
Fossil-CCS ist kein Klimaschutz: Warum CO2-Endlager kein Freibrief für weitere Emissionen sind
Fossile CO2-Abscheidung ist ein Placebo mit riskanten Nebenwirkungen
Der Journalist Axel Bojanowski behauptet, ein Viertel der weltweiten CO₂-Emissionen ließen sich bald mit Fossil-CCS in 2050 speichern. Das wären 10 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Deutschland habe eine Chance verpasst. Dabei verkennt er, was Carbon Capture and Storage (CCS) wirklich ist – und was es nicht leisten kann. Die Technik dient nicht dem Klimaschutz, sondern der Fortsetzung fossiler Ausbeutung. Ein kritischer Faktencheck.
Seit Jahrzehnten geistert eine technische Idee durch die energiepolitischen Debatten: CO₂-Abscheidung und -Speicherung, kurz Fossil-CCS (Carbon Capture and Storage). Jüngst bemüht sich Axel Bojanowski, Wissenschaftsjournalist bei der WELT, um deren Rehabilitierung. In einem Interview mit dem Ökonomen Franz-Josef Radermacher beschreibt er CCS als unterdrückte Klimaschutztechnologie, die angeblich ein Viertel der globalen Emissionen neutralisieren könnte. Umweltverbände hätten aus irrationaler Technikfeindlichkeit heraus Deutschlands Vorreiterrolle verhindert.
Die Wirklichkeit ist komplexer – und ernüchternd. Zwar hat CCS punktuell eine Rolle im Klimaschutz, etwa bei unvermeidbaren Emissionen in der Zementindustrie. Doch CCS im fossilen Kontext ist kein Klimaschutz, sondern Risiko-Technologie zur Verlängerung eines gescheiterten Energiesystems. Wer das Gegenteil behauptet, verkennt den aktuellen Forschungsstand und betreibt Narrative im Sinne der fossilen Industrie.
CCS heute: Promille-Technologie statt Gamechanger
Laut Internationaler Energieagentur (IEA) beträgt die global installierte CCS-Kapazität derzeit rund 45 Mio. Tonnen CO₂ pro Jahr. Das entspricht gerade einmal 0,13 Prozent der jährlichen globalen Emissionen. Um 25 Prozent der Emissionen abzudecken, wie Bojanowski nahelegt, müssten weltweit rund 10.000 CCS-Großanlagen errichtet werden – mit gewaltigem Energiebedarf, Infrastrukturkosten und politischer Unsicherheit.
Fakt ist: CCS ist teuer, energieintensiv und in vielen Regionen geologisch nicht möglich. Deutschland zählt dazu. Das Bundesumweltministerium bestätigte bereits 2022, dass die geologischen Voraussetzungen an Land kaum geeignet seien – Lagerkapazität ist begrenzt, Leckagerisiken bestehen.
CCS in der Ölförderung: Mehr Emissionen statt weniger
CCS wird bisher vor allem zur sogenannten Enhanced Oil Recovery (EOR) genutzt: CO₂ wird in alte Lagerstätten gepresst, um dort verbleibende Ölreste zu mobilisieren. Ergebnis: Noch mehr fossile Brennstoffe werden gefördert, verbrannt und emittiert.
Eine Untersuchung der US-Umweltbehörde EPA zeigt, dass EOR mit CCS oft zu einem Netto-Anstieg von Emissionen führt. Die gespeicherten Mengen CO₂ sind geringer als die verursachten durch zusätzliche Ölförderung.
Wer CCS also ausgerechnet im Kontext fossiler Kraftwerke und Raffinerien als „Klimaschutztechnologie“ verkauft, betreibt Framing im Sinne der Emittenten. Bojanowski übernimmt diese Deutung kritiklos.
Der eigentliche Nutzen: CCS für Restemissionen, nicht für Fortsetzung fossiler Pfade
Im Gegensatz dazu sehen IPCC, SRU und Agora Energiewende CCS nur dort als sinnvoll an, wo Emissionen schwer vermeidbar sind: Zement, Kalk, chemische Prozesse. Auch für sog. negative Emissionen (BECCS, DACCS) könnte CCS eine Rolle spielen, sofern nachhaltig eingesetzt.
Doch für Strom- oder Wärmeerzeugung ist CCS ökonomisch und klimapolitisch unsinnig:
- Wirkungsgradverluste von bis zu 30 Prozent
- CO₂-Abscheidung kostet 80 bis 150 Euro pro Tonne
- Erneuerbare sind vielfach günstiger und klimafreundlicher
Die IEA bestätigt: Dekarbonisierung mit CCS ist erheblich teurer als durch Erneuerbare plus Speicher.
Deutschland: Kein geeigneter Speicherstandort
Radermacher und Bojanowski beklagen, Deutschland habe seine „CCS-Vorreiterrolle“ aufgegeben. Doch das verkennt die Realität:
- In Norddeutschland bestehen erhebliche geologische Unsicherheiten (z. B. Salzstockinstabilität)
- CCS-Projekte wie in Schleswig-Holstein (Schwarzort) wurden aus Sicherheitsgründen gestoppt
- Die Nordsee wird als Offshore-Option geprüft, aber vor allem von Dänemark, Norwegen, Niederlande
Deutschland kann CCS mitentwickeln – aber nicht als Speicherland, sondern in Pilotprojekten für Industrie-CCS und BECCS.
Die eigentliche Gefahr: CCS als Feigenblatt für fossile Expansion
Die größte Sorge aus Klimaperspektive ist: CCS wird zur Legitimierung neuer Gasfelder, LNG-Infrastruktur und Ölexploration genutzt. ExxonMobil, Shell und andere propagieren CCS als Gründe für neue Investitionen – ohne den strukturellen Wandel zu fossilen Alternativen einzuleiten.
Das Climate Action Tracker warnt: CCS wird instrumentalisiert, um Klimaziele zu verwässern und Pfadabhängigkeit zu verstärken. Besonders problematisch: CCS taugt als Argument gegen Degrowth, Suffizienz oder Effizienz – obwohl es diese nicht ersetzen kann.
Das Umweltbundesamt schreibt zu Fossil-CCS (Quelle):
CCS ist kein Ersatz für die notwendige Treibhausgasminderung Treibhausgasemissionen zu vermeiden, stellt das
oberste Leitprinzip für eine nachhaltige Klimaschutzpolitik im Sinne der Vorsorge dar. Das ist auch die Kernbotschaft eines Sonderberichts des Weltklimarats von 2018 (IPCC 2018).
CCS und die Rückhaltung bereits entstandener Treibhausgase darf dabei nicht als Lösung für energiebedingte fossile Treibhausgasemissionen genutzt werden. Insbesondere dürfen die Rahmenbedingungen zur Kohlenstoffentnahme und -nutzung zu keinen Lock-in-Effekten von fossilen Techniken führen.
Fazit: Klimarealismus braucht Ehrlichkeit, nicht Wunschdenken
CCS ist kein Allheilmittel – und schon gar kein Ersatz für Emissionsvermeidung. Wer das suggeriert, verhindert echte Transformation. Die Klimapolitik braucht Technologien, aber auch politische Kohärenz, Einsparziele und eine klare Priorisierung:
- Vermeidung vor
- Effizienz vor
- Restemissionen speichern
CCS hat darin seinen Platz – aber nur einen kleinen. Fossil-CCS dagegen ist Placebo-Politik.
Wie DACS von Fossil-CCS zu unterscheiden ist, ist in diesem Artikel herausgearbeitet worden.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.
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