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Electric Only-Strategie: Die Schicksalsfrage beim Daimler

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Knappheit bei Batteriezellen: Daimler-CEO Ola Källenius will jetzt Gigafactories bauen, 40 Milliarden bis 2030 in Elektroautos investieren.

Im Juli 2021 hat Daimler die Neujustierung der strategischen Ausrichtung für Mercedes-Benz Cars & Vans beschlossen: Aus Electric First wurde Electric Only. Mit dem vollständigen Fokus auf das Elektroauto verbindet sich nach fatalen Managementfehlern mittlerweile die Schicksalsfrage „beim Daimler“: Gelingt es Ola Källenius das Ruder herumzureißen? Besonders bei Batteriezellen steht der CEO des Autobauers vor gewaltigen Herausforderungen.

Im August 2021 kommt mit dem Mercedes-Benz EQS der neue Hoffnungsträger für die Electric Only-Strategie des Daimler-Konzerns auf die Straße. Das Luxus-Auto soll gehobenen Ansprüchen genügen, sicherlich auch das Dienstwagen-Segment adressieren, und auch technologisch mit 770 Kilometern Reichweite klare Akzente setzen. Diese Reichweite hängt maßgeblich von einer Komponente ab, die Daimler-CEO Ola Källenius künftig inhouse gemeinsam mit Partnern produzieren will: Der Batteriezelle.

Ausgerechnet die Komponente, die Ex-CEO Dieter Zetsche Medienberichten zufolge als leicht beziehbare Massenware bezeichnete, hat größte Bedeutung für die Erfolgsaussichten der neuen Electric Only-Strategie des Automobilkonzerns. Das Batteriesystem macht im Elektroauto 40 Prozent der Wertschöpfung aus – Daimler beschränkte sich bislang auf die Endmontage der Batteriesysteme. Doch jetzt wird klar: Angesichts des beginnenden Booms der Elektromobilität drohen schon bald große Engpässe.

Die Elektromobilität gewinnt an Fahrt – vor allem im Luxus-Segment, wo Mercedes-Benz zuhause ist. Der Wendepunkt rückt näher, und wir werden bereit sein, wenn die Märkte bis zum Ende des Jahrzehnts vollständig auf Elektroautos umstellen. 

Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG und der Mercedes-Benz AG

Was bedeutet Electric Only?

Mit der Electric-Only-Strategie sind zunächst alle Architekturen von Mercedes gemeint: Ab 2025 soll alle neuen Architekturen „Electric Only“ sein. Allein 2025 sollen drei neue Elektro-Architekturen eingeführt werden. So will der Konzern sicherstellen, bis 2030 theoretisch komplett vollelektrisch sein zu können. Zu den Plänen der EU passt dieser Ansatz: Lässt die EU-Kommission im Zuge des Fit-for-55-Pakets ab 2035 keine Diesel- und Benzinfahrzeuge mehr zu, dürften insbesondere teurere Modelle ab 2030 in Europa kaum noch verkäuflich sein.

Neben dem europäischen Heimatmarkt ist für Daimler aber sowohl die Entwicklung in China als auch die in den USA interessant. Während in den USA von einem stringenteren Wechsel hin zu Elektroautos zu rechnen ist, ist die Unsicherheit in China noch etwas größer. Der Wandel hier könnte nach heutiger Einschätzung noch bis Mitte des Jahrhunderts dauern – allerdings steigt der Druck auf China, bis zur Klimakonferenz COP26 im November in Glasgow neben einem Klimaneutralitäts-Ziel auch einen Pfad mit Maßnahmen vorzulegen. Hier könnte auch das Thema Synthetische Kraftstoffe für PKW zu den Akten gelegt werden.

Man wolle nun alles daran setzen, den Absatz von Elektrofahrzeugen so schnell wie möglich hochzufahren, sagte Ola Källenius bei der Vorstellung der neuen Daimler-Strategie. Dafür erhöht der Konzern das Investitionsbudget zwischen 2022 und 2030 auf mehr als 40 Milliarden Euro. Noch lässt sich dieser Wandel aus dem laufenden Geschäft finanzieren – im ersten Halbjahr lag der Anteil elektrischer Fahrzeuge bei 3,3 Prozent. Im zweiten Quartal wurden 620.000 Fahrzeug hergestellt – damit ist Daimler noch etwa dreimal so groß wie Rivale Tesla. Der Gewinn lag bei 3,36 Euro je Aktie.

EQS Elektroauto Interieur

Mercedes setzt für EQS auf Zellen von Farasis und CATL

Die nächste Batteriegeneration wird laut Daimler „hochgradig standardisiert“ und für den Einsatz in mehr als 90 Prozent aller künftigen Mercedes-Benz Pkw und Vans geeignet sein. Dazu arbeitet Mercedes zusammen mit Partnern wie SilaNano an der nächsten Batteriegeneration. 

