Reverion
Reversibilität: Der Game-Changer, der die deutsche Energietransformation vollendet
Die dritte Phase der Energiewende beginnt: Reversibilität ersetzt fossile Spitzenlast durch smarte Systemintegration.
Nach Atomausstieg und Erneuerbare-Ausbau steht die deutsche Energiewende vor ihrer dritten, entscheidenden Phase: der intelligenten Systemintegration. Ein Münchner Cleantech-Unternehmen zeigt, wie aus starren Biogasanlagen flexible Energiespeicher werden – und warum dieses Prinzip der Reversibilität das 400-Milliarden-Euro-Desaster fossiler Gaskraftwerke (Stichwort: Kapazitätsmarkt) überflüssig machen könnte.
Die Energiewende hat zwei Phasen gemeistert: den politischen Ausstieg aus der Atomkraft, und den infrastrukturellen Ausbau von Wind und Solar. Jetzt beginnt die dritte, vielleicht schwierigste Phase – die technologische Integration. Die Frage lautet nicht mehr ob wir 100 Prozent Erneuerbare schaffen, sondern wie wir Sonne, Wind und flexible Erzeuger zu einem bezahlbaren, belastbaren Gesamtsystem verschmelzen.
Genau hier eröffnet eine Technologie aus Bayern Perspektiven, die bis vor kurzem als kaum erreichbar galten: Reversibilität. Das Prinzip klingt simpel, ist aber revolutionär – und könnte die letzte große Lücke der deutschen Energiewende schließen.
Was Reversibilität wirklich bedeutet
Das Grundkonzept von reversiblen Brennstoffzellen haben wir bereits 2023 vorgestellt: Biogasanlagen werden zu intelligenten Energieknoten, die je nach Netzbedarf zwischen verschiedenen Modi wechseln:
- Überschuss-Strom von Wind und Solar wird in Gas umgewandelt (Power-to-Gas)
- Bei Dunkelflaute erzeugt die Anlage aus diesem Gas wieder Strom (Gas-to-Power)
- Das System arbeitet in beide Richtungen – daher: reversibel
Das Ergebnis: Ein geschlossener Kreislauf, der erneuerbare Energie immer verfügbar macht, ohne fossile Rückkehr. Biogas wird vom Grundlast-Erzeuger zum dynamischen Flexibilitätslieferanten – Teil der Netzregulation statt der Dauerproduktion.
Von Grundlast zu Spitzenlast: Der entscheidende Paradigmenwechsel
Hier liegt der Kern der Revolution: Biogasanlagen wurden bisher grundlastfähig eingesetzt – sie liefen rund um die Uhr durch, egal ob ihr Strom gerade gebraucht wurde oder nicht. Das war ineffizient und verschenkte ihr wahres Potenzial.
Mit größeren Gasspeichern und der Reverion-Technologie ändert sich das fundamental: Die Anlagen können ihr Biogas speichern und gezielt für Spitzenlast einsetzen – genau dann, wenn Wind und Sonne nicht liefern und der Strombedarf besonders hoch ist.
Das ist von mega-wichtiger Bedeutung: Denn genau diese Spitzenlast-Absicherung ist das Argument, mit dem Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche den Bau von 36 Gigawatt neuer fossiler Gaskraftwerke rechtfertigt. Doch wenn tausende Biogasanlagen diese Funktion übernehmen können – hocheffizient, dezentral und 100 Prozent erneuerbar – wird der Gaskraftwerks-Wahnsinn überflüssig.
Wie wir bereits im September 2025 in unserem Artikel über reversible Kraftwerke und die Kraftwerksstrategie berichtet haben, könnte diese Technologie die gesamte energiepolitische Debatte auf den Kopf stellen.
Reverion: 74 Prozent Wirkungsgrad als Weltrekord
Reverion – ein Spin-off der Technischen Universität München – hat diese Vision in die Realität überführt. Mit seiner Hochtemperatur-Festoxid-Brennstoffzellentechnologie (SOFC/SOEC) erreichen die Anlagen elektrische Wirkungsgrade von über 74 Prozent – ein Weltrekord für thermische Kraftwerke.
Dieser Durchbruch wurde auf einer Biogasanlage in Mühlacker demonstriert. Dort entsteht nicht nur hocheffizienter Strom, sondern gleichzeitig wird reines CO₂ separiert. Dieses kann stofflich genutzt oder dauerhaft gebunden werden – ein entscheidender Vorteil gegenüber herkömmlichen Ansätzen.
Mehr dazu hier im ZDF-Beitrag über die Technologie:
Die Zahlen sprechen für sich:
- 74% elektrischer Wirkungsgrad (vs. ~42% bei konventionellen Gas-Kraftwerken)
- Containerbasiert, modular und skalierbar
- Einsetzbar auf tausenden bestehenden Biogasstandorten
- Kein Energieverlust durch Reversibilität
- Spitzenlast-fähig statt Grundlast-gebunden
Warum fossile Gaskraftwerke eine Sackgasse sind
Die jüngste Bundestagsanhörung zum CCS-Gesetz hat es deutlich gemacht: CCS an fossilen Kraftwerken ergibt keinen Sinn. Der Energieverlust durch CO₂-Abscheidung ist enorm, die Kosten explodieren, die Infrastruktur fehlt. Ein zentraler Kapazitätsmarkt für 36 Gigawatt neue Gaskraftwerke, wie ihn Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche vorschlägt, steht auf tönernen Füßen.
