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ESTER Biotech: Wie ein Leipziger Startup mit einem Friedhofs-Enzym das Plastikrecycling neu definiert

Ein Unternehmer-Team macht enzymatisches Recycling skalierbar und befreit Plastik aus der Verbrennungsfalle.

ESTER Biotech hat seinen Ursprung an einem ungewöhnlichen Ort: dem Südfriedhof Leipzig. Hier, zwischen Laub, Zweigen und verwitterten Grabblumen, entdeckte ein Leipziger Forschungsteam unter Leitung von Prof. Wolfgang Zimmermann ein neues Enzym, das sie PHL7 nannten. Dieses Enzym beschrieb sein Mitarbeiter Dr. Christian Sonnendecker, heute Co-Gründer des Unternehmens, erstmals 2021 in der Fachzeitschrift ChemSusChem. Es handelt sich um eine sogenannte Polyesterhydrolase, die in der Lage ist, Kunststoff vom Typ PET effizient zu zerlegen. PET (Polyethylenterephthalat) ist einer der am häufigsten eingesetzten Kunststoffe – zum Beispiel in Verpackungsschalen von Obst.

Innerhalb von nur 12 Stunden kann PHL7 mehr als 90 % dieses Kunststoffs zersetzen – gemeint sind insbesondere dünnwandige PET-Produkte wie Plastikschalen für Erdbeeren oder andere Lebensmittelverpackungen. Das Enzym arbeitet nach einigen Modifikationen seit dem Fund doppelt so schnell wie bisherige Enzym-Spitzenreiter, bei gleichzeitig hoher Energieeffizienz und Stabilität.

Was wie ein Biologiewunder klingt, ist das Ergebnis hartnäckiger Forschung an der Universität Leipzig. Und die Grundlage für ein Cleantech-Startup, das sich nicht weniger vorgenommen hat, als das Plastik-Problem industriell zu lösen.

„Das ist unsere Mission“, sagt Co-Gründer Martin Hirschfeld – eine Ziel, das über technischen Fortschritt hinausweist und gesellschaftliche Wirkung entfalten soll.

Ein Spin-off mit Tiefgang: Das Team von ESTER Biotech

Das im Frühjahr 2025 gegründete Team von ESTER Biotech besteht heute aus vier Gründern: Neben Sonnendecker sind das Dr. Ronny Frank (Biochemiker), Madalin Ceausescu (Verfahrenstechnik) und Martin Hirschfeld (Wirtschaftsingenieur). Unterstützt wird das Team von Alexander Hergett, der als Leiter der Bioinformatik eine Schlüsselrolle in der Technologieentwicklung einnimmt. Was sie verbindet, ist der Glaube daran, dass wissenschaftliche Exzellenz, digitale Methoden und Unternehmergeist gemeinsam Großes bewegen können.

Das Team von ESTER Biotech in der BioCity Leipzig
Das Team von ESTER Biotech in der BioCity Leipzig.

Der hartnäckig vorbereitete Nukleus des Projekts entstand bereits 2022, als das Konzept bei der Leipziger Gründungsnacht als beste Geschäftsidee ausgezeichnet wurde. Die eigentliche Gründung erfolgte mit dem Start des EXIST-Forschungstransfers Anfang 2025 – auch, weil das Interesse aus Industrie und Forschung groß war.

Technologie trifft Wirkung: Enzymatisches Recycling neu gedacht

Im Zentrum der ESTER-Technologie steht das Verfahren der enzymatischen Hydrolyse. Dabei werden Kunststoffe mit Hilfe spezifischer Enzyme auf molekularer Ebene in ihre Monomere (Grundbausteine) zerlegt – etwa Terephthalsäure (TPA) und Ethylenglykol (EG) im Fall von PET. Diese Monomere können anschließend erneut zu hochwertigem Kunststoff polymerisiert werden – im Gegensatz zum üblichen Downcycling ohne Qualitätsverlust und ohne fossile Rohstoffe.

Das funktioniert allerdings nur bei bestimmten Arten von PET besonders gut – etwa bei amorphem PET, wie es in Schalen und Folien verwendet wird. Die Polyesterkunststoffe enthalten sogenannte „Sollbruchstellen“ in Form von Esterbindungen, die von Enzymen gezielt aufgespalten werden können. Bei PET-Flaschen hingegen sind diese Sollbruchstellen durch die Kristallinität und Verarbeitung verdichtet oder „verklebt“, was zusätzliche Prozessschritte oder eine intensivere Vorbehandlung erfordert.

