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Der Weise aus dem Schatten: Wie Fritz Vahrenholt die Klimawahrheit verbiegt

Die Vahrenholt-Methode bei Apollo News: Vom „alten Weisen“ zum Architekten der Desinformation

Ein Mann mit silbernem Haar lehnt sich zurück ins gedämpfte Licht. Die Hände gefaltet, die Stimme sonor – als träte ein alter Professor noch einmal ans Pult. Fritz Vahrenholt, einst Umweltsenator in Hamburg, einst Honorarprofessor (mehr war es nie), heute Prophet einer vergangenen Zeit. Schon das jüngste Interview bei Apollo News setzt genau auf dieses Bild: Jedes Wort scheint Gewicht zu tragen, jede Geste atmet Autorität. Man möchte glauben, was er sagt.

Doch hinter der väterlichen Fassade arbeitet eine präzise Maschinerie: Fakten werden zu Marionetten, Halbwahrheiten zu Gewissheiten. Willkommen im Theater des Fritz Vahrenholt – wo der „alte Weise“ mit professoralem Lächeln die Energiewende demontiert und dabei die Wahrheit gleich mit entsorgt.

Die Methode Vahrenholt – Inszenierung als Argument

Vahrenholts Wirkung speist sich nicht aus der Substanz seiner Argumente, sondern aus ihrer Verpackung. Er verkörpert den Typus des väterlichen Warners: Chemiker-Doktortitel als Wissenschaftssiegel, Manager-Vita als Wirtschaftskompetenz, graue Schläfen als Lebenserfahrung. Seine Technik ist Rosinenpickerei par excellence: Ein Körnchen Wahrheit hier, eine weggelassene Kontextualisierung dort – alles eingebettet in den Halo-Effekt seiner vermeintlichen Autorität. Wer so auftritt, muss nicht überzeugen. Er muss nur wirken.

Doch die „Methode Vahrenholt“ reicht tiefer: Sie lebt vom gezielten Wechselspiel aus Angst und Entwarnung. Mal beschwört er Untergangsszenarien wie den „100-fach totalen Blackout“, mal wiegt er sein Publikum mit Sätzen wie „Das Eis wächst wieder“ in trügerischer Sicherheit. Dieses Changieren hält die Zuhörerschaft gefangen – es wirkt wie eine Mischung aus väterlicher Beruhigung und apokalyptischer Drohung. Genau darin liegt die perfide Kraft seiner Rhetorik.

Trump als Kronzeuge, China als Popanz

Im jüngsten Apollo-News-Interview inszeniert sich Vahrenholt merkwürdig entrückt: Halb im Schatten, halb im Licht sitzend, wirkt er wie ein Orakel aus dem Dämmerlicht. Die Bildkomposition passt zur Message – hier spricht einer aus der Grauzone zwischen Fakt und Fiktion. Gleich zu Beginn zitiert er genüsslich Donald Trump:

„Das hat allerdings Donald Trump sehr genüsslich auf der UN-Hauptversammlung dargestellt, am Beispiel Deutschlands, in dem er sagt, Deutschland setzt auf Grün und sie gehen bankrott.“

Trump – der Mann, der den Klimawandel zum „chinesischen Hoax“ erklärte und aus dem Pariser Abkommen austrat – wird hier zum Wahrheitssprecher stilisiert. Dass Trump die fossile Lobby bediente? Dass seine Prognosen nie eintrafen? Irrelevant. Hauptsache, die Botschaft sitzt.

Dann der China-Trick:

„Die bauen jede Woche zwei Kohlekraftwerke. Immer weiter.“

Das klingt nach apokalyptischer Expansion. Verschwiegen wird: China installiert parallel mehr Wind- und Solarkapazität als der Rest der Welt zusammen. Die Emissionen sinken erstmals. Und: Ein Großteil der neuen Kohlekraftwerke wird als Reservekapazität gebaut – eine Art Backup, das in der Praxis kaum läuft.

Genau jenes Modell, das Vahrenholt für Deutschland selbst fordert: „Ja, 50 Gaskraftwerke muss man wahrscheinlich bauen. Oder man lässt 25 Kohlekraftwerke mit CCS am Netz.“ Ein doppelter Maßstab, der nur in sein rhetorisches Drehbuch passt.

Doch Vahrenholt raunt weiter:

„China ist ausgestiegen oder hat noch nie was machen müssen, weil sie sich ja auch als Entwicklungsland bezeichnen.“

Eine glatte Falschbehauptung. China ist nicht nur Vertragsstaat des Pariser Abkommens, sondern setzt eigene Klimaziele um. Die Emissionen sinken bereits leicht. Der Faktenchecker AFP klassifiziert solche Aussagen als Desinformation. Der Volksverpetzer spricht von „Rosinenpickerei in Reinform“. China hat frühzeitig sein Ausbauziel für Wind und PV bis 2030 erreicht – 6 Jahre vor Plan.

