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Humify: Wie ein Startup Böden heilen und CO2 speichern will

Das Cleantech-Startup Humify hat eine Methode entwickelt, die aus organischen Abfällen in Stunden erzeugt, wofür die Natur Jahrtausende braucht: künstlichen Humus. Der könnte Böden regenerieren, Ernten steigern – und nebenbei Milliarden Tonnen CO2 binden.

Aus Deutschland kommen keine bahnbrechenden Ideen mehr, heißt es oft. Das Potsdamer Cleantech-Startup Humify liefert den Gegenbeweis. Gegründet von einem der meistzitierten deutschen Chemiker, einem erfahrenen Industriemanager und einer ukrainischen Forscherin, arbeitet das Team an einer Technologie, die Landwirtschaft und Klimaschutz gleichzeitig voranbringen könnte.

Die Idee klingt zunächst unspektakulär: Aus organischen Abfällen – Rapsstroh, Holzspänen, Gärresten aus Biogasanlagen oder Apfelresten – entsteht durch ein hydrothermales Verfahren eine zähflüssige, dunkelbraune Masse. Dieser künstliche Humus wirkt im Boden wie ein Superfood: Er speichert Wasser, bindet Mineralien und aktiviert Milliarden von Mikroorganismen. Diese sorgen dafür, dass Pflanzen Nährstoffe leichter aufnehmen – und gleichzeitig Kohlenstoff dauerhaft im Boden gebunden bleibt.

Die Wissenschaft hinter dem Superhumus

Das Verfahren geht auf den deutschen Chemiker Friedrich Bergius zurück, der 1931 den Nobelpreis für sein Hochdruckverfahren zur Kraftstoffproduktion erhielt. Prof. Markus Antonietti, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, entdeckte bei einer Prozessvariation etwas Unerwartetes: Unter veränderten Bedingungen entstehen Polymere, die natürlichem Humus sehr ähnlich sind.

Die zweite Überraschung war noch größer: Bodenbakterien reagieren auf diese künstlichen Polymere genauso wie auf natürlichen Humus. Sie werden aktiv, vermehren sich – und binden dabei massiv Kohlenstoff im Boden.

„Eine Tonne Huminstoffe pro Hektar bindet bis zu 50 Tonnen Kohlenstoff im Boden – alles im ersten Jahr, weil unser Produkt die Organismen im Boden stimuliert“, erklärt Antonietti. Feldversuche in China zeigten Ertragssteigerungen von bis zu 20 Prozent. Flächen, die auf natürlichem Weg bis zu 3.000 Jahre für eine Regeneration bräuchten, erholen sich mit dem Humify-Verfahren in wenigen Wochen.

Ein Team jenseits der Startup-Klischees

Die Gründer passen nicht ins übliche Schema: Harald Pinger und Markus Antonietti waren bei der Gründung 2023 beide über 60 – fast doppelt so alt wie Gründer in Deutschland üblicherweise. Pinger bringt jahrzehntelange Managementerfahrung von Unilever, Fresenius und dem Gabelstaplerhersteller Kion mit. Antonietti gilt als einer der renommiertesten deutschen Chemiker und als heißer Kandidat für einen Nobelpreis.

Humify Team Cleantech-Startup

Als dritte im Bunde kam Svitlana Filonenko dazu, eine ukrainische Chemikerin, die sechs Jahre am Max-Planck-Institut geforscht hatte. Sie leitet heute die technische Entwicklung. „Viele Wissenschaftler möchten ihre Forschung nutzen, um etwas gegen die Klimakrise zu tun, doch oft schaffen es ihre Ideen nicht in die Anwendungsphase“, sagt sie. „Als ich hörte, dass Humify den Schritt in die reale Welt macht, war ich elektrisiert.“

Humify auf einen Blick:

  • Gegründet: 2023 in Potsdam
  • Gründer: Markus Antonietti (Max-Planck-Institut), Harald Pinger (ehem. Kion-CFO), Andreas Dittes (GreenTech-Unternehmer)
  • Technologie: Hydrothermale Humifizierung – organische Abfälle werden bei 200°C unter Druck mit Wasser zu künstlichen Huminstoffen
  • Wirkung: Bis zu 20 Prozent höhere Ernten, verbesserte Wasserspeicherfähigkeit, langfristige CO2-Bindung im Boden
  • Status: Pilotphase, Förderentscheidungen von Sprind und EIC stehen bevor
  • Website: humify.de

Der steinige Weg vom Labor zur Anwendung

Humify ist auch ein Lehrstück darüber, wie schwierig es ist, aus brillanter Forschung ein tragfähiges Geschäftsmodell zu machen. Das ursprüngliche Konzept sah vielversprechend aus: Bessere Ernten für Landwirte, CO2-Zertifikate als zusätzliche Einnahmequelle, dazu ein attraktives Angebot für Kläranlagenbetreiber, deren Schlamm sich in wertvollen Humus verwandeln ließe. Win-win-win.

Doch dann kamen die regulatorischen Realitäten. In der EU lässt sich aus Klärschlamm kein Düngemittel herstellen – jedenfalls nicht legal. Auch die Sache mit den CO2-Zertifikaten erwies sich als kompliziert: Die Landwirtschaft ist bisher vom Emissionshandel ausgenommen. Es gibt schlicht keinen Markt dafür.

Wer Erfolg haben will, braucht Stressresistenz und Frustrationstoleranz„, sagt Harald Pinger gegenüber der FAZ. Das Team hat die Rückschläge genutzt, um das Geschäftsmodell anzupassen. Der Fokus liegt jetzt auf dem direkten Nutzen für Landwirte: höhere Erträge und geringerer Düngemitteleinsatz.

Bei Winterweizen rechnet Pinger mit einem Plus von zehn Prozent beim Ertrag und 20 Prozent weniger Düngemittelbedarf. Das ergäbe gut 200 Euro mehr pro Hektar – und weil der Humus nur alle drei Jahre ausgebracht werden muss, verdreifacht sich der Vorteil.

Vom Laborkühlschrank zur Massenproduktion

Die größte Herausforderung bleibt die Skalierung. Bisher lagert der gesamte in Teltow produzierte Humify-Humus in einem Laborkühlschrank – in Dutzenden sorgfältig beschrifteten Schraubgläsern. Für belastbare Feldversuche reicht das nicht.

Deshalb hat das Team kürzlich einen pragmatischen Schritt gewagt: In Bayern nutzte es leihweise eine Anlage, auf der sonst Biokohle hergestellt wird. Das Ergebnis: 250 Kilogramm künstlicher Humus in einer Woche, mehr als in den Jahren zuvor in Teltow zusammenkam. Ein zweiter Durchgang läuft bereits.

Parallel arbeiten die Ingenieure an einer eigenen Großanlage, wie hier berichtet wird. Eine Pilotanlage für 3.000 Tonnen jährlich ist in Planung. Chemikerin Filonenko tüftelt an der Optimierung des Energieverbrauchs beim Aufheizen und Abkühlen der Biomasse – entscheidend für die Wirtschaftlichkeit.

Hydrothermale Humifizierung Output

Entscheidende Wochen für Humify

Gerade jetzt steht das Startup vor wichtigen Weichenstellungen. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) prüft eine größere Förderung. Zusätzlich läuft ein Antrag beim European Innovation Council. Beide Entscheidungen fallen in den kommenden Wochen.

Filonenkos Vision geht noch weiter: Mobile Humify-Anlagen könnten eines Tages direkt auf abgelegenen Höfen arbeiten. Biomasse würde ohne Umwege wieder in den Boden gelangen – als nährstoffreicher Humus, der gleichzeitig CO2 speichert und Erträge steigert.

Der Ehrgeiz der Gründer ist jedenfalls ungebrochen. Pinger formuliert es so: Die Sache soll gegen alle Widerstände in Deutschland ans Ziel kommen – endlich einmal aus deutscher Spitzenforschung ein Geschäft machen und nicht wie so oft Amerikaner oder Chinesen die Früchte pflücken lassen.

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