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Polarwirbel 2026: Steht ein Jahrhundertwinter vor der Tür?
Jahrhundertwinter 78/79 im Rückblick – Polarwirbel entscheidend, La Niña als möglicher Mitspieler
Der Begriff „Jahrhundertwinter“ sorgt regelmäßig für Schlagzeilen. Auch in diesem Herbst überschlagen sich Prognosen über einen potenziell eiskalten Winter in Deutschland – angeblich ausgelöst durch einen schwachen Polarwirbel und das Klimaphänomen La Nina. Von Polarwirbel-Alarm spricht Euronews, von einer ‚eisigen Prognose‚ die Lausitzer Rundschau was steckt wissenschaftlich wirklich dahinter?
Der Polarwirbel ist ein großräumiges Windsystem über der Arktis, das unsere Winter maßgeblich beeinflusst. In der Stratosphäre (rund 30 km über dem Boden) zirkuliert kalte Luft, die normalerweise vom Jetstream eingeschlossen bleibt. Wird dieser Wirbel instabil, kann eisige Luft aus der Arktis nach Mitteleuropa vordringen.
Meteorologen sprechen dann oft von einem Sudden Stratospheric Warming (SSW) – einer plötzlichen Erwärmung, die den Polarwirbel schwächt. In Folge stellen sich Hochdrucklagen über dem Atlantik ein, Kaltluft strömt südwärts, und Europa erlebt kurzfristige Kälteausbrüche. Solche Phasen können einen Winter kalt erscheinen lassen, sind aber keine Garantie für einen Jahrhundertwinter.
La Nina: Fernwirkung aus dem Pazifik
Das Phänomen La Nina beeinflusst durch abgekühlte Meerestemperaturen im Pazifik die globalen Luftströmungen. Über mehrere Koppelungsmechanismen wirkt es bis in den nördlichen Winter hinein – oft mit verstärkten Hochdruckgebieten über Nordamerika und Verschiebungen der Jetstreams. Für Mitteleuropa bedeutet das: einzelne Kälteperioden werden wahrscheinlicher, nicht aber sicherer.
Klimaforscher betonen, dass sich derzeit (Stand Oktober 2025) ein neutraler ENSO‑Zustand einstellt – keine klaren Signale also für extreme Kälte im europäischen Raum.
Experteneinschätzung: Zwischen Vorsicht und Aufmerksamkeit
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hält saisonale Prognosen grundsätzlich für unsicher. Özden Terli (ZDF) mahnt, sensationelle Schlagzeilen nicht mit belastbaren Prognosen zu verwechseln. Ähnlich argumentiert Karsten Schwanke (ARD): Wetter bleibe chaotisch, selbst in einem sich erwärmenden Klima.
Kaltphasen sind normal, doch ein Jahrhundertwinter erfordert ein außergewöhnliches Zusammenspiel mehrerer Faktoren – stabile Arktisblockade, langanhaltender Frost, extreme Schneefälle. Solche Ereignisse bleiben in unseren Breiten selten.
Rückblick: Der Rekord- und Jahrhundertwinter 1978/79
Beim letzten tatsächlichen Jahrhundertwinter 1978/79 fielen innerhalb weniger Tage meterhohe Schneemassen, das Thermometer verharrte wochenlang unter –20 °C, ganze Regionen Norddeutschlands waren abgeschnitten.
Heute erschweren mildere Grundtemperaturen und ein insgesamt wärmeres Klima ähnliche Dauerfrostlagen. Zwar kann es kurzfristige Kältewellen geben, aber ein historischer Extremwinter gilt als äußerst unwahrscheinlich.
Was war der „Jahrhundertwinter“ 1978/1979?
- Dauer und Verlauf:
Beginn Ende Dezember 1978, anhaltend bis Ende Januar 1979. Nach ersten starken Schneefällen folgten mehrwöchige Dauerfrostphasen.- Kälte:
In Nord- und Ostdeutschland brachen die Temperaturen auf unter -20 °C ein. An mehr als 25 Tagen herrschte durchgängig Frost.- Schnee und Unwetter:
Massive Schneestürme mit Windgeschwindigkeiten bis zu 90 km/h, stellenweise über 1 Meter Neuschnee in wenigen Stunden. Straßen und Bahnverbindungen waren in mehreren Regionen tagelang blockiert – zahlreiche Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten.- Folgen:
Versorgung und Infrastruktur gerieten an ihre Grenzen: Stromausfälle, leere Supermärkte, Hilfseinsätze mit Panzern und schwerem Räumgerät. Schulen und Betriebe mussten schließen, Heizmittel wurden knapp.- Besonderheit:
Der „Jahrhundertwinter“ gilt bis heute als einer der extremsten Kälte- und Schneewinter in Mitteleuropa – ein seltenes Wetterereignis mit historischen Dimensionen.
Seriös bleiben, Fakten einordnen
Mediale Übertreibungen nützen weder der Wissenschaft noch der Klimakommunikation. Der aktuelle Winter könnte durchaus spannend werden – etwa mit wechselhaften Wetterlagen zwischen Atlantikluft und kontinentaler Kaltluft. Doch Panik ist fehl am Platz. Entscheidend ist, den Begriff „Jahrhundertwinter“ kritisch zu betrachten: Er steht weniger für Meteorologie als für Medienrhetorik.
Ein bevorstehender Jahrhundertwinter ist meteorologisch derzeit nicht abzusehen. Der Blick auf Polarwirbel und La Niña liefert wertvolle Hinweise auf die Dynamik des Klimasystems – mehr aber auch nicht. Für Cleanthinking.de bleibt entscheidend: wissenschaftlich prüfen, Panik vermeiden, Zusammenhänge verständlich erklären.
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