Die bittere Wahrheit: Gutachten belegen, dass dieses Modell:
- Juristisch kaum genehmigungsfähig ist (EU-Beihilferecht)
- Ökonomisch eine Jahrhundertfehlentscheidung mit Kosten von rund 400 Milliarden Euro wäre
- Technologisch bereits überholt ist, bevor der erste Spatenstich erfolgt
Wenn also die fossile Reserve keine Lösung ist – und das zeigt sich immer deutlicher – braucht es Alternativen, die sowohl effizient als auch EU-beihilfekonform sind.
Dezentral statt zentral: Die neue Kraftwerks-Philosophie
Reversibilität erfüllt genau diese Anforderungen – und geht noch weit darüber hinaus. Statt zentraler fossiler Großkraftwerke ermöglicht die Reverion-Technologie ein dezentrales, vernetztes System:
In Zahlen übersetzt:
- Mehrere tausend Anlagen der neuen Generation
- Mehrere Gigawatt flexible Leistung, verteilt über das Land
- Netznah und von kommunalen Betreibern geführt
- Gezielter Spitzenlast-Einsatz statt starrer Grundlast
- Perfekte Harmonisierung mit Wärmenetzen, Speicherparks und Wasserstoffhochlauf
Der teure Aufbau zentraler fossiler Kraftwerke würde überflüssig. Bestehende Biogasstandorte können wirtschaftlich weiterbetrieben und gleichzeitig zur Dekarbonisierung des Gesamtsystems beitragen.
Gasspeicher als Flexibilitäts-Enabler
Der Schlüssel zum Spitzenlast-Betrieb liegt in der Kombination aus größeren Gasspeichern und reversibler Stromerzeugung. Statt das produzierte Biogas sofort zu verstromen, wird es gespeichert und strategisch eingesetzt:
Morgens um 7 Uhr: Hoher Strombedarf, wenig Wind, kaum Sonne → Biogasanlage fährt hoch
Mittags um 13 Uhr: Solar-Überschuss im Netz → Anlage produziert und speichert Gas
Abends um 19 Uhr: Bedarfsspitze, Sonne weg → Anlage liefert wieder Strom
Diese Flexibilität war mit herkömmlicher Grundlast-Fahrweise unmöglich. Mit Reverion wird sie zur Standardfunktion – und zum direkten Ersatz für fossile Spitzenlast-Kraftwerke.
Von der Einbahnstraße zum intelligenten Kreislauf
Diese neue Klasse von Kraftwerken denkt Energie fundamental neu – nicht als Einbahnstraße, sondern als Bewegung:
- Strom wird zum Rohstoff
- Gas wird zum Speicher
- CO₂ wird zum Wertstoff
Damit entsteht das, was der Energiewende bisher fehlte: ein kontinuierlicher Kreislauf zwischen Erzeugung und Nutzung. Und genau dieser Kreislauf garantiert Versorgungssicherheit selbst bei 100 Prozent erneuerbarer Energie.
Jede Anlage wird zum autonomen Knoten, der sich je nach Netzbedarf aktiv steuern lässt. Diese Fähigkeit gibt der Energiewende eine neue Stabilität, ohne dass zentrale Eingriffe oder teure Übertragungs-Infrastruktur erforderlich wären.
Die drei Phasen der deutschen Energiewende
Deutschland befindet sich damit am Beginn seiner dritten Energiewende-Phase:
Phase 1 (2000-2011): Politischer Ausstieg
- Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
- Atomausstieg nach Fukushima
- Grundsatzentscheidung für die Wende
Phase 2 (2011-2024): Infrastruktureller Ausbau
- Massive Expansion von Wind und Solar
- Von 17% auf über 50% Erneuerbare im Strommix
- Kohleausstieg geplant bis 2038 (bzw. idealerweise 2030)
Phase 3 (ab 2024): Intelligente Systemintegration
- Flexibilisierung statt Grundlast
- Sektorkopplung (Strom, Wärme, Mobilität, Industrie)
- Reversibilität als technologisches Leitmotiv
Von der Forschung zum Markterfolg
Die Gründergeschichte von Reverion ist ein Lehrstück über wissenschaftliche Präzision und unternehmerische Weitsicht. Aus einem TUM-Spin-off entstand ein Unternehmen, das nicht nur den Effizienzbegriff neu definiert, sondern die Verantwortung für kommende Generationen ins Zentrum seiner Technologie rückt.
Die Technologie basiert auf jahrelanger Forschung an Festoxid-Brennstoffzellen – einer der vielversprechendsten, aber auch anspruchsvollsten Energiewandlungs-Technologien. Der Durchbruch: Das Cleantech-Unternehmen hat es geschafft, diese komplexe Technologie robust, skalierbar und wirtschaftlich zu machen.