Plastikrecycling mit Enzym PHL7
Plastikrecycling mit dem Enzym PHL7.

Was ESTER mit beharrlichem Einsatz erreicht hat:

  • PHL7 ist außergewöhnlich thermostabil (bis zu 95 °C) und benötigt nur 0,02–0,06 % Enzymmenge bezogen auf das Kunststoffgewicht – deutlich weniger als marktübliche Referenzsysteme.
  • Multilayer-Verbundstoffe, die aus mehreren Kunststoffschichten bestehen und in der Regel als nicht recyclebar gelten, lassen sich enzymatisch gezielt auftrennen – ein Durchbruch für komplexe Verpackungsabfälle.

Die patentierte Screening-Technologie von ESTER Biotech nutzt elektrochemische Impedanzspektroskopie, um in kurzer Zeit viele Enzym-Kunststoff-Kombinationen unter realen Bedingungen zu analysieren. Statt Simulationen kommen Originalmaterialien zum Einsatz, die kontinuierlich, hochsensibel und nicht-invasiv vermessen werden. Die so entstehenden Daten bilden eine digitale Grundlage für KI-gestütztes Enzymdesign – präzise, automatisiert und auf konkrete Anwendungen abgestimmt. Dieses datenbasierte System verschafft ESTER einen entscheidenden Vorsprung im Wettbewerb um die besten Recyclinglösungen.

„Unsere Technologie ermöglicht es, Stoffströme, die heute verbrannt werden, auf molekularer Ebene wieder an den Anfang des Kreislaufs zu bringen“, sagt Christian Sonnendecker. „Und das mit hoher Energieeffizienz und Skalierbarkeit.“

Intelligente Messtechnik als strategischer Schlüssel

Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal von ESTER Biotech ist die von Dr. Ronny Frank entwickelte und patentierte Messtechnik. Basierend auf elektrochemischer Impedanzspektroskopie erlaubt sie es, viele Enzym-Kunststoff-Kombinationen unter variierenden Bedingungen (Temperatur, pH-Wert) in kürzester Zeit, automatisiert und parallel zu testen – direkt mit Originalmaterialien statt auf Basis von Simulationen. Der Abbauprozess kann dabei kontinuierlich, hochsensibel und nicht-invasiv beobachtet werden.

Das Resultat: eine digitale, hochauflösende Abbildung des Degradationsprozesses, die in Kombination mit KI-Methoden für das sogenannte Computational Protein Design genutzt wird. So lassen sich gezielt neue Enzymvarianten für unterschiedliche Anwendungen entwickeln. Dieses datengetriebene Innovationssystem stellt langfristig einen zentralen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Akteuren im Bereich des enzymatischen Recyclings dar.

Skalierung mit Plan: Vom Reagenzglas zur Großanlage

In der BioCity Leipzig, dem Gründerzentrum für Life Sciences, betreibt das Team derzeit einen 100-Liter-Reaktor zur Behandlung von Post-Consumer-Kunststoffen bei 65 bis 70 °C. Für 2026 ist ein 1-Kubikmeter-Reaktor geplant, bis 2030 sollen 4×350 m³ fassende Industrieanlagen entstehen, die bis zu 45.000 Tonnen Kunststoff jährlich verarbeiten können.

Der Weg dorthin ist ambitioniert – und auch 45.000 Tonnen sind letztlich nur ein Bruchteil der globalen Plastikflut. Doch es ist ein notwendiger Schritt, um molekulares Recycling aus dem Labor in die Realität zu holen. Zum Vergleich: Weltweit fallen jährlich rund über 350 Millionen Tonnen Kunststoffabfall an.

Die größte Herausforderung dabei: Die Enzymversorgung. Derzeit arbeitet ESTER mit zwei mittelständischen Partnern am Aufbau einer kosteneffizienten Lieferkette. Ziel ist es, den Enzympreis auf 100 bis 200 Euro pro Kilogramm zu senken – eine Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit gegenüber mechanischem und chemischem Recycling.