Das Chemiker-Schutzschild: Wissenschaft als Tarnung

Wie seine Verbündete Katharina #GasKathi Reiche trägt Vahrenholt den Chemiker-Doktor wie einen Orden. Diese wissenschaftliche Aura ist sein Schutzschild – und seine Lizenz zum Irreführen. Er propagiert technische Scheinlösungen: Fracking hier, CCS dort, dazu heimische Gasförderung und neue Atomkraftwerke.

Pikant: Als Aufsichtsratsvorsitzender von Aurubis müsste er wissen, warum sein eigenes Unternehmen nicht „ganz stark“ auf CCS setzt. Die Antwort: Weil die Technologie im industriellen Maßstab kaum funktioniert und ökonomisch meist scheitert. Laut Nachhaltigkeisbericht setzt das Unternehmen auf CO₂-Reduktion mit Ammoniak, Elektrifizierung, Recycling, erneuerbare Energien und Wärmerückgewinnung. Rhetorisch aber klingt CCS nach Innovation – und konserviert nebenbei fossile Geschäftsmodelle.

Wetterspiele statt Klimawissenschaft

Fritz Vahrenholt aus dem Jahr 2023, CC0-Lizenz, Wikimedia
Der Inszenierer – Fritz Vahrenholt

Besonders perfide wird die Inszenierung, wenn Vahrenholt Wetter und Klima vermischt:

„Das Nordpolareis hat sich stabilisiert, es geht nicht weiter zurück. Es steigt sogar wieder.“

Die Langzeitdaten sprechen eine andere Sprache: Das arktische Eis schrumpft dramatisch, der Trend ist eindeutig. Einzelne Jahre mit leichtem Zuwachs sind Wetterphänomene, nicht Klimatrends. Vahrenholt weiß das – und lügt trotzdem.

Diese Verharmlosungsstrategie steht in krassem Gegensatz zu den Warnungen der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Während Vahrenholt von Stabilisierung fabuliert, warnen die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die Deutsche Meteorologische Gesellschaft eindringlich: Die Welt steuert auf 3 Grad Erwärmung schon 2050 zu – mit katastrophalen Folgen. Dürren, Überschwemmungen, Hitzewellen werden zur Normalität. Doch Vahrenholt inszeniert sich als der ruhige Gegenpol zur „Klimahysterie“.

Seine Methode: Er pickt sich Einzeldaten heraus – ein kalter Winter hier, ein Eiswachstum dort – und verkauft sie als Trend. Das ist, als würde man aus einem einzelnen Regentag schließen, die Dürre sei vorbei. Klimawissenschaft funktioniert anders: Sie betrachtet Jahrzehnte, nicht Jahreszeiten. Sie analysiert globale Muster, nicht lokale Anomalien.

Vahrenholt aber spielt mit der Sehnsucht seines Publikums nach Entwarnung. Er weiß: Wer Angst hat vor der Transformation, klammert sich an jeden Strohhalm der Verharmlosung. Und so serviert er seinem Publikum genau das, was es hören will: Alles halb so wild, die Wissenschaftler übertreiben, wir haben noch Zeit. Eine tödliche Illusion, verpackt in professorale Gelassenheit.

Rhetorische Giftpfeile: Wenn Strom zu „Abfall“ wird

Vahrenholts Sprache ist durchsetzt mit toxischen Metaphern:

„30 Prozent des Photovoltaikstroms sind Abfallstrom, den wir teuer bezahlen müssen.“

„Abfallstrom“ – ein Wort, das nach Müllhalde riecht. Tatsächlich handelt es sich um temporäre Überproduktion, ein lösbares Marktphänomen. Mit Speichern und intelligenten Netzen wird aus „Abfall“ wertvolle Flexibilität.

Oder der Windrad-Mythos:

„Ein Windrad erzeugt 150 bis 300 Kilo Abrieb im Jahr.“

Hersteller dokumentieren: etwa 1 Kilo pro Rotorblatt über die gesamte Lebensdauer. Nach Jahrzehnten sehen moderne Rotoren noch aus wie neu. Vahrenholts Zahl ist um den Faktor 100 übertrieben.

