Neptune Energy
Lithium Altmark: Wie ein Pilotprojekt in Sachsen-Anhalt zur Rohstoffsouveränität beitragen soll
Neptune Energy testet in der Altmark die Lithiumgewinnung aus Thermalwasser – mit großem Potenzial, aber auch hohen Erwartungen.
Als im April 2024 die bergrechtliche Bewilligung für ein neues Lithiumprojekt im Norden Sachsen-Anhalts erteilt wurde, war das für viele ein Hoffnungsschimmer. Denn das, was Neptune Energy unterhalb der Altmark erschließen will, könnte Deutschland ein gutes Stück unabhängiger von chinesischen Rohstoffimporten machen. Der Standort ist nicht zufällig gewählt: Jahrzehntelang wurde hier Erdgas gefördert, nun soll das gewonnene Wissen aus dem Untergrund für den Aufbau einer neuen Zukunftsbranche genutzt werden.
Eine aktuelle Nachricht vom September 2025 verleiht dem Projekt nun neue Dynamik: Laut einer Bewertung des internationalen Gutachters Sproule ERCE besitzt das Gebiet in der Altmark eine Ressource von 43 Millionen Tonnen Lithiumcarbonat-Äquivalent (LCE) – eines der größten projektbezogenen Vorkommen weltweit. Gleichzeitig wurde der zweite Pilotversuch mit Lilac Solutions erfolgreich abgeschlossen: Erstmals wurde in der Region batteriefähiges Lithiumkarbonat produziert. Und: Neptune Energy erhält mit „Milde B-L“ eine dritte Explorationslizenz für die Region.
Drei Verfahren, ein Ziel: Saubere Batterieproduktion aus der Altmark
Im November 2024 begann Neptune Energy mit der Pilotphase: Lithium wird seither aus Thermalwasser extrahiert. Das Besondere: Die Nutzung bestehender Erdgasbohrungen und die Anwendung sogenannter Direct Lithium Extraction (DLE)-Verfahren versprechen eine besonders umweltschonende Gewinnung des Batterie-Rohstoffs. Bis Mitte 2026 will Neptune in drei Pilotprojekten testen, welches Verfahren sich technisch, wirtschaftlich und ökologisch am besten eignet.
Die erste Pilotanlage setzte auf das Li-Capt-Verfahren des französischen Unternehmens Geolith. Hierbei wurde Lithium mit einem Ionenaustauschverfahren aus dem Thermalwasser gelöst und in mehreren Schritten zu Lithiumkarbonat mit einer Reinheit von 99,9 Prozent weiterverarbeitet. Das Verfahren ist für niedrige Lithiumkonzentrationen geeignet und ermöglicht eine Wasserwiederverwendung von bis zu 90 Prozent.
Es folgte ab Juni 2025 ein Pilotprojekt mit dem kalifornischen Cleantech-Unternehmen Lilac Solutions, einem strategischen Partner von BMW. Deren mobile Containeranlage verarbeitete das Thermalwasser direkt vor Ort. Lilacs proprietäre Ionenaustauschperlen gelten als besonders effizient und schnell. Die gewonnenen Lithiumchlorid-Lösungen wurden ebenfalls in Steinitz weiterveredelt.
Seit Mitte September 2025 testet Neptune zudem eine dritte Variante auf Adsorptionsbasis. Ziel ist es, den geeignetsten Weg für eine spätere Demonstrationsanlage zu finden, die ab 2026 die Skalierbarkeit des Verfahrens zeigen soll.
Was alle Verfahren eint: Sie vermeiden große Eingriffe in die Landschaft, setzen auf geschlossene Wasserkreisläufe und ermöglichen die parallele Nutzung der geothermischen Energie.
Lithium Altmark: Hoffnungsträger mit Einschränkungen
Das Potenzial der Ressource ist – wie beschrieben – außergewöhnlich: Es geht um 43 Millionen Tonnen Lithiumcarbonat-Äquivalent (LCE). Das wäre eine der größten projektbezogenen Lithiumressourcen weltweit. Doch wie realistisch ist diese Zahl?
Michael Schmidt von der Deutschen Rohstoffagentur DERA ordnet ein: Die Zahl bezieht sich auf geologische Ressourcen, nicht auf technisch und wirtschaftlich gewinnbare Reserven. Auch wenn erste Ergebnisse vielversprechend sind, steht die praktische Machbarkeit erst am Anfang.
