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Anzeichen für Umbruch: Ozeanische Zirkulation im Südpolarmeer verhält unerwartet

Satellitendaten belegen eine zunehmende Versalzung im Südlichen Ozean – entgegen den Erwartungen der Klimamodelle. Forschende vermuten eine grundlegende Veränderung der Tiefenzirkulation.

Neue Satellitendaten deuten auf eine unerwartete Veränderung der ozeanischen Zirkulation im Südpolarmeer hin. Ein europäisches Forschungsteam berichtet von einer zunehmenden Versalzung an der Oberfläche – im Widerspruch zu bisherigen Klimamodellen, die mit einem Zufluss von Schmelzwasser und damit sinkender Salinität gerechnet hatten. Die Ergebnisse legen nahe, dass sich die Tiefenzirkulation der Southern Meridional Overturning Circulation (SMOC) in einem bislang nicht beobachteten Zustand befindet – mit potenziell weitreichenden Folgen für das globale Klimasystem. Veröffentlicht wurde die Analyse in der Fachzeitschrift PNAS.

Seit Jahrzehnten ist klar: Die globale Ozeanzirkulation gehört zu den zentralen Klimaregulatoren des Planeten. Besonders die Atlantische Umwälzströmung (AMOC) wird in der Klimaforschung regelmäßig als potenzielles Kippelement diskutiert. Doch nun rückt ihr bislang wenig beachtetes Gegenstück auf der Südhalbkugel in den Fokus: die Southern Meridional Overturning Circulation (SMOC). Neue Beobachtungen deuten darauf hin, dass sich ihr Verhalten deutlich verändert hat.

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des britischen National Oceanography Centre (NOC) hat mithilfe hochauflösender Satellitendaten festgestellt: Statt wie bisher kaltes Oberflächenwasser in die Tiefe zu transportieren, steigt im Südpolarmeer offenbar zunehmend warmes, CO₂-reiches Tiefenwasser auf. Die Daten stammen aus dem Zeitraum seit 2016 und wurden im Rahmen des ESA-Projekts SO-FRESH systematisch ausgewertet.

Ob es sich dabei um eine vorübergehende Störung oder eine dauerhafte strukturelle Veränderung handelt, ist derzeit noch unklar. Sicher ist jedoch: Die Entwicklungen in der SMOC – ebenso wie in der AMOC – müssen in den kommenden Jahren engmaschig weiterbeobachtet werden. Beide Systeme sind entscheidend für das globale Klima, insbesondere für Meeresspiegel, Wärmeverteilung und CO₂-Bilanzen der Weltmeere.

Was ist die SMOC, und warum ist sie so wichtig?

Die SMOC ist ein gewaltiges Strömungssystem, das kaltes Oberflächenwasser absinken lässt, dabei Wärme, Nährstoffe und Kohlendioxid transportiert – und wie ein Klimakühler wirkt. Durch die vertikale Durchmischung werden Wärme und Kohlenstoff langfristig in den Tiefen des Ozeans gespeichert. Ohne diese Speicherwirkung wäre die Atmosphäre heute spürbar wärmer.

Doch nun zeigen neue Daten ein gegenteiliges Bild: Salzgehalt und Temperatur im Südpolarmeer steigen – ein Hinweis darauf, dass die bisher stabile Schichtung des Wassers aus dem Gleichgewicht gerät. In der Folge steigt Tiefenwasser auf, das seit Jahrhunderten CO₂ gespeichert hat – und gibt dieses Treibhausgas wieder an die Atmosphäre ab. Das könnte die Konzentration von CO₂ in der Luft zusätzlich erhöhen – und damit den Klimawandel weiter anheizen.

„Das haben wir so noch nie gesehen“

Antonio Turiel vom Institut de Ciències del Mar (ICM-CSIC) ist Ko-Autor der Studie und spricht in der offiziellen Pressemitteilung von einem bisher nie beobachteten Wandel der ozeanischen Zirkulation auf der Südhalbkugel::

„Wir beobachten eine grundlegende Veränderung der Ozeanzirkulation auf der Südhalbkugel. Das haben wir so noch nie gesehen.“

(Anmerkung: Dr. Turiel relativierte später die Formulierung ‚Umkehr‘ als vereinfachend – gemeint ist eine tiefgreifende Abweichung vom Modellverhalten. Daher wurde das Zitat leicht abgewandelt)

Die Folgen seien potenziell dramatisch: Schmelzprozesse am antarktischen Meereis beschleunigen sich, CO2 wird freigesetzt, und die Stabilität anderer Strömungssysteme wie der AMOC könnte untergraben werden.

