
Merz und Reiche wollen sie: Sind neue Gaskraftwerke ein teurer Irrweg?
Mario Buchinger argumentiert, warum Deutschlands Energiezukunft dezentral und erneuerbar sein muss.
Von Bundeskanzler Friedrich Merz und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche als Lösung für Versorgungssicherheit und bezahlbare Energie gefeiert, sind neue Gaskraftwerke im großen Stil in Wahrheit ein kostspieliger Rückschritt. Energieexperte, Physiker und Unternehmensberater Dr. Mario Buchinger analysiert, warum der fossile Kurs nicht nur die Energiewende ausbremst, sondern auch die Wirtschaft und Gesellschaft belastet – und wie echte Resilienz und Preisstabilität im Stromsystem der Zukunft aussehen können.
Der politische Kurswechsel – und was er wirklich bedeutet
Mit dem Regierungswechsel zu Friedrich Merz und der neuen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche setzt die Bundesregierung auf einen massiven Ausbau von Gaskraftwerken. 20 Gigawatt neue Kapazität sollen entstehen, um angeblich Versorgungssicherheit zu gewährleisten und Strompreise zu senken. Doch wie Mario Buchinger in seinem Video eindrücklich darlegt, handelt es sich dabei um eine Strategie, die auf alten Paradigmen und fossilen Interessen beruht.
Reiche, die zuvor Chefin der EON-Tochter Westenergie war, steht für einen Kurs, der die bestehende Gasinfrastruktur nicht etwa abbaut, sondern zementiert. Die vermeintliche „Technologieoffenheit“ ist in Wahrheit ein Festhalten an fossilen Geschäftsmodellen – und wird von Buchinger als Rückschritt für die Energiewende entlarvt.
Die Kostenlüge: Warum Gaskraftwerke die Strompreise nicht senken
Ein zentrales Argument der Bundesregierung: Neue Gaskraftwerke würden die Strompreise senken. Buchinger widerspricht klar. Gaskraftwerke sind teuer im Bau und Betrieb, und durch den steigenden CO₂-Preis werden sie in Zukunft noch teurer. Schon ab 2027 werden die Kosten für CO₂-Zertifikate massiv steigen – auf 200 bis 300 Euro pro Tonne. Diese Kosten werden nicht von der Industrie, sondern von den Bürgerinnen und Bürgern getragen.
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Hinzu kommt: Die neuen Gaskraftwerke werden nur an wenigen Tagen im Jahr überhaupt benötigt. Die meiste Zeit stehen sie still, verursachen aber laufende Kosten für Wartung und Bereitstellung. Das ist nicht nur ineffizient, sondern auch volkswirtschaftlich unsinnig. Die Behauptung, dass die Industrie davon profitieren würde, ist laut Buchinger ein Märchen: Die Kosten werden sozialisiert, die Gewinne privatisiert.
Überdimensionierung und Abhängigkeit: Die Schattenseite der fossilen Reserve
Buchinger macht deutlich: Schon heute gibt es in Deutschland mehr als genug (fossile) Reservekraftwerke – über 70 Gigawatt fossile Backup-Kapazitäten, davon 50 Gigawatt Gaskraftwerke. Die geplanten 20 Gigawatt sind eine massive Überdimensionierung. Sie dienen vor allem dazu, fossile Infrastruktur und Geschäftsmodelle künstlich am Leben zu halten.
Zudem bleibt Deutschland durch neue Gaskraftwerke weiter abhängig von Importen. Eigene Gasvorkommen sind kaum vorhanden. Die geopolitischen Risiken – von Preisschwankungen bis zu Versorgungsengpässen – werden so nicht beseitigt, sondern verstärkt.
Die „Dunkelflaute“ als politisches Schreckgespenst
Ein zentrales Narrativ der Gaskraftwerksbefürworter ist die sogenannte „Dunkelflaute“ – also Zeiträume, in denen weder Sonne noch Wind ausreichend Strom liefern. Buchinger analysiert nüchtern: Solche Situationen treten im Durchschnitt nur zwei bis acht Tage pro Jahr auf, und auch dann liefern Erneuerbare immer noch 15 bis 20 Prozent des Strombedarfs.