Zentral für den Markterfolg sind wirtschaftliche Rahmenbedingungen – insbesondere mit Blick auf die EU-Verpackungsverordnung (PPWR). Ab 2030 wird ein umkämpfter Rezyklatmarkt erwartet, vor allem bei lebensmitteltauglichem PET. Steigende Preise sind absehbar. Laut OPEX- und CAPEX-Kalkulationen von ESTER Biotech könnten Rezyklatkosten zwischen 1,30 und 1,80 Euro pro Kilogramm erreichbar sein – exklusive Kosten für Inputströme, die heute teils noch zu Negativpreisen gehandelt werden.

Das enzymatische Verfahren bietet dabei einen klaren Vorteil: Es ist weitgehend unabhängig von steigenden Öl- und CO₂-Preisen und könnte perspektivisch sogar günstiger als Virgin PET werden. Kurzfristig braucht es jedoch Partner, die ein erstes Pilotprojekt auch zu höheren Rezyklatpreisen mittragen – um die Machbarkeit im halb-industriellen Maßstab zu demonstrieren.

Mehr als Recycling: Der Weg zum echten Upcycling

Mechanisches Recycling führt meist zu Qualitätsverlusten – Stichwort Downcycling. ESTER hingegen arbeitet an echtem Upcycling, bei dem aus Abfall hochwertige Ausgangsstoffe entstehen. Das Verfahren funktioniert auch bei stark verunreinigtem Material und benötigt keinen hohen Druck oder toxische Chemikalien.

„Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu etablierten Verfahren, sondern als Ergänzung dort, wo klassische Methoden an ihre Grenzen stoßen“, erklärt Martin Hirschfeld. „Multilayer-Verpackungen – also Verpackungen, die aus mehreren, fest miteinander verbundenen Kunststoffschichten bestehen – sowie stark kontaminierte Abfälle oder Bio-Polyester: All das können wir adressieren.“

Der Kontext: EU-Regulatorik als Rückenwind

Der entscheidende Hebel werden die Mindestrezyklat-Quoten, die bis 2040 auf bis zu 65 % steigen. Diese neue Regulatorik stellt einen wirklichen Meilenstein dar. Wichtig ist, dass die ambitionierten Ziele auch aufrechterhalten werden und die Industrie bei den entstehenden Herausforderungen von allen Stakeholdern, wie Politik, Forschung und Konsumenten unterstützt wird.

Sobald die Industrie selbst zahlen muss, dürfte sich das Kostenbewusstsein für nicht nachhaltige Verpackungen spürbar verschärfen. Das wiederum könnte die Zahlungsbereitschaft für hochwertige Recyclingverfahren wie das enzymatische Verfahren aus Sachsen erhöhen.

Das Leipziger Unternehmen könnte hier doppelt profitieren: Erstens bietet das Verfahren die notwendige Qualität für Lebensmittelanwendungen. Zweitens können durch technologiegestützte Lösungen wie „ESTER Upcycle“ potenziell Lizenzmodelle entstehen, bei denen Anlagenbetreiber die Technologie übernehmen.

Ausblick: Cleantech aus Leipzig – skalierbar, global, relevant

Die Vision ist klar: Eine biobasierte, CO₂-arme Kreislaufwirtschaft, in der Kunststoff kein Problemstoff mehr ist, sondern ein Wertstoff. Das Team plant, die Technologie auch auf andere Kunststoffarten wie PBS, PBAT und PLA auszuweiten – erste Ergebnisse liegen bereits vor.

Bis 2050, so die Marktanalyse von ESTER, könnten bis zu 18 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle jährlich enzymatisch recycelt werden. Bei Textilien beispielsweise sieht das Team weiteres Potenzial von 10 Millionen Tonnen. Wenn sich weitere Regionen an der EU-Regulierung orientieren, dürften dies Werte steigen.

Das letzte Wort soll Christian Sonnendecker haben:

„Wir stehen erst am Anfang. Aber wir sind überzeugt: Wenn Wissenschaft, Unternehmergeist und gesellschaftliche Verantwortung zusammenkommen, kann aus einem Friedhofs-Enzym ein Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft werden.“

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  1. […] flows that are currently burned back to the beginning of the cycle at the molecular level,” says Christian Sonnendecker, lead author on the paper of the enzyme’s discovery, and co-founder of […]

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