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Waldsterben 2.0: Waldarbeiter kämpfen gegen Sturm, Trockenheit, Hitze und Käfer

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Der Klimawandel begünstigt die Vermehrung des Borkenkäfers und trägt entscheidend zum Waldsterben 2.0 bei. Die Kosten gehen in die Milliarden.

Es sind betrübliche Aussichten: Fichten unterhalb von 600 Metern werden in Deutschland aussterben. Dabei ist die Fichte der Baum, der Land- und Forstbetrieben 90 Prozent der Erträge bringt – denn sie ist flexibel einsetzbar. Aber der laue Winter zuletzt und Orkantief Friederike 2018 haben die Bestände so stark dezimiert, dass sich nun Krisensitzung an Krisensitzung reiht. Thüringen will am Dienstag einen Masterplan zur Rettung des Waldes vorlegen, um das Waldsterben 2.0 aufzuhalten.

Alleine in Thüringen müssen in den kommenden zehn Jahren nach Einschätzung der zuständigen Ministerin des Bundeslandes 200 Millionen Bäume gepflanzt werden, um den Baumbestand zumindest zu erhalten. Dabei muss zunächst entschieden werden, ob der Wald eher für die Forstwirtschaft genutzt werden soll oder ober er besonders beständig sein soll, um sich gegen Hitze, Wassermangel und Trockenheit sowie den Borkenkäfer zur Wehr setzen zu können.

Die Fichte, die ein Drittel der deutschen Waldfläche ausmacht, hat diesen Kampf verloren. Sie wurzelt nicht besonders tief und hat es daher schwer, an ausreichend Wasserreserven zu gelangen. Die Fichte braucht aber Wasser, um genügend Harz zu produzieren – denn dieses wiederum ist entscheidend, um die Ausbreitung des Borkenkäfers auf natürlich sinnvollem Niveau zu halten. Der Borkenkäfer wird auch als der große Buchdrucker bezeichnet.

300 bis 400 Borkenkäfer kann eine gesunde Fichte „abwehren“ – sind es mehr wie in diesen Tagen so häufig, dann verdurstet der Baum und der Käfer gewinnt. Die Borkenkäfer-Plage in diesem und im vergangenen Jahr kommt durch die milden Winter zustande: 80, 90 Prozent der Borkenkäfer überleben und erwachen bei 15 Grad aus dem Winterschlaf. Dann stürzen sie sich auf die Bäume, die aufgrund erster Mangelerscheinungen besonders anfällig sind. Und vermehren sich im Eiltempo.

Waldsterben 2.0: Förster brauchten staatliche Hilfe

Förster im ganzen Land kämpfen mit Mensch und Maschine gegen den Borkenkäfer an – doch beispielsweise an Hanglagen ist schweres Gerät kaum einsetzbar. Dadurch werden die toten Bäume nicht entsorgt, neuer Wald kann nicht gepflanzt werden. Und die Mengen an „Käferholz“ sind kaum zu bewältigen – es fehlt an Maschinen, an Personal, an LKWs und an genügend Lagerplatz bei naheliegenden Sägewerken.

Wie dramatisch die Situation durch monatelange Zeit ohne Regen ist, zeigt, dass es der Borkenkäfer erstmals schafft, in einem Jahr in drei Generationen über den Wald herzufallen. Milliardenfach organisiert er das Waldsterben 2.0.

Dazu kommt: Der Markt für Fichtenholz ist nach dem Sturm 2018 gesättigt – Käferholz zusätzlich können die Sägewerke kaum verarbeiten. Es fehlt an LKWs, Personal – und an einem funktionierenden Markt. Forstwirtschaftliche Betriebe kommen ohne staatliche Hilfe nicht mehr über die Runden.

Waldsterben 2.0
Aus grün wird braun: Waldsterben 2.0 (Foto Schutzgemeinschaft Deutscher Wald)

Förster beschaffen sich selbst Holztransporter und fahren etwa aus Thüringen zu Sägewerken in anderen Regionen, die noch Holz aufnehmen. Aber auch dort ist der Preis für Holz zusammengebrochen. Es braucht staatliche Eingriffe, um eine Tragödie zu verhindern. Vom Baum leben in Deutschland mehr als eine Million Menschen – vergleichbar mit der Autoindustrie.

