Hubbalkenofen in Salzgitter (Foto: Salzgitter AG)
Grüner Stahl: Salzgitter-Chef Groebler widerspricht Reiche
Gunnar Groebler spricht im FAZ-Doppelinterview mit Stefan Dohler (EWE) über die Perspektiven für grünen Stahl und grünen Wasserstoff aus Deutschland.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche hatte jüngst Zweifel geäußert, ob Wasserstoff- und strombasierte Stahlproduktion in Deutschland wirtschaftlich tragfähig sei. Ihr eigenes Beratergremium hält die Stahlbranche teils für „verloren“, da hohe Energiepreise und internationale Konkurrenz angeblich keine Zukunft für heimische Standorte zuließen. Neben Grünen-Politiker Michael Kellner: Auch Salzgitter-Chef Groebler widerspricht Reiche im Doppelinterview mit Stefan Dohler von EWE: „Ab 2027 gibt es grünen Stahl aus Salzgitter.“
„Wir werden ab 2027 grünen Stahl anbieten“, verspricht der Salzgitter-Vorstandschef im Doppelinterview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Stefan Dohler vom Energiekonzern EWE. Die Salzgitter Flachstahl GmbH hat sein Jahren Milliarden investiert: Mit dem Projekt SALCOS (Salzgitter Low CO₂ Steelmaking) stellt das Unternehmen seine Produktion konsequent auf Ökostrom und grünen Wasserstoff um. Das ist entscheidend für Deutschlands Klimaziele – denn die Stahlbranche verursacht prozessbedingt rund sieben Prozent der inländischen Emissionen.
Aber ist grüner Stahl auf Basis von grünem Wasserstoff nicht teurer? „Die Stahlerzeugung über die Wasserstoffroute ist heute etwas teurer als über die Kohleroute im Hochofen“, gibt Groebler im Interview zu. „Aber perspektivisch wird der Wasserstoffeinsatz günstiger werden, dafür sorgen die steigenden CO2-Preise und ein Markt für Wasserstoff, der sich entwickeln wird.“
Wann das soweit sein werde, sei aber schwer vorherzusagen. Groebler: „Wir rechnen aber damit, dass in den Jahren 2030 bis 2033 grüner Stahl günstiger sein wird als grauer Stahl aus Kohlenutzung.“
Da kommt Stefan Dohler ins Spiel. Mit dem norddeutschen Energiekonzern will er entscheidender Wasserstofflieferant von Salzgitter werden. Er ist eine Größenordnung von 1.400 Megawatt grünen Wasserstoff „in der Umsetzung“. In Emden investiert das Unternehmen 600 Millionen Euro, um den größten Elektrolyseur zu errichten. Leistung? 320 Megawatt. „Von 2027 an können wir große Mengen grünen Wasserstoff liefern, auch an Herrn Groebler“, hält Dohler fest.
Wie viel Wasserstoffbedarf gibt es?
Der Wasserstoffbedarf ist natürlich wesentlich größer als 320 Megawatt es ausdrücken können. Alleine 1,3 Millionen Tonnen grauen Wasserstoff aus Erdgas braucht die deutsche Industrie heute. In Emden ist die Produktion von 30.000 Tonnen jährlich das Ziel. „Es ist sonnenklar, dass es ohne Importe nicht gehen wird“, so Dohler. Am Anfang werde man auch blauen Wasserstoff aus Erdgas mit CO2-Abscheidung brauchen.
Alleine die Salzgitter AG, also der Mutterkonzern der Salzgitter Flachstahl GmbH, wird 150.000 Tonnen Wasserstoff abnehmen, und damit zu einem der größten Wasserstoffabnehmer werden. Ein Fingerzeig war die Wasserstoffauktion, die Salzgitter 2024 veranstaltete, wie Groebler berichtet: „Innerhalb von 24 Stunden haben sich mehr als 100 Wasserstofflieferanten bei uns gemeldet. Menge ist also kein Problem.“
Mein Unternehmen, die Salzgitter AG , hat eine Ausschreibung gestartet, um das herauszufinden. Mit einem Bedarf von 150.000 Tonnen im Jahr zählen wir künftig zu den größten deutschen Wasserstoffabnehmern.
Dabei ist Deutschland gut aufgestellt und verfügt über mehrere Technologieführer im Segment der Elektrolyse: Siemens Energy, Nucera (ThyssenKrupp) oder Sunfire sind drei Cleantech-Pioniere, die auf dem Weg in die Massenproduktion sind.
Acht bis zehn Euro kostet ein Kilogramm grüner Wasserstoff derzeit – der graue Wasserstoff ist hingegen für zwei Euro zu haben. Ob die Wasserstoffwette also aufgeht, wird davon abhängen, wie sehr durch Skalierung der Preis des grünen Wasserstoffs sinken wird, und wie sehr der Preis des CO2-lastigen Wasserstoffs durch den Emissionshandel steigt.
Was brauchen EWE und Salzgitter für den Durchbruch?
„Wir brauchen ein politisches Bekenntnis“, sagt Stefan Dohler in der Frankfurter Allgemeinen. „Deshalb irritiert es uns, wenn Frau Reiche sagt, sie glaubt nicht an Wasserstoff in der Stahlherstellung.“
Salzgitter-Chef Groebler widerspricht Reiche: „Es ist doch absurd: Wir stellen ab 2027 auf Wasserstoff um, Herr Dohler könnte ihn auch liefern, aber niemand weiß, ob das Netz bis dahin steht. Hier braucht es mehr Tempo.“
Mit diesen Aussagen zeichnen Groebler und Dohler ein Bild von der industriellen Transformation, das weit über Salzgitter hinausweist. Der Umbau der Stahlindustrie gilt als Gradmesser für die gesamte deutsche Industrie. Preis, Verfügbarkeit und Infrastruktur für grünen Wasserstoff sind dabei die entscheidenden Stellschrauben – Industrie, Politik und Energieversorger müssen enger denn je kooperieren, um die ehrgeizigen Klimaziele bis 2035/2045 zuverlässig zu erreichen.
Letztlich steht am Beispiel grüner Stahl nicht weniger als die Frage, welchen Weg Deutschlands Industrie in der Klimawende einschlägt. Während die Politik noch zögert, setzen Industrievertreter wie Groebler und Dohler auf Tempo, Investition und Zuversicht – in der Überzeugung, dass technologische Führerschaft und Klimaschutz kein Widerspruch sind.
Ob die Transformation gelingt, wird sich spätestens ab 2027 zeigen: Dann will Salzgitter beweisen, dass nachhaltige Industriestrategien auch wirtschaftlich Bestand haben – und ein neues Kapitel für die deutsche Stahltradition aufschlagen.