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Dezentral und sektorgekoppelt: Warum weniger Erneuerbare keine Option sind

Wer den Ausbau der Erneuerbaren bremst, riskiert nicht nur Klimaziele, sondern auch einen Verstoß gegen geltendes EU-Recht.

Die neue Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche hat erneut Irritation ausgelöst: Der dezentrale Ausbau der Erneuerbaren solle künftig „besser an den Netzausbau gekoppelt“ werden. Was zunächst vernünftig klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als potenziell klimapolitischer Rückschritt – und rechtlich problematisch. Denn laut EU-Erneuerbare-Energien-Richtlinie ist Deutschland verpflichtet, bis 2030 mindestens 41 Prozent des gesamten Energiebedarfs aus Erneuerbaren zu decken, wie Sven Giegold betont. Der aktuelle Stand: rund 23 Prozent. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es mehr Erneuerbare, nicht weniger – und ein vernetztes, dezentrales Gesamtsystem.

Dezentral und in Kaskadeneffekten denken

Ein modernes Energiesystem auf Basis Erneuerbarer ist naturgemäß dezentral. Photovoltaik-Anlagen auf Dächern, Windkraft auf regionaler Ebene, Biogas, Nahwärmenetze und Quartiersspeicher – all das trägt zu einer resilienten Struktur bei. Der große Vorteil: Lokale Erzeugung vermeidet Netzverluste, entlastet zentrale Infrastrukturen und aktiviert Investitionen vor Ort.

Dazu kommen Kaskadeneffekte durch die Kopplung der Sektoren: Strom aus PV und Wind speist nicht nur Haushaltsstrom, sondern lädt E-Autos, betreibt Wärmepumpen und übernimmt Anteile der Prozessenergie in Industrie und Gewerbe. Jede zusätzliche kWh aus Erneuerbaren wirkt doppelt oder dreifach im Gesamtsystem. Diese Effizienzgewinne lassen sich nicht realisieren, wenn der Ausbau gedeckelt oder verschleppt wird.

Anwendung: Dynamik statt Deckel

Die von Reiche angedeutete Strategie, den EE-Zubau an den schleppenden Netzausbau zu koppeln, würde eine Dynamik ausbremsen, die aktuell dringend gebraucht wird. Bereits 2023 hatte die Bundesnetzagentur darauf hingewiesen, dass flexible Verbraucher, Speicher und Digitalisierung zur Entlastung des Netzes beitragen und dezentrale Einspeisung nicht zwangsläufig ein Problem darstellt.

Wärmepumpen, bidirektionales Laden und intelligente Steuerung machen ein vernetztes Energiesystem auch bei hoher Dezentralität stabil und effizient. Forschungen des Fraunhofer IEE zeigen: „Die Integration dezentraler Erzeugung in smarte Netze ist kein Risiko, sondern Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende.“

Markt: Wachstumsfaktor statt Belastung

Der Erneuerbaren-Ausbau ist kein Selbstzweck, sondern zentraler Bestandteil einer klimaneutralen Wertschöpfungskette. Jeder gebaute Windpark, jedes PV-Feld stärkt regionale Wirtschaftskreisläufe, senkt Importabhängigkeiten und reduziert mittel- bis langfristig die Stromgestehungskosten. Studien der Agora Energiewende und von BloombergNEF zeigen: Wind und Solar sind heute die günstigsten Formen der Stromerzeugung weltweit.

Ein Bremsen des EE-Ausbaus würde also nicht nur Klimaziele, sondern auch Investitionen und Jobs in ländlichen Räumen gefährden. Das ohnehin unter Druck stehende Handwerk würde nach 2012 einen weiteren, herben Rückschlag hinnehmen.

Pflicht zur Umsetzung europäischer Ziele

Gemäß der EU-Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die im Oktober 2023 in Kraft trat, ist Deutschland verpflichtet, bis 2030 mindestens 41 Prozent des Bruttoendenergieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen zu decken. Diese Vorgabe ist bindend und kann nicht mit Hinweis auf infrastrukturelle Engpässe relativiert werden.

Die Richtlinie formuliert klar: Mitgliedstaaten müssen alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um den Zielpfad zu erreichen. Ein systematisches Verzögern des EE-Ausbaus wäre daher nicht nur kontraproduktiv, sondern könnte gegen EU-Recht verstoßen und Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen.

Die Energiewende erfordert Tempo, Flexibilität und systemisches Denken. Der Versuch, den Ausbau der Erneuerbaren zu drosseln, weil der Netzausbau zu langsam vorankommt, greift zu kurz. Stattdessen braucht es ein ganzheitliches Design: Dezentralität, Sektorkopplung, Digitalisierung und Netzausbau müssen zusammengedacht werden.

Europa gibt die Richtung vor – Deutschland muss liefern. Weniger Erneuerbare sind keine Option.

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