Studienergebnisse im Überblick (Silvano et al., PNAS, 30.06.2025):

  • Salinitätsanstieg seit 2015 in fast allen Bereichen des Südpolarmeers
  • Rückgang der vertikalen Stabilität, d. h. schwächere Schichtung
  • Wiederauftauchen der Maud-Rise-Polynya – ein Zeichen für Auftriebstätigkeit
  • Anhaltend niedrige Meereisbedeckung seit 2016
  • Starker Zusammenhang zwischen Salinität und Eisausdehnung (r = -0,62)

Kipppunkt erreicht? Zusammenhang mit Rockströms Warnung

Der schwedische Klimaforscher Johan Rockström warnt seit Jahren vor dem drohenden Verlust der Weltmeere als zentrale CO₂-Senke. Die aktuellen Beobachtungen im Südpolarmeer könnten nun genau diesen kritischen Punkt einleiten. Denn mit dem Aufstieg von Tiefenwasser wird nicht nur jahrhundertealter Kohlenstoff freigesetzt – auch die Fähigkeit des Ozeans, neues CO₂ aus der Atmosphäre aufzunehmen, wird deutlich geschwächt.

Die gleichzeitige Schwächung von SMOC im Süden und AMOC im Norden deutet darauf hin, dass die sogenannte thermohaline Pumpe – das globale Zirkulationssystem, das Wärme und Kohlenstoff über die Weltmeere verteilt – ins Stocken geraten könnte.

Ob damit bereits ein klimatischer Kipppunkt erreicht ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher sagen. Die beobachteten Veränderungen sind jedoch auffällig und besorgniserregend – und weichen deutlich von bisherigen Modellannahmen ab. Forschende betonen, dass diese Entwicklungen in den kommenden Jahren engmaschig weiterbeobachtet werden müssen.

Noch Messfehler oder schon Systemwechsel?

Kritische Stimmen könnten einwenden: Handelt es sich hier nicht bloß um eine natürliche Schwankung? Doch das Team um Alessandro Silvano liefert klare Gegenargumente: Die beobachtete Veränderung ist statistisch signifikant, räumlich kohärent, zeitlich stabil – und durch physikalisch plausible Mechanismen erklärbar. Kurzfristige atmosphärische Einflüsse wie Windanomalien oder Wetterphasen reichen zur Erklärung nicht aus.

Ermöglicht wurde diese Erkenntnis erst durch Fortschritte in der Satellitenbeobachtung: Mit dem ESA-Instrument SMOS (Soil Moisture and Ocean Salinity) und neuen Auswertungsalgorithmen des Barcelona Expert Center lässt sich die Polarregion heute in bislang unerreichter Auflösung und zeitlicher Dichte beobachten. Damit beginnt eine neue Ära der Echtzeitüberwachung großskaliger ozeanischer Prozesse.

Was bedeutet das für die Welt?

Sollten sich die beobachteten Veränderungen der SMOC bestätigen und verstetigen, könnten sich daraus mehrere klimarelevante Folgen ergeben:

  • Eine verstärkte Freisetzung von CO₂ aus dem Ozean – bei gleichzeitiger Reduktion der Aufnahmefähigkeit
  • Eine Beschleunigung des antarktischen Eisschwunds, insbesondere durch veränderte Wärmeeinträge aus der Tiefe
  • Eine mögliche Beeinträchtigung der Stabilität der AMOC, sofern beide Systeme stärker gekoppelt sind als bislang angenommen
  • Langfristig könnte sich das klimatische Gleichgewicht der Erde weiter verschieben

Insgesamt würde ein solcher Prozess den Zeitraum verkürzen, in dem die Weltgemeinschaft den globalen Temperaturanstieg durch klimapolitische Maßnahmen noch kontrollieren kann. Die Entwicklung verdeutlicht, wie entscheidend das verbleibende Zeitfenster für wirksamen Klimaschutz ist.

Der Südozean spricht – hören wir zu?

Zum ersten Mal deuten Satellitendaten auf eine fundamentale Veränderung eines ozeanischen Klimamotors hin. Was über Jahrzehnte hinweg als theoretisches Kipppunkt-Szenario diskutiert wurde, zeigt sich nun möglicherweise in der Realität. Ob sich das System künftig stabilisiert – oder in einen neuen Zustand kippt –, ist derzeit offen.

Fest steht jedoch: Der Planet sendet Warnsignale – und zwar aus den entlegensten und kühlsten Regionen der Erde. Wenn wir verhindern wollen, dass das globale Klimasystem aus dem Gleichgewicht gerät, braucht es jetzt konsequentere und schnellere Maßnahmen im Klimaschutz. Beobachten allein reicht nicht mehr.

Die neuen Erkenntnisse zum Zustand der Ozeanzirkulation verstärken die Stimmen jener, die davon ausgehen, dass sich die Klimakrise ihrem Wendepunkt nähert oder bereits darüber hinaus ist – darunter prominente Vordenker wie der kanadische Umweltaktivist David Suzuki, der immer wieder betont: „Wir befinden uns im letzten Kapitel der fossilen Ära – und handeln zu langsam.“

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