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Solarbonus: Wenn die Sonne scheint, wird Strom für alle billiger

Netzentgelte auf Null, wenn die Sonne scheint – die Grünen wollen Verbrauch in günstige Zeiten lenken statt Erneuerbare abzuregeln.

Deutschland hat eine Chance, die es nicht nutzt: An sonnigen Sommertagen produzieren Solar- und Windanlagen so viel Strom, dass er nicht verbraucht werden kann. Die Anlagen werden abgeregelt, die Betreiber entschädigt. Das kostet Milliarden – während Verbraucher weiter den Standardpreis zahlen. Der „Solarbonus„, den die Grünen Ende November auf ihrem Parteitag beschließen wollen, macht aus dieser Verschwendung einen Vorteil: Netzentgelte in den Mittagsstunden auf Null, 600 Stunden deutlich günstigerer Strom für alle Haushalte.

Genau hier setzt der „Solarbonus“ an, den der ehemalige Agora-Energiewende-Direktor Simon Müller für die Grünen entwickelt hat und der Ende November auf dem Parteitag in Hannover beschlossen werden soll. Die Kernidee: Statt Erneuerbare abzuschalten und Entschädigungen zu zahlen, sollen die Netzentgelte in den Sommermonaten zur Mittagszeit auf Null gesenkt werden. Das Ergebnis: 600 Stunden faktisch kostenloser Strom für alle Haushalte.

Das Paradox der Verschwendung

„Im Sommer haben wir wegen des erfolgreichen Ausbaus der Erneuerbaren inzwischen tagsüber zu viel Strom und zu wenig Verbrauch“, erklärt Müller gegenüber dem Tagesspiegel. Dieses Überangebot führt regelmäßig zu negativen Strompreisen an der Börse – Energieversorger müssen zahlen, um ihren Strom loszuwerden. Für Verbraucher mit klassischen Stromtarifen ändert sich trotzdem nichts: Sie zahlen den Standardpreis, während Millionen Kilowattstunden etwa ins Ausland verkauft werden oder Windkraftanlagen abgeregelt werden.

Diese Situation ist nicht nur ineffizient, sie untergräbt auch die Akzeptanz der Energiewende. Wer keine eigene PV-Anlage besitzt, profitiert kaum von der massiven Ausbauleistung bei Wind und Solar. Die Rechnung: Erneuerbare Energien decken bereits über 60 Prozent des deutschen Stromverbrauchs, aber für die meisten Haushalte sind die Strompreise trotzdem hoch.

Effizienzgewinne während des Systemumbaus nutzen

Hier liegt der zentrale Punkt: Der Solarbonus ist keine endgültige Lösung, sondern als pragmatische Brückenstrategie gedacht. Er adressiert ein spezifisches Problem der Übergangsphase, in der wir uns gerade befinden – zu viel erneuerbare Erzeugung für zu wenig flexible Nachfrage und zu wenig Speicherkapazität.

Die Vision ist klar: In einem vollständig transformierten Energiesystem würden intelligente Stromzähler (Smart Meter), dynamische Tarife und dezentrale Speicher automatisch für einen Ausgleich sorgen. Waschmaschinen würden sich einschalten, wenn der Strom günstig ist. Elektroautos würden geladen, wenn die Sonne scheint. Heimspeicher würden mittags gefüllt und abends entleert.

Doch diese Infrastruktur existiert heute nur in Ansätzen. Der Rollout von Smart Metern stockt, dynamische Tarife sind noch Nischenprodukte, und Batteriespeicher sind für viele Haushalte unerschwinglich. Der Solarbonus überbrückt genau diese Lücke: Er schafft Anreize für Verbrauchsverlagerung, ohne dass jeder Haushalt sofort in neue Technologie investieren muss.

Systemlogik statt Subvention

Was auf den ersten Blick nach klassischer Subvention aussieht, folgt tatsächlich einer bestechenden Systemlogik. Die Kosten: rund zwei Milliarden Euro für 400 Stunden Gratis-Strom, so Müllers Rechnung. Klingt nach viel – ist aber im Kontext zu sehen.

Diese Summe wird bereits heute ausgegeben, nur ineffizient: für die Entschädigung abgeregelter Anlagen, für teure Redispatch-Maßnahmen, für Netzengpässe. Der Solarbonus lenkt diese Kosten um – von der Stilllegung produktiver Anlagen hin zur Aktivierung flexibler Nachfrage.

Die Systematik der Netzentgelte kommt aus dem letzten Jahrhundert, da ist viel Spielraum, um Kosten zu sparen„, sagt Müller. Er hat recht: Das bestehende System belohnt weder flexible Verbrauchsmuster noch lokale Erzeugung. Es wurde für eine Welt zentraler Großkraftwerke gebaut, nicht für Millionen dezentraler Erzeuger.

