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Deutschlands Klimaziele in Gefahr: Landnutzung, technische Senken und der Ruf nach einem Klimakabinett

Expertenrat für Klimafragen legt Prüfbericht vor und stellt klare Forderungen an das Klimaprogramm 2026.

Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung schlägt im heute veröffentlichten Prüfbericht 2025 Alarm bei der Klimapolitik: Die Ziele für 2030, 2040 und 2045 drohen nicht nur knapp, sondern massiv verfehlt zu werden – und das liegt nicht zuletzt an einem blinden Fleck der Politik: der Landnutzung. Wälder und Moore, einst als Rückgrat der Klimastrategie betrachtet, sind heute Teil des Problems. Gleichzeitig fehlt es an einer Strategie für technische Senken. Unsicherheiten gibt es bei Wärme- und Verkehrswende. Die neue Bundesregierung steht vor einer Mammutaufgabe, die entschlossenes, ehrliches und ressortübergreifendes Handeln verlangt.

Zwischen Energiesektor-Erfolg und Sektorversagen: Wo Deutschland steht

Auf den ersten Blick klingt die Bilanz der deutschen Klimapolitik gar nicht so schlecht: Im Jahr 2023 sanken die Treibhausgasemissionen auf 673 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente – das sind 46 Prozent weniger als 1990. Insbesondere der Energiesektor hat geliefert: Der massive Ausbau der erneuerbaren Energien, der Rückgang der Kohleverstromung und der Energiepreisschock nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben zu einem deutlichen Rückgang geführt. Tatsächlich könnte Deutschland das 2030-Ziel im Energiesektor erreichen.

Doch dieser Erfolg ist trügerisch. Denn in den anderen Sektoren – Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und vor allem Landnutzung – klaffen gewaltige Lücken. Die Zahlen des Expertenrats sind alarmierend: Im Verkehrsbereich müsste die jährliche Emissionsminderung etwa fünfmal so hoch ausfallen wie im vergangenen Jahrzehnt, im Gebäudesektor sogar 6,5-mal so hoch, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen.

Im Klartext: Die Fortschritte im Energiesektor werden von der Stagnation oder gar Verschlechterung in anderen Sektoren aufgezehrt. Der Expertenrat für Klimafragen stellt klar: „Die Zielerreichung 2030 bei der Treibhausgasminderung sieht das Gremium weiterhin gefährdet.“ Für 2040 droht eine Verfehlung um acht Prozentpunkte, für 2045 um 240 Millionen Tonnen CO₂.

Expertenrat für Klimafragen Grafik aus dem Prüfbericht zur Zielerreichung

Diese Zahlen sind kein Zufall, sondern das Ergebnis politischer Versäumnisse. Der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung bleibt in zentralen Fragen vage, insbesondere bei der Wärmewende, im Verkehr und vor allem bei der Landnutzung. Die Bundesregierung setzt auf Einzelmaßnahmen und technische Innovationen, ohne die strukturellen Probleme anzugehen.

Der Expertenrat für Klima kritisiert: „Die Bundesregierung und der Bundestag stellen weiterhin die verfassungswidrige Schieflage beim Klimaschutz nicht ab.“ Die Mahnung ist eindeutig: Ohne einen grundlegenden Kurswechsel wird Deutschland seine Klimaziele verfehlen – mit allen Konsequenzen für Klima, Wirtschaft und Gesellschaft.

Landnutzung als Klimakiller: Warum Wälder und Moore zur CO₂-Quelle wurden

Besonders dramatisch ist die Entwicklung im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF). Ursprünglich sollten Wälder und Moore als natürliche Senken einen entscheidenden Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Das Klimaschutzgesetz sieht vor, dass LULUCF bis 2045 jährlich 45 Millionen Tonnen CO₂ aufnehmen muss. Doch die Realität ist eine andere.

Neue Daten zeigen: „Diese Quellwirkung war in den vergangenen Jahren sogar um ein Vielfaches höher als bisher angenommen“, so der Klima-Expertenrat.

Die Ursachen sind vielschichtig. Jahrzehntelange Übernutzung und intensive Forstwirtschaft haben die Wälder ausgelaugt. Die Dominanz von Fichtenmonokulturen, die besonders anfällig für Dürre und Borkenkäfer sind, hat das Problem verschärft. Die Klimakrise bringt längere Trockenperioden und Extremwetter, was das Waldsterben beschleunigt.

Die Folge: Seit 2018 sind Deutschlands Wälder keine Senke mehr, sondern eine Nettoquelle – sie geben mehr CO₂ ab, als sie aufnehmen. Die Bundeswaldinventur 2022 hat die Landnutzungsbilanz „drastisch geändert“, wie der Expertenrat für Klimafragen betont.

Mehr zum Thema Landnutzung als Senke bei Frontal vom 13. Mai 2025:

Moore, die pro Hektar mehr CO₂ speichern könnten als jeder Wald, wurden in den letzten Jahrhunderten für die Landwirtschaft entwässert. Heute sind sie eine der größten Einzelquellen für Treibhausgasemissionen im Agrarsektor.

Laut Expertenrat müsste die Wiedervernässung der Moore um das Fünfzigfache steigen, um das Klimaziel noch zu erreichen. Doch die politischen Maßnahmen bleiben weit hinter dem Notwendigen zurück. Die Flächen werden für Tierfutter gebraucht, und ein Umsteuern wäre eine Revolution in der Landwirtschaft – doch die Bundesregierung scheut diesen Konflikt.

Was ist zu tun? Der Expertenrat für Klimafragen fordert einen radikalen Kurswechsel: Wälder müssen klimaresilienter gemacht werden – durch naturnahe Bewirtschaftung, den Umbau zu Mischwäldern, gezielte Aufforstung und eine Reduktion der Holzentnahme. Moore müssen konsequent wiedervernässt werden, auch wenn das Nutzungskonflikte mit der Landwirtschaft bedeutet.

Ohne diese Maßnahmen bleibt das Klimaziel unerreichbar. „Die Bundesregierung und der Bundestag stellen weiterhin die verfassungswidrige Schieflage beim Klimaschutz nicht ab“, so die Mahnung des Expertenrats.

Technische Senken: Hoffnungsträger oder Illusion?

Wenn Wälder und Moore als natürliche Senken ausfallen, rücken technische Senken – sogenannte Negativemissionen – ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Expertenrat betont: „Technische Senken gewinnen an Bedeutung, wenn natürliche Senken wegbrechen.“ Doch was sind technische Senken überhaupt?

Sie umfassen Verfahren wie die direkte Abscheidung von CO₂ aus der Luft (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS), die Abscheidung und Speicherung von CO₂ bei der Verbrennung von Biomasse (BECCS), die dauerhafte Bindung von CO₂ in Pflanzenkohle (Biochar) oder die mineralische Bindung von CO₂ in Baustoffen (Carbonation).

All diese Technologien haben eines gemeinsam: Sie sind teuer, energieintensiv, technologisch noch nicht ausgereift und gesellschaftlich umstritten. Bislang gibt es in Deutschland keine umfassende Strategie für technische Senken. Der Expertenrat mahnt: „Die Bundesregierung muss endlich einen klaren Rahmen für technische Senken schaffen und die Akzeptanz in der Bevölkerung aktiv fördern.“

Ohne eine solche Strategie werden Negativemissionen zur Illusion – und die Klimaziele rücken in noch weitere Ferne.

Die Bedeutung technischer Senken wird weiter steigen, je weniger natürliche Senken zur Verfügung stehen. Doch der Aufbau entsprechender Kapazitäten braucht Zeit, Investitionen und gesellschaftliche Akzeptanz. Die Bundesregierung muss jetzt die Weichen stellen, damit technische Senken in den 2030er und 2040er Jahren tatsächlich einen Beitrag leisten können.

Ein „Freikaufen“ von der Verantwortung durch internationale Kompensationszertifikate ist keine Lösung: „Die Qualität und Verfügbarkeit sind mangelhaft, die Klimawirkung wird massiv überschätzt“, so der Expertenrat.

Expertenrat für Klimafragen fordert Klimakabinett statt Klimachaos

Ein zentrales Problem der aktuellen Klimapolitik ist die fehlende Koordination zwischen den Ressorts. Seit Klima und Energie wieder in unterschiedlichen Ministerien angesiedelt sind, fehlt eine übergreifende Steuerung. Der Expertenrat fordert deshalb explizit: „Zu dem Zweck empfiehlt der Expertenrat einen zentralen Koordinierungsmechanismus, zum Beispiel über die Wiedereinführung des Klimakabinetts, zur besseren Integration verschiedener Politikfelder.“ Nur so könne die Klimapolitik ressortübergreifend, kohärent und effizient gesteuert werden.

Die Anforderungen an die neue Bundesregierung sind klar: Sie muss Zielkonflikte identifizieren, Synergien heben, Investitionen priorisieren und die gesellschaftlichen Auswirkungen der Transformation ehrlich benennen. Bis spätestens März 2026 muss ein neues Klimaschutzprogramm vorliegen, das die Ursachen der Zielverfehlung offenlegt, konkrete Maßnahmen für Wälder, Moore, Gebäude und Verkehr benennt, die Finanzierung sichert und soziale Gerechtigkeit gewährleistet.

Ein weiteres Thema ist die soziale Flankierung des Emissionshandels EU-ETS II, der 2027 auf die Sektoren Verkehr und Gebäude ausgeweitet wird.

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Der Expertenrat schreibt der Regierung ins Stammbuch: „Für die zukünftige Ausgestaltung von Klimaschutzprogrammen müssen mögliche Zielkonflikte aber auch Synergien und Co-Benefits mit der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einbezogen und in den gesellschaftlich-politischen Diskurs eingebracht werden.“

Die Prognosen sind eindeutig: Für 2030 droht eine Zielverfehlung, weil die Fortschritte außerhalb des Energiesektors fehlen. Für 2040 ist die Lücke noch größer, für 2045 droht eine Verfehlung um 240 Millionen Tonnen CO₂. Die Bundesregierung steht vor einer historischen Aufgabe: Sie muss das Problem der Landnutzung endlich ernst nehmen, technische Senken strategisch entwickeln und die Klimapolitik zentral koordinieren. Die Zeit der Ausreden ist vorbei – jetzt beginnt das Jahrzehnt der Umsetzung.

Kernpunkte im Überblick

  • 2030-Ziel gefährdet: Trotz Fortschritten im Energiesektor drohen im Verkehrs- und Gebäudesektor massive Zielverfehlungen; jährliche Minderungsraten müssten dort 5- bis 6,5-fach steigen.
  • Landnutzung als Problem: Wälder sind seit 2018 keine CO₂-Senke mehr, sondern eine Quelle; Moore sind entwässert und müssen massiv wiedervernässt werden – dafür fehlt bislang ein wirksames politisches Konzept.
  • Technische Senken gewinnen an Bedeutung: Verfahren wie DACCS und BECCS sind teuer, energieintensiv und noch nicht ausgereift; eine klare Strategie und gesellschaftliche Akzeptanz fehlen.
  • Koordination fehlt: Klima- und Energiepolitik sind in verschiedenen Ministerien, es fehlt ein zentrales Klimakabinett zur Steuerung und Integration.
  • Klimaschutzprogramm 2026: Muss Ursachen der Zielverfehlung offenlegen, verbindliche Maßnahmen für alle Sektoren enthalten, Finanzierung sichern und sozial gerecht ausgestaltet sein.
  • Soziale Flankierung notwendig: Steigende Kosten dürfen nicht einseitig Haushalte mit geringem Einkommen belasten; Akzeptanz der Transformation hängt davon ab.
  • Internationale Kompensationszertifikate sind keine Lösung: Qualität und Klimawirkung sind unzureichend, Deutschland muss eigene Emissionen konsequent senken.

Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Deutschlands Klimaziele sind erreichbar – aber nur mit ehrlichem Blick auf die Probleme, mutigen Entscheidungen und einer starken, koordinierten Klimapolitik.

Der Prüfbericht des Expertenrats für Klimafragen steht hier zum Download zur Verfügung.

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1 Kommentar
  1. […] Dabei steht viel auf dem Spiel. Die kommenden Jahre entscheiden, ob Deutschland seine Klimaziele einhält – oder endgültig scheitert. Der jüngste Prüfbericht des Expertenrats für Klimafragen zeigt deutlich: Die bisherige Klimapolitik reicht nicht aus, um ihrer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für die Bevölkerung gerecht zu werden – und die gesetzlichen Klimavorgaben zu erfüllen. […]

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