BASE
Was steckt hinter dem vermeintlichen BASE-Skandal?
Apollo News-Chefredakteur Daniel Gräber berichtet über einen „anonymen Brief“ gegen „grüne Selbstbedienung“ in der Atombehörde
Im Juli 2025 veröffentlichte das Onlineportal Apollo News einen Beitrag, der sich liest wie eine Enthüllung – und doch viele Fragen offenlässt. Im Zentrum: ein anonymer Brandbrief aus dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), in dem von „grüner Vetternwirtschaft“, „Versorgungsmentalität“ und der „Unterwanderung des Amtes“ durch politische Netzwerke die Rede ist. Verfasst wurde der Text von Daniel Gräber, Chefredakteur des Portals – und kein Unbekannter.
Vom angeblichen „Geheimakten“-Skandal zur nächsten Behauptung
Bereits im Frühjahr 2024 hatte Gräber im Magazin Cicero mit der Titelgeschichte „Habecks Geheimakten“ versucht, einen politischen Skandal rund um den Atomausstieg zu entfachen. Die Veröffentlichung basierte auf Akten, die Gräber per Klage gegen das Wirtschaftsministerium erwirkt hatte. Doch die mediale Resonanz blieb begrenzt – und die rechtliche Bewertung eindeutig:
- Der Blog Volksverpetzer warf Gräber vor, er habe „Dinge hinzuerfunden“, um „einen Skandal zu inszenieren“.
- Cicero klagte auf Unterlassung – und verlor vor Gericht.
Trotzdem nutzten CDU und CSU den Artikel, um einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck durchzusetzen. Der Ausschuss konstituierte sich im Juli 2024 – und endete vor der Bundestagswahl 2025 ergebnislos: Habeck konnte keine Pflichtverletzung oder politische Einflussnahme nachgewiesen werden.
Einige Monate später, im November 2024, hatte Cleanthinking.de einen weiteren Gräber-Artikel einem umfassenden Faktencheck unterzogen. Unter dem Titel „Habeck und die Atomkraft: Fakten widersprechen Cicero und Bild-Behauptungen zu Frankreich-Brief“ wurde aufgezeigt, dass Cicero und Bild einen Brief von Habeck an seine französische Amtskollegin fälschlich als Beleg dafür darstellten, Deutschland habe sich in der Energiekrise auf französischen Atomstrom verlassen.
Tatsächlich zeigen die Fakten: Frankreich hatte aufgrund technischer Probleme bei seinen Atomkraftwerken selbst massive Versorgungsschwierigkeiten und war auf Stromimporte aus Deutschland angewiesen. Habecks Schreiben diente der Klärung französischer Planungen – und nicht dem „Betteln“ um Atomstrom, wie Bild und Cicero suggerierten.
Der Cleanthinking-Artikel stellte zudem dar, dass Deutschland im Sommer 2022 über Gaskraftwerke Strom für Frankreich produzierte, während die französische Regierung zugleich deutsche Gaslieferungen unterstützte – ein klassischer Fall europäischer Solidarität. Die von Cicero und Bild gezeichnete Interpretation entbehrte jeder sachlichen Grundlage und diente offenbar vor allem der parteipolitischen Stimmungsmache gegen die Energiewende.
Jetzt, nur wenige Monate später, folgt Gräbers nächster Vorstoß: Diesmal dient ein „anonymer Brief“ angeblicher „Fachleute“ aus dem Bundesamt als Grundlage – ein Schreiben, das höchst fragwürdige Aussagen enthält, aber weder überprüfbar noch kontextualisiert ist.
Was ist das BASE – und was nicht?
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) wurde 2014 gegründet – als direkte Konsequenz aus dem gescheiterten Endlagerprojekt Gorleben. Die Gründung war politisch und gesetzlich bewusst darauf ausgerichtet, operative und kontrollierende Aufgaben institutionell zu trennen. Ziel war es, Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Endlagersuche neu zu gewinnen und die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Deshalb wurden zwei komplementäre Organisationen geschaffen:
- Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE): Eine bundeseigene GmbH, zuständig für die Durchführung der Endlagersuche, geowissenschaftliche Untersuchungen, Planung und Umsetzung möglicher Standorte.
