
Worst Performing Buildings: Der Schlüssel zur bezahlbaren Wärmewende
Sanierungen der ineffizientesten Gebäude sind entscheidend für Klimaziele, Netzstabilität und Energiekosten – und damit der zentrale Baustein einer bezahlbaren, machbaren Wärmewende.
Es sind nicht die spektakulären Neubauten, mit denen die Wärmewende im Gebäudesektor entschieden wird. Vielmehr kommt es darauf an, wie schnell und konsequent es gelingt, die ineffizientesten Bestandsgebäude – die sogenannten „Worst Performing Buildings“ – auf einen zukunftsfähigen Stand zu bringen. Eine aktuelle Studie des ifeu-Instituts und der DGNB zeigt mit beeindruckenden Zahlen auf: Die größten Hebel für CO₂-Einsparungen, Kostenreduktion und Netzstabilität liegen gerade bei den energetisch schlechtesten Altbauten1.
In Deutschland gibt es rund 20 Millionen Wohngebäude, und ein erheblicher Teil davon befindet sich in einem energetisch katastrophalen Zustand. Die Gebäude der Effizienzklassen F, G und H verbrauchen zehnmal mehr Energie als vergleichbare Neubauten oder gut sanierte Häuser der Klasse A+ und bleiben dabei dennoch oft unzureichend behaglich1. Diese Energieschleudern sind oft in den 1950er bis 1970er Jahren entstanden, weisen wenig oder gar keine Wärmedämmung auf und werden mit alten Heizsystemen betrieben.
Die Folgen sind dramatisch: Hohe Heizkosten für die Bewohner, schlechte Wohnqualität, erhöhte Schimmelgefahr durch kalte Bauteile und ein extremer Ressourcenverbrauch für die Gesellschaft. Was viele unterschätzen: Die Last dieser „Worst Performer“ betrifft längst nicht nur die Gebäudeeigentümer selbst, sondern zieht eine ganze Kaskade weiterer Herausforderungen nach sich, die am Ende alle Sektoren und die Volkswirtschaft treffen.
Über 6.000 Windräder könnten eingespart werden
Die ifeu-Studie „Mit guten Gebäuden zum Ziel“ liefert beeindruckende Zahlen zum Einsparpotenzial: Würde man gezielt die ineffizientesten 20 bis 30 Prozent der Gebäude energetisch sanieren, ließen sich nicht nur mehr als 30 Prozent des Wärmebedarfs im Gebäudesektor einsparen, sondern auch der Bedarf an zusätzlicher Windkraft massiv senken1.
Ein eindrucksvolles Rechenbeispiel: Allein durch die Sanierung der energetisch schlechtesten Gebäude könnten deutschlandweit über 6.000 Windkraftanlagen eingespart werden. Der Grund: Der Stromverbrauch von Wärmepumpen sinkt in sanierten Gebäuden um 31 Prozent, da sie dort wesentlich effizienter arbeiten.
Diese Zahlen verdeutlichen einen fundamentalen Zusammenhang: Wärmepumpen harmonieren gut mit sanierten Gebäuden – aber schlecht mit Energieschleudern. In den schlechteren Effizienzklassen F, G und H ist die Wärmepumpe sogar teurer als eine Gasheizung. Ohne gezielte Sanierung der schlechtesten Gebäude wird die künftig erforderliche Menge an Wärmepumpenstrom überwiegend durch den Anteil unsanierter Gebäude bestimmt. In einem Szenario ohne weitere Sanierungen würden zwei Drittel des gesamten Wärmepumpenstroms in Gebäuden mit schlechter Effizienz verbraucht1.
Gebäude als thermische Speicher
Sanierte Gebäude bieten dem Energiesystem einen entscheidenden Vorteil, der oft übersehen wird: Sie wirken als thermische Speicher mit enormer Kapazität. Die Speicherfähigkeit der Gebäudemasse übersteigt andere Speicheroptionen um ein Vielfaches1. Während effiziente Gebäude über 8 Stunden ohne Heizung auskommen können, ohne dass der Komfort sinkt, kühlen ungedämmte Gebäude zehnmal schneller aus1.
Diese Flexibilität wird mit der Einführung dynamischer Stromtarife seit Januar 2025 noch wichtiger. Verbraucher können ihre Stromkosten senken, indem sie den Verbrauch in Niedrigpreiszeiten verlagern. Die Heizung kann gezielt dann laufen, wenn Strom günstig und erneuerbar vorhanden ist – das reduziert Lastspitzen und vermeidet teuren Netzausbau. Unsanierte Gebäude bieten dem System hingegen keinen Puffer und müssen unabhängig von der Stromverfügbarkeit beheizt werden.
Volkswirtschaftliche Rechnung spricht für Sanierung
Die ifeu-Studie stellt einmalige Sanierungskosten den jährlichen Energieimporten gegenüber und kommt zu einem klaren Ergebnis: Die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten sprechen eindeutig für Sanierungen. Während die Sanierungskosten einen investiven Charakter haben und 2023 bei 42 Milliarden Euro lagen, fallen die Kosten für Energieimporte jedes Jahr aufs Neue an – zwischen 25 und 71 Milliarden Euro pro Jahr, mit unsicheren Preisen1.
Zusätzlich drohen bei Nichteinhaltung der EU-Klimaziele Strafzahlungen von 30 bis 60 Milliarden Euro zwischen 2021 und 20301. Die Klimafolgekosten können laut Prognosen schon 2030 zwischen 5 und 20 Milliarden Euro jährlich betragen und 2045 zwischen 20 und 70 Milliarden Euro1.