Die Versorgungssicherheit ist also nicht grundsätzlich gefährdet. Vielmehr geht es darum, wie diese seltenen Lücken intelligent und kosteneffizient geschlossen werden können – und dafür braucht es keine neuen fossilen Großkraftwerke.

Die echte Lösung: Speicher, Flexibilität und dezentrale Netze
Buchinger argumentiert, dass die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland dezentral, erneuerbar und flexibel sein muss – und nicht neue Gaskraftwerke braucht. Die wichtigsten Bausteine:
- Erneuerbare Energien: Bereits heute sind Wind, Sonne, Wasser und Biomasse die günstigsten Energiequellen. Ihr Anteil am Strommix wächst kontinuierlich und macht das System unabhängiger von fossilen Importen.
- Speichertechnologien: Die Preise für Batteriespeicher sinken rapide, neue Technologien wie Natrium-Batterien stehen vor dem Durchbruch. Speicher können Strom nicht nur für Stunden, sondern zunehmend auch für Tage und Wochen vorhalten.
- Intelligente Netze: Smarte, dezentrale Stromnetze ermöglichen es, Angebot und Nachfrage flexibel zu steuern und regionale Überschüsse effizient zu nutzen.
- Reform der Netzstrukturen: Die vier großen Netzbetreiber dominieren den Markt. Eine Reform – bis hin zur Überführung in staatliche Hand – könnte Versorgungssicherheit und faire Preise für alle gewährleisten.
Die Rolle der Politik und der fossilen Lobby
Buchinger kritisiert, dass die aktuelle Politik zu sehr auf die Interessen der fossilen Lobby hört. Die geplante Gaskraftwerksoffensive ist ein Paradebeispiel für veraltetes Denken und verhindert die dringend notwendige Transformation zu einer nachhaltigen, dezentralen Energieversorgung.
Stattdessen fordert er eine konsequente Förderung von Innovationen, Speichern, dezentralen Netzen und erneuerbaren Energien. Nur so kann Deutschland seine Klimaziele erreichen, die Wirtschaft stärken und die Energiepreise langfristig stabilisieren.
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Fazit: Cleanthinking statt fossilem Rückschritt
Die Analyse von Mario Buchinger macht deutlich: Neue Gaskraftwerke sind ein teurer Irrweg, der die Energiewende ausbremst und die Gesellschaft mit unnötigen Kosten belastet. Die Zukunft liegt in einer dezentralen, erneuerbaren und flexiblen Energieversorgung – mit intelligenten Netzen, modernen Speichern und einer Politik, die Innovation statt fossile Abhängigkeit fördert.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.
Momentan haben wir eine Hellflaute. Was für die Versorgung von Eigenheimen taugt, ist für Deutschland, ein noch Industrieland beim heutigen Stand der Technik keine Option. Ein nassforsches „Weg mit den alten Strukturen“ wird ein Fiasko. Erst muss behutsam umgebaut, gerechnet und geplant werden. Wenn man das modernste Steinkohlekraftwerk Europas sprengt, AKWs unbrauchbar macht, ohne wirklich eine Alternative zu haben und irgendwie auf irgendwann zu hoffen, hat etwas von Sabotage an sich.
Lieber Guenther,
„Hellflaute“ war mir neu…
Statt der Atomkraftwerke hat Deutschland sehr, sehr viel erneuerbare Energien ausgebaut. Es ist faktisch falsch, dass es „faktisch“ keine Alternativen gäbe. Der Atomausstieg war eine Entscheidung im gesellschaftlichen Konsens. Und sie war richtig.
Nein, mit „Sabotage“ hat das rein gar nichts zu tun. Bei der Bundesnetzagentur und in den Ministerien wird stets „gerechnet und geplant“- und darauf basierend behutsam umgebaut.
Kohlekraftwerke sind Klimakiller, deren Nutzung großen Anteil daran hat, dass wir jetzt mit einer schnellen Erderwärmung zu kämpfen haben. Vielleicht haben Sie mitbekommen, dass Moorburg nur sechs Jahre lang wirtschaftlich betrieben werden konnte. Statt hier ein „Stranded Asset“ weiter zu subventionieren, entsteht auf dem dortigen Gelände in Hamburg ein zukunftsfähiges Kraftwerk.
Viele Grüße, Martin Jendrischik