- Das BASE: Die unabhängige Aufsichts-, Kontroll- und Genehmigungsbehörde. Es bewertet die Arbeiten der BGE, führt Sicherheitsprüfungen durch, genehmigt unter anderem Castor-Transporte. Zudem ist das BASE seit der Novelle des Standortauswahlgesetzes (StandAG) im Jahr 2020 für die Konzeption und Umsetzung der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie für die fachliche Begleitung von Beteiligungsformaten und methodischen Leitlinien verantwortlich.
Die klare Trennung von Durchführung (BGE) und Kontrolle (BASE) ist essenzieller Bestandteil des neuen Endlagerverfahrens. Das BASE agiert dabei als sicherheitstechnische und gesellschaftspolitische Kontrollinstanz und soll gewährleisten, dass der Prozess transparent, nachvollziehbar und wissenschaftlich fundiert abläuft.

Der anonyme Brief – viele Behauptungen, wenig Substanz
Zunächst stellt sich die Frage: Wer sind die „Fachleute“, die diesen Brief verfasst haben wollen? Der Text ist anonym, ohne Angaben zu Funktion, Fachbereich oder Dienststellung – eine Einordnung der Urheberschaft ist unmöglich. Dennoch sorgt er intern für Aufsehen.
Der amtierende Präsident des BASE, Christian Kühn, der seit Anfang 2024 im Amt ist und als einziger BASE-Behördenleiter tatsächlich ein grünes Parteibuch besitzt, nahm den Brief ernst genug, um ihn im Intranet des Hauses zu veröffentlichen. Gleichzeitig ordnete er ihn als rufschädigend ein: Der Brief untergrabe das Ansehen der Behörde und stelle pauschale Unterstellungen anstelle fachlicher Kritik.
Auffällig ist: Der Brief versucht über mehrere Ebenen ein Skandalisierungsnarrativ zu erzeugen – etwa durch die Unterstellung, die Öffentlichkeitsarbeit des BASE sei primär Mittel zur Einflussnahme „grünennaher Netzwerke“. Dabei ist Öffentlichkeitsarbeit seit 2020 eine gesetzlich definierte Kernaufgabe der Behörde. Gerade nach dem Scheitern des Gorleben-Prozesses wurde das Beteiligungsverfahren im Standortauswahlgesetz (StandAG) massiv gestärkt – mit breiter Zustimmung aller demokratischen Parteien.
Der Brief vertieft diese Skandalisierung: Er wirft dem BASE vor, die Endlagersuche habe sich zur „Lachnummer“ entwickelt, Beteiligungsverfahren seien bloße Feigenblätter und die Verwaltung diene als Selbstbedienungsladen für „grünennahe Netzwerke“.
Besonders heftig: Die Behauptung, das Amt sei gezielt „unterwandert“ worden, um das Verfahren zu verzögern und zu verteuern. Die Unterstellungen richten sich implizit gegen Wolfram König, der von 2001 bis 2016 erst das Bundesamt für Strahlenschutz und später das BASE leitete.
Es ist typisch, dass bei öffentlichen Institutionen mit komplexen Aufgaben gerne pauschale Unterstellungen erhoben werden – insbesondere, wenn leitende Persönlichkeiten biografische Bezüge zu politischen Lagern haben. Doch das allein taugt nicht zum Beleg politischer Einflussnahme: Auch der Präsident des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller, ist CDU-Mitglied – und dennoch wird seine fachliche Integrität im politischen Raum kaum infrage gestellt.
Der Stellenaufwuchs – gesetzlich gewollt, nicht ideologisch motiviert
Ein zentrales Motiv im anonymen Brief ist die Behauptung, das BASE sei personell „aufgebläht“ worden – von 40 auf über 500 Stellen, um „grünen Netzwerken“ Versorgungspositionen zu verschaffen. Die Realität:
- Der Aufwuchs ist Teil eines politisch und gesetzlich legitimierten Behördenaufbaus.