Für viele ist der Wald die Altersvorsorge: Sturm und Käfer haben die Investitionen der letzten Jahrzehnte zunichte gemacht. Die Hilferufe einer oft kaum beachteten, aber so wichtigen Branche, werden lauter. Alleine in Thüringen sollen im kommenden Jahrzehnt 200 Millionen Bäume gepflanzt werden – überwiegend solche, die den Witterungsverhältnissen besser Stand halten als die Fichte. Die identischen Eigenschaften haben diese Bäume beim Verkauf allerdings nicht – die Fichte liefert den idealen Rohstoff vom Zellstoff bis zum Bauholz.

In Baumschulen überall in Thüringen werden Setzlinge gezüchtet – eine der größeren beziffert ihr Potenzial auf zwei Millionen Eichen-Setzlinge pro Jahr. Es braucht, so die Einschätzung der Landesanstalt ThüringenForst und anderer Institutionen jetzt jede Hand, freiwillige und ehrenamtliche Kräfte, um in einer gemeinsamen Kraftanstrengung den Wald zu retten.

Die Zahl 200 Millionen Bäume zeigt: An zusätzliche Aufforstung, um das Klima zusätzlich zu schützen, ist nicht zu denken. So verklagt der Forstunternehmerverband Thüringen, dass in Deutschland kaum Mitarbeiter zu finden seien für die körperlich schwere Arbeit im Wald. Unterstützung kommt längst aus Osteuropa wie der Slowakei, Rumänien oder Ungarn. Besonders beliebt sind Waldarbeiter, die gleich noch schweres Gerät mitbringen.

Forstministerin will Masterplan 2030 für Thüringer Wald vorlegen

Am kommenden Dienstag will die thüringische Forstministerin Birgit Keller (Die Linke) in einer Sondersitzung des Kabinetts einen Masterplan 2030 zur Rettung des Waldes vorlegen. Nach einem Bericht des MDR will Keller bei der Beseitigung der Waldschäden nicht auf die Eigentumsverhältnisse achten – ein großer Teil des Waldes ist in Privatbesitz und wird als Hobby betrieben. Andere Waldstücke sind staatlich oder kommunal.

Vom Waldsterben 2.0 wie Forstwirte sagen, sind alle Wälder gleichermaßen betroffen, mittlerweile auch andere Baumarten als nur die Fichte. „Wir haben große Kahlflächen im Wald, wenn wir dort die Sanierung durchgeführt haben. Das, was heute braun ist, das werden kahle Flecken werden. Und die müssen wir sehr schnell füllen und wieder aufforsten“, so Keller. Alleine für Thüringen wird das 50 Millionen Euro pro Jahr kosten.

In Deutschland sind die Wälder am stärksten von der Klimakrise betroffen. In Folge der anhaltenden Trockenheit und Hitze der letzten Jahre spitzt sich die Situation dramatisch zu, es droht ein Waldsterben 2.0. Die Bäume sind durch den permanenten Eintrag von Luftschadstoffen und durch die Überdüngung aus der Luft geschwächt, der Waldboden ist ausgedorrt. Waldbrände, Stürme und Massenvermehrungen von Borkenkäfer und Nonne lassen in der Folge ganze Waldbestände aus naturfernen Fichten- und Kiefernmonokulturen zusammenbrechen“

Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND

Ein Kern ist die Aufzucht von Setzlingen – hier sollen auch Agrarbetriebe stärler mit einbezogen werden. Gleichzeitig fordert Keller auch dazu auf, Freiwillige einzubinden, um Bäume zu pflanzen.

In einer „Moritzburger Erklärung“ haben die Forstminister der von der Union geführten Bundesländer ihre Forderung an Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner übergeben. Sie fordern 800 Millionen Euro in den kommenden vier Jahren für akute und langfristige Maßnahmen.

Die schlechten Nachrichten aus dem Wald reißen nicht ab. Jeden Tag erreichen uns neue Hiobsbotschaften. Wir müssen dringend handeln.

Thomas Schmidt, Forst- und Landwirtschaftsminister Sachsen

Nach Angaben der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) sind 2018 bundesweit rund 120.000 Hektar Wald abgestorben, vor allem Fichten, aber auch Kiefern, Buchen und Eichen. Im Jahr 2019 könnten nochmal 200.000 Hektar Wald dazukommen.

