxus-Commerce zum Impact-Food
Was macht erfolgreiche E-Commerce-Gründer zu Milch-Revolutionären? „Wir sind mit Kuhmilch groß geworden„, erklärt das Team. Doch beim genaueren Hinsehen wurden ihnen die Probleme bewusst: hohe CO2-Emissionen, Tierwohl-Fragen, ernährungsphysiologische Nachteile. Pflanzliche Alternativen bieten zwar ökologische Vorteile, erreichen aber geschmacklich nicht das Original.
Hier setzen die drei mit ihrer Innovation an. Aktuell kombiniert Precision hochwertige Milchproteine mit pflanzlichen Zutaten wie Rapsöl, Zichorienwurzelfaser und Zitrusfaser zu einer Milch, die zu 97 Prozent ohne Kuh auskommt. „Unsere größte
Herausforderung war es, das Zusammenspiel aus Rezeptur und Verfahrenstechnik so zu
perfektionieren, dass am Ende eine Milchalternative entsteht, die sehr nah an den Geschmack
von echter Kuhmilch herankommt und sich genauso verhält – aber ein besseres Nährstoffprofil
hat“, so Philipp von Plato.
Das mittelfristige Ziel: Bis 2027 soll Präzisionsfermentation den letzten Rest konventioneller Milch ersetzen – Mikroorganismen würden dann in Bioreaktoren Milchproteine produzieren, genetisch identisch mit denen aus Kuhmilch, aber komplett ohne Tier.
Die aktuelle Rezeptur ist bereits marktreif: laktose- und cholesterinfrei, mit 70 Prozent weniger Zucker als herkömmliche Milch. In Blindverkostungen schneidet das Produkt nach Unternehmensangaben regelmäßig besser ab als sowohl Kuhmilch als auch pflanzliche Alternativen.
Die verbleibenden drei Prozent konventioneller Milch sind vor allem regulatorischen Hürden geschuldet. Für die vollständige Umstellung auf Präzisionsfermentation braucht jedes einzelne biotechnologisch hergestellte Protein eine Novel-Food-Zulassung der EU – ein Prozess, der Jahre dauert.
Regulatorische Hürden bremsen Precision-Innovation
Diese Zulassungsproblematik ist typisch für die junge Branche der Präzisionsfermentation. Auch Formo aus Berlin, der direkteste deutsche Konkurrent, kämpft mit denselben bürokratischen Mühlen. Während in den USA bereits mehrere Milchproteine aus Fermentation zugelassen sind, wartet Europa noch auf den Durchbruch.
Nach Angaben des Cleantech-Unternehmens funktioniert die Technologie bereits vollständig. Das Startup könnte laut eigenen Aussagen morgen komplett tierfrei produzieren, muss aber rechtlich jeden Baustein einzeln genehmigen lassen.
Der bittere Beigeschmack: Während die EU über Novel-Food-Anträge grübelt, verschärft sich das Klimaproblem der konventionellen Milchwirtschaft täglich. Ein Liter Kuhmilch verursacht etwa 3,2 Kilogramm CO2, die Precision Labs-Variante kommt nach eigenen Angaben mit einem Drittel davon aus.
Schneller Markteintritt mit großen Plänen
Die Markteinführung läuft nach E-Commerce-Lehrbuch: Von null auf über 1.000 EDEKA-Filialen in Südbayern binnen weniger Wochen. Aktuell gibt es Precision in zwei Varianten – fettarm mit 1,5 Prozent und Vollmilch mit 3,5 Prozent Fett. Doch das ist erst der Anfang: Das Team plant ein breites Sortiment von Joghurt über Käse bis hin zu Desserts.
„Wir denken europaweit“, betont das Gründerteam. Nach Deutschland soll die Expansion in andere EU-Märkte folgen – ein typischer Schritt für die InterNations- und Westwing-Veteranen, die internationale Skalierung im Blut haben. Die Kombination aus bewährter E-Commerce-Expertise und der Vision einer komplett neuen Produktkategorie könnte dabei der entscheidende Vorteil sein.
Die Finanzwelt sieht das pragmatischer. Der globale Markt für alternative Proteine wird auf 290 Milliarden Dollar bis 2035 geschätzt, Milchersatz macht einen erheblichen Anteil davon aus.
Precision Food: Die Zukunft der Milch?
Ob Precision Labs diese Zukunft prägen wird, ist offen. Die Technologie funktioniert, das Geschäftsmodell steht. Der Online-Shop ist live geschaltet. Skaliert wird bei einem Produktionspartner, der besonders nachhaltig herstellen kann. Pro Liter kostet die biotechnologische Milch derzeit etwa das Doppelte der konventionellen – vergleichbar mit anderen Milchalternativen.
Labriola betont, dass das Unternehmen sich nicht als Gegner der Landwirtschaft sehe, sondern als nächste logische Stufe in einer gemeinsamen Wertschöpfungskette für gesunde, klimafreundliche Ernährung.
2026 wollen die präzisen Milch-Revolutionäre mit ihren Produkten bereits bundesweit in den Supermarktregalen stehen – womöglich mit Pacemaker Frank Thelen an Bord.
Bis 2027 soll dann die vollständig tierfreie Variante auf Basis von Präzisionsfermentation auf den Markt bringen – sofern die Behörden mitspielen. Falls nicht, bleibt es zunächst bei den 97 Prozent: fast echte Milch, fast ganz ohne Kuh, aber eine Art neue Milchgeneration. In Zeiten des Klimawandels könnte das „fast“ am Ende reichen.