Der Booster-Tarif als Hebel

Noch einen Schritt weiter geht Müllers Vorschlag eines zusätzlichen „Booster-Tarifs“ für Haushalte mit eigenen Solaranlagen. Diese sollen motiviert werden, ihren gespeicherten Strom gezielt in den Abendstunden ins Netz einzuspeisen – genau dann, wenn die Nachfrage am höchsten ist und die Erzeugung aus Erneuerbaren meist nicht ausreicht.

Dieser Mechanismus schafft einen doppelten Effizienzgewinn: Er glättet die Residuallast und macht teure, fossile Spitzenlastkraftwerke überflüssig. Gleichzeitig werden private Speicher auch für Menschen ohne PV-Anlage attraktiv – sie können mittags günstig laden und abends teuer entladen.

Dieses Potenzial bietet auch bidirektionales Laden, das gerade politisch ermöglicht wird und somit zunehmend marktfähig wird. Steht das Auto beim Arbeitgeber auf dem Parkplatz, kann es zur Mittagszeit aufgeladen werden, um zur Spitzenzeit zwischen 17:30 und 21 Uhr den Hausverbrauch zu puffern oder gar ins Netz zurückgespeist zu werden. Allerdings gibt es bislang nur wenige Autos und wenige, teure Wallboxen, die das technisch können.

Kritikpunkte nicht verschweigen

Natürlich gibt es offene Fragen. Die größte: Wer finanziert die zwei Milliarden Euro Ausfall bei Netzbetreibern und Stromlieferanten? Müller schlägt Steuergelder vor – politisch heikel in Zeiten knapper Kassen. Alternative wäre eine Umverteilung innerhalb des Stromsystems, etwa über eine Reform der EEG-Umlage.

Auch die Gefahr von Mitnahmeeffekten besteht: Energieintensive Industrien könnten ihre Produktion in die Gratis-Stunden verlagern, ohne dass dies zur Netzstabilität beiträgt. Hier braucht es kluge Begrenzungen, etwa auf Haushalte oder kleine Gewerbebetriebe.

Und schließlich: Der Solarbonus löst nicht das Grundproblem fehlender Speicherkapazität. Er verschafft Zeit, aber diese Zeit muss genutzt werden für den massiven Ausbau von Batteriespeichern, Power-to-X-Anlagen und Wasserstoff-Infrastruktur.

Akzeptanz durch Teilhabe

Trotz dieser Einwände: Das Grundprinzip ist eine Überlegung wert. „Im Moment zahlen wir im Sommer dafür, dass die Erneuerbaren nicht laufen“, sagt Grünen-Vize Sven Giegold. Der Solarbonus dreht diese absurde Logik um: Statt für Stillstand zu zahlen, bezahlen wir für Verbrauch.

Und er schafft etwas, das der Energiewende oft fehlt: Spürbare Vorteile für alle. Wer keine 30.000 Euro für eine PV-Anlage hat, profitiert trotzdem von der Energiewende. Das ist nicht nur sozial gerechter, sondern auch politisch klug. Akzeptanz entsteht durch Teilhabe.

Der Leitantrag der Grünen bringt es auf den Punkt: Klimaschutz „wird aber nur dann breite gesellschaftliche Akzeptanz erfahren, wenn er gerecht gestaltet wird, wenn es sich alle leisten können und etwas davon haben.“

Erneuerbare als Effizienztreiber

Die größere Erkenntnis hinter dem Solarbonus: Erneuerbare Energien senken die Kosten nicht trotz, sondern wegen ihrer Charakteristika. Ihr Grenzpreis ist praktisch Null – Wind und Sonne schicken keine Rechnung. Das schafft Effizienzpotenziale, die fossile Systeme niemals bieten können.

Die Kunst besteht darin, diese Effizienzgewinne auch während des Systemumbaus herauszuarbeiten. Genau das tut der Solarbonus. Er ist keine Subvention im klassischen Sinne, sondern die Umwandlung von Verschwendung in Nutzen.

Fazit: Brücke in die Zukunft

Der Solarbonus ist kein Allheilmittel. Er ist auch kein Ersatz für den dringend nötigen Ausbau von Speichern, Netzen und Smart-Meter-Infrastruktur. Aber er ist eine pragmatische Antwort auf ein reales Problem: Wie nutzen wir die enormen Effizienzgewinne erneuerbarer Energien, solange das System noch nicht vollständig flexibel ist?

Die Antwort: Indem wir Anreize schaffen, Verbrauch zu verlagern, Speicher zu füllen und Verschwendung zu vermeiden. Indem wir veraltete Preissignale durch zeitgemäße ersetzen. Und indem wir allen Verbrauchern zeigen: Die Energiewende hat handfeste Vorteile.

Ob der Parteitag Ende November den Solarbonus beschließt, bleibt abzuwarten. Doch die Diskussion allein zeigt: Die Debatte über die Energiewende verschiebt sich. Weg von der Frage „Können wir uns Erneuerbare leisten?“ hin zu „Wie nutzen wir ihre Vorteile intelligent?“

Das ist ein Fortschritt.

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