- Die 523 Planstellen (2025) ergeben sich aus:
- dem gestiegenen Arbeitsaufwand durch Fachkonferenzen,
- neuen gesetzlichen Beteiligungsformaten (§§ 9–11 StandAG),
- wachsender Verantwortung bei Sicherheitsfragen (Zwischenlager, Transport).
Das Personalwachstum wurde über Jahre vom Bundestag beschlossen, Haushaltsausschüsse geprüft und durch Bundesminister*innen aller Parteien getragen – von der SPD (Schulze) über die CDU (Röttgen) bis zu den Grünen (Lemke). Auch die entscheidenden gesetzlichen Grundlagen – insbesondere die Novelle des Standortauswahlgesetzes 2020 – wurden unter CDU- und SPD-Führung auf den Weg gebracht.
Zudem betont das BASE selbst, dass trotz der genehmigten 523 Planstellen nicht alle besetzt werden: „Wir verzichten bewusst auf Vollauslastung, um Kosten zu sparen und nur dort Personal aufzubauen, wo tatsächlich Bedarf besteht.“
Wer hat „unterwandert“ – und mit welchem Ziel?
Die Autoren des Briefes suggerieren, es gebe ein „grünes Netzwerk“, das die Öffentlichkeitsbeteiligung zur politischen Einflussnahme missbrauche. Der Begriff „Zivilgesellschaft aus Gorleben“ wird dabei als Kampfbegriff verwendet. Gemeint sind vermutlich Akteur*innen aus dem Wendland, die sich seit Jahrzehnten konstruktiv-kritisch in der Atommülldebatte engagieren.
Der ehemalige BASE-Präsident Wolfram König, gegen den sich die Unterstellungen offenbar richten, war parteilos. Er wurde 2001 von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) zum Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz berufen, nachdem er zuvor in der hessischen Umweltverwaltung unter Joschka Fischer tätig war. Trotz dieser Nähe zu grünen Landes- und Bundesregierungen blieb König über zwei Jahrzehnte hinweg unter CDU-, SPD- und grünen Minister*innen in seiner jeweiligen Rolle – unter anderem auch unter CDU-Minister Norbert Röttgen.
Wer heute behauptet, das BASE sei „unterwandert“ worden, stellt nicht die Personalpolitik infrage, sondern die Legitimität eines gesamten demokratisch getragenen und hochkomplexen Suchverfahrens.
Fazit: Kein Skandal – sondern gezielte Verunsicherung
Daniel Gräber hat auf X angekündigt, zu dem Thema weiter recherchieren zu wollen. Bislang jedoch erscheint die Geschichte wenig substanziell und liefert keinen überzeugenden Anlass für eine Skandalisierung. Wie schon Gräbers Atom-Akten-Geschichte zuvor, geht es weniger um journalistische Aufklärung, sondern um das Erzeugen politischer Zweifel am Funktionieren staatlicher Institutionen.
Dass kein anderes Medium die Geschichte aufgegriffen hat, sagt viel. Und doch sollte sie nicht unkommentiert bleiben. Denn wer BASE und BGE angreift, wer Beteiligung delegitimiert und Fachpersonal pauschal diskreditiert, zieht nicht nur gegen „die Grünen“ zu Felde – sondern gegen das Grundprinzip demokratischer Energiepolitik – nämlich eine nachvollziehbare, wissenschaftsbasierte und gesellschaftlich legitimierte Entscheidung über den Umgang mit hochradioaktivem Atommüll, getragen von Transparenz und Kontrolle.
Quellen
- Apollo News, „Grüne Geldverschwendung, Selbstbedienung und Parteipolitik – Anonymer Brandbrief erschüttert BASE“
- X-Post von Daniel Gräber: Ankündigung zur weiteren Recherche
- Clearthinking-Check: Fakten widersprechen Cicero und Bild-Behauptungen zu Frankreich‑Brief
- Wikipedia-Eintrag zu Daniel Gräber