Für den Mercedes-Benz EQS setzt Daimler daher auf zwei unterschiedliche Lieferanten für die zwei Batteriepacks unterschiedlicher Größe. Die größere Variante mit einer Kapazität von 107,8 Kilowattstunden (netto) und einem Gewicht von 692 Kilogramm ist der Batterie-Gigant CATL beauftragt worden. Die Chinesen bauen eine Gigafactory in der Nähe von Erfurt, und wollen von dort neben BMW auch Daimler für den EQS beliefern. Die Energiedichte dieser Zellen liegt auf Packebene bei 156 Wh/kg, und somit deutlich über dem Wert im 2018 auf den Markt gekommenen Audi E-Tron (124 Wh/kg).

Doch daneben hat sich Mercedes auch mit drei Prozent an dem ebenfalls chinesischen Hersteller Farasis Energy beteiligt. Erst kürzlich übernahm Daimler-Vorstand Markus Schäfer einen Posten im Aufsichtsrat des Unternehmens, das eine Batteriezellfertigung im sachsen-anhaltinischen Bitterfeld-Wolfen ankündigte. In der strukturschwachen Region sollen 2.000 Arbeitsplätze entstehen. Doch mittlerweile gibt es Zweifel: Gerüchte über Qualitätsmängel der von Farasis an Daimler gelieferten Testzellen haben sich zwar bislang nicht bestätigt. Unklar ist aber, ob die Chinesen wirklich am Standort in Ostdeutschland festhalten werden.

Batteriezellen mit hoher Energiedichte

Stefan Bergold, vom Hersteller von Nutzfahrzeug-Batteriesystemen AKASOL zu Farasis gewechselter Manager, betont unterdessen im Handelsblatt die hohe Energiedichte der Farasis-Zellen, die für den EQS vorgesehen sind. Auf Zellebene soll diese Energiedichte bei 285 Wattstunden pro Kilogramm liegen – ein für die Branche herausragender Wert. Trotzdem wird erst in einigen Wochen entschieden, ob neben dem als sicher geltenden Werk in der Türkei (hier kooperiert Farasis mit der Marke TOGG), auch am Standort Bitterfeld festgehalten wird.

Momentan liege der Fokus darauf, die Produktionsstätte in China zu skalieren – um Daimler auch von dort mit entsprechenden Zellen beliefern zu können. Doch die Verzögerungen rund um die Fabrik in Bitterfeld bis voraussichtlich Herbst 2024 zeigen den Daimler-Managern die starke Abhängigkeit von Lieferanten – zwar ist Daimler für Farasis der klar wichtigste Kunde: Trotzdem verließ sich der Autobauer auf die qualitativ hochwertigen Zellen aus Deutschland.

Laut manager-magazin hat sich Daimler angesichts der unsicheren Lage bei Farasis dazu entschlossen, den Vertrag mit CATL für den EQS auszuweiten: Diese kurzfristige Anfrage habe sich CATL teuer bezahlen lassen, heißt es. Mehrkosten von 1.500 Euro je Fahrzeug schlugen zu Bucht: In der Summe eine Größenordnung von bis zu einer Milliarde Euro. Zusätzliche Kosten, die eigentlich als Marge eingeplant waren.

Hintergrund: Lithium-Ionen-Batterien

Der globale Bedarf für Lithium-Ionen-Batterien wird von der Unternehmensberatung Roland Berger auf 2.800 Gigawattstunden bis 2030 beziffert. 1/3 dieser Kapazität wird für den Hochlauf der Elektromobilität gebraucht. Zum Vergleich: Mitte 2021 liegt der Bedarf bei 390 Gigawattstunden. Bis 2030 will aber alleine Daimler über 200 Gigawattstunden verfügen, um die Electric Only-Strategie in die Tat umzusetzen.

Bei den für Elektroauto-Batterien notwendigen Rohstoffen gilt insbesondere Lithium als kritisch. Da kommen Bestrebungen das weiße Gold in Deutschland zu fördern gerade zum richtigen Zeitpunkt. Laut Roland Berger droht schon 2025 eine erste Knappheits-Situation – nicht, weil es nicht genügend Lithium gibt, sondern weil bei den Produzenten Kapital fehlt, um schneller Minen zu eröffnen.

Problem für die Autobauer: Die Materialkosten liegen bei den Gesamtkosten für die Energiespeicher im Fahrzeug mittlerweile bei bis zu 70 Prozent. Um einerseits die Emissionen bei der Gewinnung der Rohstoffe zu reduzieren, und andererseits den Zugriff auf die Rohstoffe zu sichern, will beispielsweise Volkswagen laut Medienberichten selbst ins Rohstoffgeschäft einsteigen. Auch Tesla strebt eine eigene Lithium-Förderung in den USA an.