Und bei E-Autos:

„Die Chinesen erzeugen bei der Batterie so viel CO₂ wie ein Diesel nach 100.000 km.“

Eine Zombiezahl aus überholten Studien. Moderne Batterieproduktion mit Ökostrom unterbietet jeden Diesel bereits nach 20.000 Kilometern.

Der Blackout-Prophet und seine verdrehten Zitate

Vahrenholts Königsdisziplin ist die Angstmache:

„Wenn wir jetzt keine Grundlastkraftwerke bauen und weiter Kohlekraftwerke abschalten, dann ist das Netz 100 Mal im Jahr tot.“

Die Realität: Deutschland hat eines der stabilsten Stromnetze weltweit. Durchschnittliche Ausfallzeit pro Haushalt: unter 15 Minuten jährlich. Vahrenholts „100 Blackouts“ sind reine Fantasie.

Besonders perfide ist seine Berufung auf die New York Times:

„Selbst die New York Times hat getitelt, es ist nicht nur die USA, die ganze Welt hat genug von der Klimapolitik.“

Was Vahrenholt hier tut, ist meisterhaft manipulativ: Es gibt tatsächlich einen Artikel im New York Times Magazine von David Wallace-Wells mit dem Titel It Isn’t Just the U.S. The Whole World Has Soured on Climate Politics. Doch Vahrenholt verschweigt den entscheidenden Kontext: Wallace-Wells analysiert den politischen Rückschlag bei gleichzeitigem Boom der Erneuerbaren. Der Autor dokumentiert, dass China zur „grünen Supermacht“ aufgestiegen ist, dass 93 Prozent aller neuen Kraftwerke weltweit erneuerbar sind, dass die Solarenergie exponentiell wächst.

China installierte 2024 rund 277 Gigawatt Solar– und 79 Gigawatt Windenergie – mehr als der Rest der Welt zusammen. Allein 2025 kommen über 210 GW PV hinzu, was die gesamte Solarkapazität der USA deutlich übersteigt (USA 2024: ca. 178 GW PV, Deutschland: ca. 100 GW).

Der Artikel ist keine Kapitulation vor der Klimakrise, sondern eine differenzierte Analyse: Die Politik mag schwächeln, aber die grüne Transformation läuft – angetrieben von Marktdynamiken und chinesischer Technologie. Wallace-Wells warnt explizit vor den Gefahren des politischen Rückzugs und beklagt den Verlust globaler Solidarität. Vahrenholt aber reißt die Überschrift aus dem Zusammenhang und verkehrt die Botschaft ins Gegenteil. Aus einer Warnung macht er eine Rechtfertigung, aus Analyse wird Propaganda.

Das System Vahrenholt: Geschäftsmodell Gestern

Die Muster wiederholen sich: Trump als Heilsbringer, China als Schreckgespenst, Polareis als stabil, Ökostrom als Müll, das Stromnetz als Todesfalle. Dazwischen streut er seine Vita ein – der erfahrene Manager, der besorgte Wissenschaftler, der weise Warner.

Stefan Rahmstorf und andere Klimawissenschaftler haben die Thesen seit Jahren systematisch widerlegt. Faktenchecker wie AFP und Volksverpetzer dokumentieren seine Irreführungen. Trotzdem bleibt seine Aura intakt – bei jenen, die Bestätigung suchen statt Wahrheit.

Denn seine Auftritte sind ein Geschäft: Buchverkäufe an Verunsicherte, Vortragshonorare von fossilen Lobbys, gut dotierte Mandate in energieintensiven Unternehmen. Er bedient die Sehnsucht nach der alten Ordnung, wo Kohle noch König war und niemand von Transformation sprach.

Hinzu kommt: Vahrenholt selbst lobt in Interviews ausdrücklich die sogenannten „alternativen Medien“ – gemeint sind rechte bis rechtslibertäre Plattformen wie Apollo News – und fordert gleichzeitig die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das ist kein Zufall, sondern deckungsgleich mit klassischen AfD-Narrativen: Misstrauen gegen seriöse Medien säen, während Desinformation in Nischenplattformen verstärkt wird.

Epilog: Die Maske fällt

Der in Gelsenkirchen-Buer geborene, ehemalige Manager ist kein verirrter Wissenschaftler, der sich in Fakten verstrickt hat. Er ist ein präziser Architekt der Desinformation, ein Meister der suggerierten Autorität. Sein Theater mag überzeugend wirken – für jene, die das Drehbuch nicht durchschauen.

Die wahre Weisheit liegt nicht im Festhalten am Gestern, sondern im Gestalten des Morgen. Nicht bei den selbsternannten Propheten mit ihren polierten Halbwahrheiten, sondern bei denen, die mit Daten statt mit Demagogie arbeiten.

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