Der Paradigmenwechsel, den Experten fordern
Wenn die Bundesregierung und insbesondere die Energiepolitik diesen Ansatz ernst nehmen, könnte sich das gesamte Kraftwerksgesetz in Richtung dezentrale Flexibilität öffnen. Das wäre der Paradigmenwechsel, den viele Experten bereits fordern:
Statt:
- Milliarden für fossile Kapazitäten
- Zentralistische Großstrukturen
- Lock-in-Effekte für Jahrzehnte
- EU-rechtlich fragwürdige Beihilfen
- Grundlast-Denken aus dem 20. Jahrhundert
Investition in:
- Reversible Energieknoten
- Dezentrale, vernetzte Strukturen
- Technologie, die jedes Jahr effizienter wird
- Marktkonforme, zukunftsfähige Lösungen
- Intelligente Spitzenlast-Steuerung
Brücken zwischen Strom, Gas und Wärme
Reversibilität schlägt die Brücken, die das Energiesystem der Zukunft braucht. Die Sektorkopplung – lange als theoretisches Konzept diskutiert – wird zur gelebten Praxis:
- Strom-zu-Gas: Überschüssiger Ökostrom wird in Methan oder Wasserstoff umgewandelt
- Gas-zu-Strom: Bei Bedarf wird das Gas hocheffizient rückverstromt (Spitzenlast!)
- Wärmeauskopplung: Die Prozesswärme speist Fernwärmenetze
- CO₂-Management: Abgeschiedenes CO₂ wird stofflich genutzt oder gespeichert
Diese Vier-in-Eins-Lösung macht reversible Kraftwerke zu multifunktionalen Energiezentren – weit mehr als herkömmliche Kraftwerke je sein könnten.
Keine Einschränkung, sondern Erweiterung
Die Energiewende kann nur funktionieren, wenn sie in allen Dimensionen reversibel wird – technisch, ökonomisch und politisch. Reverion steht exemplarisch dafür, dass Nachhaltigkeit keine Einschränkung bedeutet, sondern Erweiterung der Möglichkeiten.
Reversibilität ist nicht Rückwärtsgang, sondern die dynamische Antwort auf die Frage, wie Energie in Zukunft fließen soll. Sie verbindet:
✅ Effizienz (74% Wirkungsgrad)
✅ Flexibilität (Strom und Gas, beide Richtungen)
✅ Dezentralität (tausende Standorte statt wenige Großkraftwerke)
✅ Nachhaltigkeit (100% erneuerbar, CO₂-Management integriert)
✅ Wirtschaftlichkeit (Bestandsanlagen weiterbetreibbar)
✅ Spitzenlast-Fähigkeit (gezielter Einsatz statt Dauerbetrieb)
Die letzte große Lücke schließen
Deutschland hat in den vergangenen 25 Jahren bewiesen, dass Energiewende funktioniert. Von belächelt zu bewundert, von Nische zu Mainstream, von teuer zu günstig – die Transformation der Stromversorgung ist eine Erfolgsgeschichte.
Doch eine Lücke blieb: Wie speichern und flexibilisieren wir erneuerbare Energie für Spitzenlast-Situationen? Batterien helfen kurzfristig, Pumpspeicher haben begrenzte Kapazität, Wasserstoff ist noch im Aufbau.
Reversibilität schließt diese Lücke. Sie nutzt bestehende Infrastruktur (Biogasanlagen, Gasnetze, Gasspeicher), kombiniert sie mit innovativer Technologie (Hochtemperatur-Brennstoffzellen) und schafft ein System, das heute schon funktioniert – nicht erst in zehn Jahren.
Das ist der Game-Changer: Nicht die nächste Zukunftstechnologie, die noch erforscht werden muss, sondern eine einsatzbereite Lösung, die skaliert werden kann – und die das 400-Milliarden-Euro-Fiasko neuer Gaskraftwerke verhindert.
Reversibilität als Leitmotiv
Die dritte Phase der deutschen Energiewende hat begonnen – und Reversibilität könnte ihr Leitmotiv werden. Nach politischem Willen und infrastrukturellem Ausbau folgt nun die intelligente, technologische Integration.
Reverion zeigt, wie deutsche Ingenieurskunft und Systemverstand zusammenkommen können, um die letzte große Herausforderung zu meistern. Die Technologie ist da, die Wirtschaftlichkeit ist gegeben, die EU-Konformität ist sichergestellt.
Was fehlt, ist der politische Mut, das veraltete Modell zentraler fossiler Kraftwerke loszulassen und stattdessen auf dezentrale Flexibilität und Spitzenlast-Steuerung zu setzen. 400 Milliarden Euro stehen auf dem Spiel – und die Chance, die Energiewende nicht nur zu vollenden, sondern zum Exportschlager zu machen.
Die Energiewende wird reversibel – oder sie wird nicht vollständig gelingen. Reverion hat den Beweis angetreten. Jetzt ist die Politik am Zug.