CRRC
Chinas Eisenbahn-Revolution: 50.000 Kilometer Hochgeschwindigkeit in Rekordzeit
In Rekordzeit hat China das weltweit größte Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz geschaffen – und bereitet mit der Magnetschwebebahn CF600 den nächsten Geschwindigkeitssprung vor.
Im Sommer 2008 war es noch eine kleine Sensation und der Beginn von Chinas Eisenbahn-Revolution: Zwischen Peking und Tianjin nahm die erste Hochgeschwindigkeitsstrecke Chinas den Betrieb auf. 350 km/h – ein Tempo, das im damaligen Europa nur wenige Strecken erreichten. Es war der Beginn eines Experiments, das sich in weniger als zwei Jahrzehnten zu einer global einmaligen Infrastrukturrevolution entwickeln sollte.
Heute, im Jahr 2025, spannt sich ein 48.000 Kilometer langes Netz aus Hochgeschwindigkeitsbahnen über das Land – das sind rund 70 Prozent der weltweiten HSR-Strecken. 97 Prozent aller Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern sind angebunden. Bis Ende des Jahres will das Verkehrsministerium die 50.000-Kilometer-Marke knacken.
Zum Vergleich: In Deutschland würde allein die Planung und Genehmigung einer solchen Infrastruktur oft länger dauern als der gesamte Bau in China. Das Projekt Stuttgart 21 ist dafür ein Sinnbild – nach über 15 Jahren Bauzeit ist noch immer kein Zug durch den neuen Tiefbahnhof gefahren.
Von der Pionierstrecke zum nationalen Nervensystem
Der Aufstieg begann in der Ära, als China wirtschaftlich immer stärker wuchs, aber große Teile des Binnenlandes schlecht angebunden waren. Die erste Peking–Tianjin-Linie war noch ein Pilot. Doch statt zögerlich weiterzubauen, setzte Peking auf industrielle Skalierung: Planung, Finanzierung, Bau und Betrieb wurden zentral gesteuert, Genehmigungsverfahren straff gehalten.
2012 zählte das Netz etwas über 9.000 Kilometer – in zwölf Jahren ist es auf mehr als das Fünffache gewachsen. Neue Linien verbanden nicht nur die Küstenmetropolen, sondern auch abgelegene Provinzen mit dem wirtschaftlichen Herzen des Landes. Heute ist eine Fahrt von Wuhan nach Guangzhou in vier Stunden möglich, Chengdu und Chongqing liegen weniger als eine Stunde auseinander.
Ein Arbeitsmarkt ohne Grenzen
Diese Fahrzeiten verändern den Arbeitsmarkt grundlegend. Wo früher ein Umzug nötig war, reicht heute eine Pendelfahrt. Hochqualifizierte Fachkräfte können in einer Stadt wohnen und in einer anderen arbeiten – oft hunderte Kilometer entfernt. Regionen wie Zhengzhou oder Xi’an, einst Randzonen der ökonomischen Dynamik, sind heute integrale Teile nationaler Innovationskorridore.
Es entstanden neue „1-Stunden-Städte“: urbane Cluster, in denen Pendlerströme nicht an Stadtgrenzen, sondern erst an Geschwindigkeitsschwellen enden. Das lockt Investitionen, verteilt Talent gleichmäßiger und schafft wirtschaftliche Resilienz auch abseits der Küste.
Klimanutzen und geopolitische Wirkung
Chinas Eisenbahn-Revolution ist nicht nur ein Verkehrsprojekt, sondern auch Klimapolitik. Auf vielen Relationen verdrängen Züge den Inlandsflug, oft zu günstigeren Preisen. Studien belegen: Die CO₂-Emissionen pro Strecke sinken um bis zu 30 Prozent, wenn Züge anstelle von Flugzeugen eingesetzt werden. Da der chinesische Strommix Jahr für Jahr „grüner“ wird, steigt der Klimaeffekt kontinuierlich.
Gleichzeitig sendet das Netz ein geopolitisches Signal: China kann nicht nur für den eigenen Markt Infrastruktur in Weltrekordtempo bauen, sondern exportiert das Know-how – von Indonesien bis nach Osteuropa. HSR-Technologie ist längst ein Pfeiler der „Belt and Road“-Strategie.