Wichtig ist: Die Altmark ist kein Einzelfall. Auch im Oberrheingraben (Projekt Vulcan Energy) und im Erzgebirge schlummern theoretisch große Lithiumvorkommen. Auch dort geht es um Lithium für Elektroautos.
Europas Weg zur strategischen Rohstoffversorgung
Fakt ist: Europa ist heute nahezu vollständig auf Lithiumimporte angewiesen, vor allem aus China, das neben dem Rohstoff auch große Teile der Batterie-Wertschöpfungskette kontrolliert. Ein Lieferstopp wäre fatal – wirtschaftlich wie technologisch.
Vor diesem Hintergrund gewinnt das Projekt Lithium Altmark politische Relevanz. Die EU hat mit dem Critical Raw Materials Act das Ziel formuliert, ab 2030 zehn Prozent des Bedarfs an kritischen Rohstoffen innerhalb Europas zu fördern. Die Altmark könnte mit bis zu 25.000 Tonnen Lithiumkarbonat pro Jahr einen relevanten Beitrag leisten. Das wäre genug Material für etwa 500.000 E-Autos – ein mittlerer, aber strategisch wichtiger Anteil am deutschen Markt.
Umweltbilanz: Thermalwasser als Vorteil
Im Vergleich zu Lithiumminen in Australien oder Verdunstungsfeldern in Chile ist das Verfahren in der Altmark deutlich ressourcenschonender. Der CO2-Ausstoß pro Tonne Lithium liegt wesentlich niedriger, weil keine Hochtemperaturverarbeitung erforderlich ist. Zudem werden nur etwa 22,5 Liter Wasser pro Kilogramm Lithiumkarbonat verbraucht – im Gegensatz zu bis zu 500.000 Litern in südamerikanischen Anlagen.
Ein zentrales Pluspunkt: Die mitgeförderte Erdwärme aus dem Thermalwasser könnte perspektivisch für die regionale Wärmeversorgung genutzt werden.
Risiken und Akzeptanz: Ohne Dialog kein Fortschritt
Trotz technischer Vorteile bleibt das Projekt nicht unumstritten. Mehr als 22.000 Menschen haben eine Petition gegen das Vorhaben unterzeichnet. Befürchtet werden negative Auswirkungen auf Landwirtschaft, Wasserhaushalt und Naturschutzgebiete in der Region. Besonders in strukturschwachen Gebieten wie dem Altmarkkreis Salzwedel treffen wirtschaftliche Hoffnung und Umweltschutz aufeinander.
Die Herausforderung für Neptune Energy: Vertrauen schaffen. Durch kontinuierliches Monitoring, transparente Kommunikation und konkrete Beteiligungsangebote für die Region. Die erste Infoveranstaltung im Juni 2024 war ein Anfang, reicht aber nicht aus.
Altmark trifft Oberrheingraben: Zwei Projekte, eine Vision
Mit dem Projekt Vulcan Energy im Oberrheingraben existiert ein weiteres Vorzeigeprojekt zur Lithiumgewinnung aus Thermalwasser. Beide Ansätze nutzen unterschiedliche geologische Voraussetzungen, aber verfolgen das gleiche Ziel: eine nachhaltige europäische Batterieversorgung.
Cleanthinking.de hat mehrfach über Vulcan berichtet, unter anderem im Kontext strategischer Partnerschaften mit Automobilherstellern wie Stellantis oder Volkswagen. Auch Lilac Solutions, Partner im Altmark-Projekt, war bereits Thema.
Diese parallelen Entwicklungen zeigen: Europa will nicht länger nur auf Technologieimporte setzen, sondern die Rohstoffe der Energiewende selbst erschließen.
Fazit: Eine Region, viele Fragen – aber auch große Chancen
Die nächsten zwei Jahre werden entscheidend: Kann Neptune Energy die Pilotphase erfolgreich abschließen, eine Demonstrationsanlage aufbauen und die Gesellschaft vor Ort einbinden? Dann könnte die Altmark zum Symbol einer neuen, europäischen Rohstoffstrategie werden.
Noch aber sind viele Fragen offen: Ist das Verfahren wirtschaftlich tragfähig? Wie verlässlich ist die Ressourcenschätzung? Und gelingt die gesellschaftliche Einbindung?
Klar ist: Wenn Deutschland seine Rolle in der Elektromobilität halten will, braucht es heimische Quellen für kritische Rohstoffe. Das Projekt Lithium Altmark ist dafür ein ambitionierter, aber notwendiger Schritt.