Daimlers Schwenk: 8 Gigafactories mit Partnern

Während sich Volkswagen strategisch clever einerseits eng mit Newcomer Northvolt verbündete, andererseits aber auch Lieferverträge mit den großen Herstellern mit existierenden Produktionskapazitäten schloss, zögerte Daimler lange bei möglichen Partnerschaften mit entsprechenden Partnern. 2016 etwa lehnten Zetsche und Källenius, damals Entwicklungsvorstand, die Kooperation mit Northvolt ab. Mittlerweile, zu Beginn dieses Jahres, finden beide Partner nicht mehr zusammen, weil die Auftragsbücher bei Northvolt über Jahre übervoll sind. Erst in einigen Jahren wären adäquate Mengen lieferbar.

Auch mit dem Hersteller Customcells, der gerade in Tübingen ein Joint Venture mit Porsche gründete, und zu den aufstrebenden, europäischen Playern für spezifische Hochleistungsbatteriezellen zählt, gab es ergebnislose Gespräche. Für Daimler wird die erfolglose Partnersuche im Bereich Batteriezellen zunehmend zum Problem: Spätestens bis Ende des Jahrzehnts brauchen die Stuttgarter mindestens Kapazitäten von 200 Gigawattstunden. Sich auf reine Lieferantenbeziehungen zu verlassen, ist hochriskant.

Daher hat der Daimler-CEO mittlerweile den Aufbau von acht Gigafactories für Batteriezellen in enger Zusammenarbeit mit Partnern angekündigt. Daneben gibt es neun Werke für die Endmontage der Batteriesysteme. Als ein neuer Standort kommt das thüringische Kölleda in Frage – dort fertigt die Mercedes-Tochter MDC Power GmbH seit 2002 Dieselmotoren, die angesichts der Electric Only-Strategie demnächst nicht mehr benötigt werden.

Zellfabrik in Kölleda

Welcher Partner für die Zellfabrik in Kölleda in Frage kommt, soll in den kommenden Wochen entschieden werden: Entweder der Gigant CATL, der unweit in Erfurt ohnehin bereits einen Standort hat, oder das unter anderem von Stellantis und Saft gegründete Joint Venture ACC aus Frankreich. Vor 2026 ist aber kaum von Lieferfähigkeit einer solchen Gigafactory auszugehen. Das ist besonders bitter für Daimler, weil der Konzern lange Jahre in Kamenz in Sachsen entsprechende Kapazitäten hatte – dieser aber trotz hoher Subventionen vor einigen Jahren aufgab.

Trucks & Bus-Geschäft wird eigenständig

14 Millionen Elektroautos sollen bis 2030 allein auf Deutschlands Straßen unterwegs sein. Davon geht die Bundesregierung mittlerweile aus. Die Herausforderungen, auch Stromnetz und Ladeinfrastruktur bis dahin entsprechend „in place“ zu haben, sind gewaltig. Etwas Luft verschaffen können sich die Protagonisten durch die von Tesla angekündigte Öffnung des Supercharger-Netzwerks für andere Fabrikate ab 2022.

Für Daimler ist die Electric-Only-Strategie zur Schicksalsfrage geworden. Durch das Zögern in der Vergangenheit, als man Aktivitäten im Bereich Elektroauto nach Elektrifizierung des Smart und Batterieproduktion in Kamenz nicht fortführte, sowie einige Chancen für strategische Partnerschaften verpasste, muss sich nun zeigen, ob die Kraft des Unternehmens ausreicht, um weiterhin ein relevanter Player zu bleiben. Das Trucks & Buses-Geschäft wird künftig eigenständig, dann kann sich Daimler innerhalb weniger Jahre vollständig auf elektrifizierte Antriebsstränge konzentrieren.

Bis dahin muss Ola Källenius den Spagat hinbekommen: Einerseits beispielsweise Gigafactories für die Zellfertigung hochziehen, andererseits aber künftig nicht mehr benötigte Kapazitäten abzubauen. Der Fokus auf den Standort Kölleda könnte ein Signal für die dortigen Beschäftigten sein: Hier gibt es auch weiterhin eine Perspektive. Der Abschied vom Verbrennungsmotor wird noch eine schmerzhafte Phase für Daimler werden.

Im Vergleich zu Tesla ist Mercedes-Benz im PKW-Bereich ungefähr noch dreimal so groß wie der Rivale. Dieser kann sich allerdings vollständig auf die Skalierung seines Geschäfts konzentrieren, ohne Altlasten herumschleppen zu müssen. Demgegenüber hat Mercedes eine starke, globale Marke mit vielen Repräsentanten, die viele Vorteile im Hinblick auf Qualität und Verkauf bieten kann.

Sowohl intern als auch bei den Kunden ist aber auch Überzeugungsarbeit zu leisten, dass Electric Only der richtige Weg ist. Ist der Weg nicht erfolgreich, wird Mercedes schrumpfen, und womöglich eines Tages unter das Dach des Geely-Konzerns wandern. Hoffen wir ganz im Sinne hiesiger Arbeitsplätze und der Arbeitskräfte, die das Automobil „Made in Germany“ bis heute zum Objekt der Begierde machen, dass es soweit nicht kommen wird.

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