Der Preis der Geschwindigkeit
Doch der Erfolg hat seinen Preis. Die China State Railway Group sitzt auf Schulden von 6,2 Billionen Yuan (etwa 863 Milliarden US-Dollar). Nur wenige Linien, vor allem an der dicht besiedelten Ostküste wie Peking–Shanghai, erwirtschaften Gewinne. Viele Strecken in weniger entwickelten Regionen sind defizitär – politisch gewollt, aber finanziell riskant.
Wartungskosten könnten in den kommenden Jahren bis zu 20 Prozent der ursprünglichen Baukosten erreichen. Kritiker wie Zhao Jian, Professor an der Beijing Jiaotong University, fordern daher eine strengere Auswahl neuer Projekte. Offiziell sollen künftige Fünfjahrespläne stärker auf Qualität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit achten.
Der nächste Schritt: Magnetschwebebahn CF600
Trotz dieser Bedenken denkt China bereits weiter – und deutlich schneller. Auf der 17. Modern Railways-Ausstellung in Peking im Juli 2025 präsentierte die staatliche CRRC den serienreifen Prototyp CF600: eine supraleitende Magnetschwebebahn mit einer geplanten Höchstgeschwindigkeit von 600 km/h.
Damit ließe sich die 1.200 Kilometer lange Strecke Peking–Shanghai in 2,5 bis 3 Stunden zurücklegen. Zum Vergleich: In Europa entspräche das einer Verbindung München–Bukarest in derselben Zeit. Die Bahn würde leiser, vibrationsärmer und energieeffizienter fahren als herkömmliche HSR-Züge.
Deutsche Wurzeln, chinesische Evolution
Die Maglev-Technologie ist keine chinesische Erfindung. Der Transrapid, entwickelt von ThyssenKrupp und Siemens, erreichte Anfang der 2000er bis zu 430 km/h – auf einer nur 30 Kilometer langen Strecke in Shanghai, in Betrieb seit 2004. In Deutschland dagegen kam die Technologie nie in den Regelbetrieb.
Die CF600 knüpft technisch an diese Basis an, ist aber eine vollständige Weiterentwicklung. Laut wissenschaftlichen Publikationen und Medienberichten waren deutsche Ingenieure und Bauteile weiterhin beteiligt, etwa im Rahmen akademischer Kooperationen mit der Universität Stuttgart.
Für Shao Nan, leitender Ingenieur bei CRRC Changchun Railway Vehicles, ist die strategische Rolle klar: „Die neue supraleitende Magnetschwebebahn wird das bestehende Netz ergänzen und kann die Geschwindigkeitslücke zwischen Hochgeschwindigkeitszügen und dem Flugverkehr auf 2.000 km schließen.“
China 2035 – das Ziel
Bis 2035 will Peking rund 70.000 Kilometer Hochgeschwindigkeitsstrecken betreiben und jede Stadt mit über 500.000 Einwohnern anbinden. Der CF600 könnte dabei zur Premium-Verbindung werden – für Tagesreisen zwischen Megacitys und als Symbol für technische Souveränität.
Die große Frage: Lässt sich dieser Kurs langfristig wirtschaftlich tragen? Oder wird Chinas Eisenbahn-Revolution zur Infrastrukturblase? Unabhängig davon steht fest: Kein anderes Land hat in so kurzer Zeit eine vergleichbare Veränderung seiner Verkehrslandschaft erlebt.
Chinas Hochgeschwindigkeitsnetz ist ein einmaliges Infrastrukturprojekt in Tempo, Skalierung und Wirkung. Es verändert, wie Menschen reisen, arbeiten und denken – und zeigt, wie konsequente politische Prioritätensetzung technische Visionen Realität werden lässt. Mit dem CF600-Maglev steht bereits die nächste Etappe bevor. Ob der Spagat zwischen Klima, Komfort und Kostendeckung gelingt, wird über die langfristige Erfolgsgeschichte entscheiden.
Lesen Sie auch: