
V2G und Ride-Hailing: Als Prosumer mit dem E‑Auto Geld verdienen
Wie private E‑Auto‑Besitzer mit V2G‑ und Ride‑Hailing zu Prosumer‑Unternehmern werden.
Elektroautos sind längst nicht mehr nur Fortbewegungsmittel, sondern rollende Batteriespeicher. Vehicle-to-Grid (V2G) und Ride-Hailing ermöglichen es Prosumern, mit dem E-Auto Geld zu verdienen. Entsprechende Versprechen geben jedenfalls zunehmend Technologie-Pioniere ab: Octopus Energy zusammen mit BYD in Großbritannien, Mobility House und Renault in Frankreich oder Tesla in den USA. Das macht aus Fahrern echte Prosumer – und liefert dem Netz wertvolle Flexibilität.
Praxisbeispiele aus UK, Frankreich und den USA
Als Julia im britischen Kent morgens ihren BYD Dolphin an die heimische Wallbox anschließt, weiß sie bereits, dass sie selbst entscheiden kann, ob das Auto nur lädt – oder den Strom später ins Netz zurückspeist. Octopus Energy hat gemeinsam mit BYD eine Komplettlösung geschnürt, bei der Julia für jede Kilowattstunde, die ihr Wagen in Spitzenzeiten abgibt, aktuell bis zu 0,30 Euro erhält.
Laut Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck können Haushalte so rund 350–700 Euro pro Jahr zusätzlich verdienen. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar schien, wird heute zur alltäglichen Einnahmequelle: Julia ist nicht mehr nur Fahrerin, sie ist Prosumerin, Teil eines dezentralen Energienetzes.
Einige Hundert Kilometer weiter, südlich von Paris, beobachtet ein Flottenmanager bei Mobility House die Energieflüsse seiner 100 Renault ZOE. In Évry werden die kleinen Franzosen nicht nur geladen, sondern im Abendspitzenstrom direkt in das Netz des lokalen Verteilnetzbetreibers eingespeist.
Erste Auswertungen zeigen, dass Flottenbetreiber so durchschnittlich 100–150 Euro pro Fahrzeug und Jahr als Flexibilitätsprämie verbuchen können. Jede Kilowattstunde, die aus den Batterien zurückkommt, sorgt dafür, dass das regionale Netz stabil bleibt – und das Unternehmen schreibt diese Gutschriften zeitnah gut.
Und in Deutschland…?
In Deutschland wurde auf der Messe „The Smarter E Europe“ ein Pilotprojekt mit 50 V2G-Ladepunkten gestartet, das zeigt, wie bidirektionales Laden bereits heute in städtischen Quartieren Kosten senken und Netzausgleich ermöglichen kann. Betreiber erwarten hier Einsparungen von bis zu 200 Euro/Jahr pro Installation.
Und dann gibt es da noch Elon Musks Vision: Jeder Tesla mit der Full Self-Driving-Option soll bald über eine App wie AirBnB angeboten werden können. Steht der Wagen in der Garage, aber niemand braucht ihn, entscheidet sich der Besitzer per Fingertipp: Fahrt er autonom zum Taxistand, sammelt Fahrgäste oder transportiert Pakete – oder bleibt er als Speicher im Haus, um für V2G‑Belohnungen bereitzustehen?
Nach Schätzungen von CleanTech Analytics könnte ein solches Modell den Ertrag pro Fahrzeug um rund 8.000 Euro steigern, sofern Level‑4-Autonomie und entsprechende Konzessionen vorliegen.
In allen drei Fällen verschmelzen Energiewende und Mobilitätswende zu neuen Geschäftsmodellen, die erst durch den Dreiklang von erneuerbaren Energien, autonomen Fahrfunktionen und künstlicher Intelligenz möglich werden: Bisher strikt getrennte Sektoren – Stromversorgung und Mobilität, Laden und Fahren – wachsen zu einem integrierten System zusammen.
Ausblick: Chancen und Herausforderungen
Doch der Weg bis zur massenhaften Verbreitung ist von Hürden gesäumt: In Deutschland fehlt es noch an rechtlicher Klarheit für V2G‑Einspeisungen, viele Ladepunkte unterstützen technisch nur unidirektionales Laden. Autonomes Fahren steht vor regulatorischen Prüfungen – besonders im Personenbeförderungsrecht. Zudem ist der Batterieverschleiß nicht zu unterschätzen: Jeder Ladezyklus beansprucht Zellen und kann langfristig die Kapazität verringern.
Trotzdem zeichnen sich erste Gewinner ab: Prosumer wie Julia in Kent, Flottenbetreiber in Frankreich und Visionäre, die schon heute auf Teslas Autopool hoffen, können Technik und Tarifmodelle bereits jetzt gewinnbringend verbinden.
Sie zeigen: Wer Ladehardware, dynamische Strompreise und flexible Mobilitätsdienste smart kombiniert, kann sein E‑Auto zu einem echten Asset ausbauen – und damit nicht nur am Verkehrs-, sondern auch am Energiemarkt partizipieren.
Prosumer werden entscheidende Teilnehmer im Energie- und Mobilitätsmarkt. Die Fortschritte der Technologiepioniere von Octopus Energy und BYD über TMH und Renault bis zu Tesla zeigen, wie nah die Zukunft eigentlich schon ist. Und trotzdem: In Deutschland wird das alles – wieder einmal – noch Zeit brauchen. Solang der Smart Meter-Rollout nur schleppend vorangeht, sind solche Modelle unwahrscheinlich.
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Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.