Für die Bewohner selbst sind die Vorteile einer energetischen Sanierung vielfältig und längst wissenschaftlich belegt. Sanierte Einfamilienhäuser erzielen 25 Prozent höhere Verkaufserlöse als unsanierte Altbauten1. In der Energiekrise 2022/23 stiegen die Heizkosten in Effizienzklasse A+ um 370 Euro, in Klasse H dagegen um 2.500 Euro. Gleichzeitig bieten sanierte Gebäude stabile Temperaturen, bessere Luftqualität, verbesserte Schallisolierung und vermeiden Kondensation und Schimmelbildung.
Graue Emissionen sprechen für Sanierung statt Neubau
Ein wichtiger Aspekt, der oft übersehen wird: Die CO₂-Bilanz eines sanierten Altbaus ist häufig deutlich besser als die eines Neubaus. Die ifeu-Studie zeigt: Bei der Erstellung eines Neubaus entstehen genauso viele graue CO₂-Emissionen wie bei 2,4 umfassenden Modernisierungen1. Da über 95 Prozent des aktuellen Gebäudebestands auch 2045 noch stehen werden, ist die konsequente Modernisierung der Worst Performer nicht nur sinnvoll, sondern alternativlos.
Die Studie macht auch deutlich, dass es nicht sinnvoll ist, Sanierungen aufzuschieben, um auf geringere graue Emissionen zu warten. Auch wenn Sanierungsmaßnahmen in 10 bis 15 Jahren emissionsreduzierter umsetzbar wären, überwiegen die Emissionen im Betrieb vor einer Sanierung diesen Effekt weit1.
Soziale Gerechtigkeit als Herausforderung
Die Studie identifiziert eine wichtige soziale Dimension: Rund 15 Prozent der Eigenheimbesitzer verfügen über ein monatliches Haushaltseinkommen unter 3.200 Euro. Diese Gruppe wohnt zu 82 Prozent in Gebäuden, die vor 1990 errichtet wurden – also tendenziell in energetisch schlechteren Gebäuden1. Gerade für sie würde eine energetische Sanierung wirtschaftliche Vorteile bringen, aber die Investitionen sind für viele nicht zu leisten.
Im Mietbereich besteht das Investor-Nutzer-Dilemma: Vermietende müssen investieren, profitieren aber nicht von sinkenden Energiekosten. Nur 12 Prozent der BEG-Förderfälle wurden 2021 von gewerblichen Antragstellern genutzt1. Die Studie schlägt als Lösung das „Drittelmodell“ vor: eine faire Verteilung der Modernisierungskosten zwischen Vermietern, Mietern und Staat.
Erneuerbare Energien sind verfügbar, aber nicht unbegrenzt
Die ifeu-Studie warnt: Erneuerbare Energien sind zwar erneuerbar, aber nicht unbegrenzt verfügbar. Die Alternativen haben alle ihre Grenzen: Holz sollte nur in schwierigen Fällen genutzt werden, Biomethan machte 2022 nur 0,8 Prozent des Erdgasbedarfs aus, und die Produktionsleistung für grünen Wasserstoff liegt bei weniger als 1 Prozent der 2030-Ziele1. Wärmenetze können bis 2045 maximal 20 Prozent aller Gebäude versorgen.
Konkrete Handlungsempfehlungen
Die Wissenschaftler formulieren konkrete Leitlinien für die Politik: Die Förderung muss sich auf Worst Performing Buildings fokussieren und am Zero-Emission-Building-Standard ausrichten. Pragmatische Sanierungsansätze sollten gestärkt werden, insbesondere die Einzelmaßnahmenförderung. Dabei ist langfristige Planbarkeit entscheidend – abrupte Änderungen der Förderbedingungen sind kontraproduktiv1.
Die Studie empfiehlt außerdem, keine Neubauförderung in Energiesparprogrammen zu haben, da der Förderhebel in der Bestandssanierung vielfach höher ist. Stattdessen sollten Sanierungsprioritätsgebiete in der Wärmeplanung ausgewiesen und die energetische Quartierssanierung wiedereingeführt werden.
Fazit: Versagen ist keine Option
Die ifeu-Studie formuliert es drastisch: „Versagen ist keine Option“1. Das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands im Jahr 2045 muss erreicht werden. Die Wärmewende kann nur gelingen, wenn Gebäude mit schlechtester Effizienz zielgerichtet saniert werden, der Gebäudesektor mit den Versorgungssektoren zusammen transformiert wird und die Politik volkswirtschaftlich sinnvolle Pfade in betriebswirtschaftliche Anreize übersetzt.
Die Diskussion um die Wärmewende darf sich nicht im Klein-Klein technischer Debatten verlieren. Die ifeu-Studie liefert die wissenschaftliche Grundlage für eine evidenzbasierte Diskussion: Der wichtigste Hebel sind die Worst Performing Buildings. Ihre Sanierung ist ein zukunftsfähiger, wirtschaftlich tragfähiger und sozial ausgewogener Weg, um Klimaziele zu erreichen, die Netze zu entlasten und die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern. Die Technologien sind vorhanden, die volkswirtschaftlichen Argumente sprechen für sich – jetzt müssen Politik, Branche und Eigentümer gemeinsam handeln.
Hier gibt es die Studie zum Download.
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