Waldsterben führt zu Milliardenkosten – alleine beim Aufräumen

Von ganz anderen Zahlen geht indes der Brandenburger Bundestagsabgeordnete Hans-Georg von der Marwitz aus. Der CDU-Politiker ist selbst Waldbesitzer und hat sich in den vergangenen Wochen ein Bild vom Waldsterben 2.0 in Deutschland gemacht. Er schätzt die Kosten alleine für die Aufräumarbeiten auf zwei Milliarden Euro. Eine Summe, die private Waldbesitzer kaum aufbringen können, weil die Schadholz-Preise von 80 bis 150 Euro je Festmeter auf 25 bis 40 Euro in den Keller gerauscht sind.

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um für Holz als klimafreundlichen Baustoff zu werben und plädiert für einen gesamtgesellschaftlichen „Pakt für den Wald“.

Hans-Georg von der Marwitz, CDU, in der Welt

Allein in 2018 fielen 32 Millionen Festmeter Schadholz an – in diesem Jahr kommen weitere 35 Millionen dazu,. Ein weiteres Problem, je länger das Holz aufgetürmt im Wald liegen bleibt: Es trocknet vollständig aus und wirkt, wenn es zu einem Brand kommt, wie ein Brandbeschleuniger.

Fast die Hälfte der 11,4 Millionen Hektar Wald in Deutschland sind in Privatbesitz, ein Drittel gehört Bund und Ländern. Rund ein Fünftel ist im Eigentum von Kirchen und Kommunen. Noch gibt es 90 Milliarden Bäume in deutschen Wäldern und es wächst mehr nach als eingeschlagen wird. Mit den Veränderungen durch den Klimawandel droht allerdings das Waldsterben 2.0. Und das wäre verheerend, weil etwa 2,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff im Wald gebunden sind.

Klimafolgen sind teuer – frühzeitiges Handeln essentiell

Das Beispiel Wald zeigt vor allem eines: Das Pflanzen von Mischwäldern, die mit den Folgen des Klimawandels besser zu Recht kommen, wurde bislang in unzureichendem Maße vorangetrieben. Die Beseitigung der Folgen dieser politischen Nachlässigkeit wird teuer. Und der Wald ist nur ein Bereich, der aufgrund des Temperaturanstiegs in Mitleidenschaft gezogen wird. Man habe die Geschwindigkeit der Veränderungen unterschätzt, sagen Experten.

Das zeigt: Frühzeitiges Handeln wäre besser gewesen als zu hoffen und abzuwarten. Jetzt wird es teuer. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat für den September zu einem Waldgipfel geladen, will mehr Geld aus dem Energie- und Klimafonds abzweigen. Aber neben dem Geld fehlt vor allem eines: Eine politische Strategie, um die Herausforderungen zu bewältigen. Diese ist bitter nötig..

Wettlauf mit dem Tod – unter diesem Titel hat der MDR zuletzt über das Waldsterben 2.0 in Mitteldeutschland berichtet. Hier geht es zum 30-minütigen Video.

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% S Kommentare
  1. kuschelyeti sagt

    Man sollte forschen, was dem Käfer nicht schmeckt. Wir haben Maschinen für fast jeden Zweck. Vielleicht könnte man einen Baum mit Bioplastik umwickeln oder besprühen, und der Käfer kommt nicht rein und nicht raus aus dem Baum? Wir können nicht jeden Baum retten, aber vielleicht überleben einige und bauen einen Wald wieder auf. Vielleicht retten uns die kahlen Stellen vor der Schweinepest, weil sich Wildschweine weniger vermehren könnten? Eine Krise kann auch Hoffnung sein.

    Es gibt so viel Wanderer, so viele Leute im Wald. Wer abseits der Wege läuft, findet kleine Zweige, die aus dem Boden wachsen – Setzlinge. Nur wohin damit. Freiwillige könnten sie sammeln und der Förster pflanzt sie an anderer Stelle ein. Statt kaufen wollen, was es nicht mehr gibt, dann aus dem Wald holen. Es gibt zum Beispiel flüssigen Kunststoff für Werkzeuggriffe. Oder es gibt Kautschuk-Farbe. Sowas als umweltverträglich herstellen und Bäume damit umschließen. Die Bäume werden den Schutz sprengen, aber verhindern vielleicht 1 oder 2 Jahre, das sich der Käfer nicht mehr ausbreitet.

    Und den kranken Baum aus dem Wald zu holen, macht es für den Käfer leichter, einen gesunden Baum zu finden. Vielleicht verhungert er auf der Suche, aber wenn er jetzt einen gesunden findet, dann hilft man dem Käfer nur. Vielleicht ist das Baumsägen schlimmer, als ihn stehen zu lassen?

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