Foto: Sebastian Arlt
Game Changer für chemisches Recycling: Radical Dot macht aus Müll grüne Chemie
Ein neuartiger, exothermer Prozess macht aus gemischten Kunststoffabfällen wertvolle Carbonsäuren – und könnte die Chemieindustrie grundlegend verändern.
Radical Dot will schaffen, woran Andere scheitern: Das Münchner Cleantech-Startup entwickelt einen chemischen Recyclingprozess, der gemischte Kunststoffabfälle in wertvolle Chemikalien umwandelt – und dabei Energie erzeugt statt verbraucht. Die Technologie verspricht wettbewerbsfähige Kosten im Vergleich zu fossil hergestellten Chemikalien und Skalierbarkeit. Die Vision: Mit dem Verfahren sollen langfristig bis zu 500 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr eingespart werden – mehr als der jährliche Ausstoß Deutschlands.
Die Idee ist bestechend: Statt Plastikmüll zu verbrennen oder aufwändig zu sortieren, soll er chemisch in seine Bausteine zerlegt und als Rohstoff wiederverwendet werden. Doch die Realität sieht ernüchternd aus. Konzerne wie Total, Exxon oder der US-Anbieter Brightmark setzen auf energieintensive Verfahren wie die Pyrolyse, bei denen Kunststoffe bei bis zu 850 Grad thermisch zersetzt werden. Die Verfahren sind teuer, ineffizient, emissionsintensiv – und erzielen oft nur geringe Ausbeuten verwertbarer Produkte. Zahlreiche Projekte scheiterten in der Skalierung.
Dabei ist die Plastikflut längst zur globalen Herausforderung geworden – mehr dazu in unserem Beitrag zur Plastik-Krise.
Radical Dots radikaler Ansatz
Gegründet wurde Radical Dot von Dr. Andreas Wagner und Alexandre Kremer – beide leiteten zuvor den Bereich „Planet Positive Chemicals“ bei Systemiq und entwickelten dort die erste globale Roadmap für den Netto-Null-Übergang der Chemieindustrie. Das Startup entstand aus dem TUM Venture Lab, ChemSPACE und dem UnternehmerTUM-Inkubator XPRENEURS.
Ihre Motivation: Die wachsenden Chancen für klimafreundliche Chemie – und der gleichzeitige Rückstand der Branche bei Nachhaltigkeit und bahnbrechenden Entwicklungen. Genau hier setzt Radical Dot an: Das Ziel ist ein wirtschaftlich tragfähiger Prozess, der gemischte Kunststoffabfälle in wertvolle Carbonsäuren umwandelt.

Der Unterschied liegt genau darin: Statt hohe Temperaturen zu nutzen, setzt Radical Dot auf eine katalytische Reaktion bei niedriger Temperatur – und das exotherm. Die chemische Reaktion erzeugt also Energie, anstatt Energie zu verschlingen. Das spart Kosten, reduziert Emissionen und macht die Anlage potenziell effizienter als bestehende Verfahren.
„Nachdem ich die verheerenden Auswirkungen der Plastikverschmutzung aus erster Hand beim Aufbau von Abfallwirtschaftsinfrastruktur in Indonesien im Rahmen von Project STOP erlebt habe, habe ich meine Karriere der Verwandlung von Plastikmüll von einer gesellschaftlichen Last in eine wertvolle Ressource gewidmet, die eine nachhaltige Wirtschaft antreibt„, sagt Alexandre Kremer, Mitgründer und COO von Radical Dot.
Die drei Hebel zur Wirtschaftlichkeit
Laut CEO Wagner basiert das Geschäftsmodell auf drei zentralen Faktoren:

Hohe Kohlenstoffeffizienz: Je mehr Kohlenstoff im Endprodukt landet, desto wirtschaftlicher der Prozess.
Niedrige Feedstockpreise: Gemischte Kunststoffabfälle, die bislang nicht recycelbar sind, gelten als Kostenfaktor anstatt als Rohstoff.
Energieintegration: Der exotherme Prozess liefert die Energie für den Betrieb gleich mit.
Das Ergebnis sind kostengünstige, grüne Carbonsäuren – Grundstoffe für Kunststoffe, Lösemittel und Pharmaprodukte. Diese Herangehensweise unterscheidet sich grundlegend von anderen Recyclingansätzen wie dem enzymatischen Verfahren von ESTER Biotech oder dem PET-Recycling von Carbios.
Pilotphase mit prominenten Investoren
Im April 2025 hat Radical Dot 2,7 Millionen Euro Kapital (Pre-Seed) eingesammelt. Geführt wurde die Runde von UVC Partners und Visionaries Tomorrow. Mit dabei: Systemiq-Partner Jeremy Oppenheimer, Ex-Snowflake-CFO Thomas Tuchscherer und Lord Adair Turner, Chef der Energy Transition Commission.
Das Geld fließt in den Bau eines kontinuierlich betriebenen Prototyps an der TU München. Dieser soll die Machbarkeit des Prozesses belegen und den Weg zur industriellen Skalierung ebnen.
Die große Vision
Langfristig will Radical Dot eine Technologieplattform aufbauen, die weltweit bis zu 20 Prozent des Plastikabfalls verwerten und dabei über 500 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr einsparen kann. Zum Vergleich: Das entspricht mehr als den jährlichen Emissionen Deutschlands.
Ob das gelingt, hängt von der technischen Reife, regulatorischen Entwicklung und industriellen Nachfrage ab. Doch das Konzept verspricht, gleich mehrere Probleme der Kunststoffwirtschaft zu lösen. Innovative Materialkonzepte wie das kreislauffähige Aevoloop-Polymer mit integrierter Sollbruchstelle tragen ebenfalls dazu bei – mehr dazu im Artikel Aevoloop: Kunststoff mit eingebauter Kreislaufwirtschaft.
Fazit: Eine echte Alternative
Radical Dot bringt frischen Wind in eine Branche, die seit Jahren auf Durchbruch beim chemischen Recycling hofft. Der exotherme Prozess könnte sich als ökonomisch und ökologisch tragfähige Alternative etablieren. Entscheidend werden nun die kommenden zwei Jahre: Gelingt der technische Beweis, könnte Radical Dot zum Game Changer einer ganzen Industrie werden.