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Klimawandel-Nachweis: Menschlicher Einfluss seit 1885 messbar – und heute täglich belegbar

Wissenschaftler zeigen in einer neuen Studie, dass der menschengemachte Klimawandel bereits im 19. Jahrhundert nachweisbar gewesen wäre. Heute lassen sich seine Spuren in der Atmosphäre an jedem einzelnen Tag messen – das stellt die Art, wie wir über Klimawandel sprechen, grundlegend in Frage.

Eine neue Analyse von Forschenden des Met Office, der University of Edinburgh und des Wegener Center in Graz verknüpft moderne Klimamodelle mit historischen Daten zu einer Art Klimawandel-Nachweis. Sie kommt zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Bereits um 1885 – also nur wenige Jahrzehnte nach Beginn der industriellen Revolution – wäre es mit heutigen Methoden möglich gewesen, den menschlichen Einfluss auf Temperaturveränderungen in der Atmosphäre und damit auf das langfristige Wettergeschehen nachzuweisen. Heute ist dieser Einfluss auf täglicher Datenbasis nachweisbar – er lässt sich also für jeden einzelnen Tag rekonstruieren und bewerten. Das verändert nicht nur die Klimaforschung, sondern auch die politische Verantwortung.

Historischer Befund: Das Klimasignal war schon 1885 messbar

Die Forschenden um Ben Santer und Prof. Susan Solomon haben mithilfe moderner Klimamodelle und Temperaturdaten aus der Vergangenheit berechnet, ab wann ein menschlicher Einfluss auf das Klimasystem erkennbar gewesen wäre, wenn damals heutige Beobachtungsmethoden zur Verfügung gestanden hätten.

Das Ergebnis: Bereits 1885 – rund 25 Jahre nach Beginn systematischer Temperaturaufzeichnungen – war ein menschengemachtes Klimasignal mit hoher statistischer Sicherheit in der Atmosphäre erkennbar. Das war noch vor dem Durchbruch des Automobils, aber nach Beginn der industriellen Revolution.

„Ein menschlicher Fingerabdruck auf die atmosphärische Temperatur war wahrscheinlich bereits vor über 130 Jahren vorhanden“, schreiben die Autoren.

Selbst wenn 1860 nur Messdaten aus den mittleren Breiten der Nordhalbkugel zur Verfügung gestanden hätten, wäre der Effekt bis 1894 nachweisbar gewesen – trotz der geringeren CO₂-Konzentration damals.

Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht (DOI: 10.1073/pnas.2500829122). Eine journalistische Zusammenfassung erschien zudem bei CNN.

„Es war wirklich überraschend für mich zu sehen, dass wir mit heutigem Wissen das charakteristische Stratosphären-Signal schon so früh erkannt hätten“, sagte Ben Santer, einer der weltweit führenden Experten für Attributionsforschung, von der Woods Hole Oceanographic Institution.

Klimawandel-Nachweis: Die Stratosphäre als Klimazeuge

Was bedeutet „Fingerprinting“ in der Klimaforschung?

Als „Klimafingerabdruck“ bezeichnen Wissenschaftler charakteristische Muster von Temperaturveränderungen, die typisch für einen bestimmten Einflussfaktor sind – zum Beispiel für den Ausstoß von CO₂.

Ein klassisches Muster ist: Die untere Atmosphäre erwärmt sich, während die obere Atmosphäre (Stratosphäre) sich abkühlt. Dieses gegensätzliche Verhalten gilt als charakteristisches Signal für Treibhausgas-Effekte, weil keine bekannten natürlichen Faktoren eine derart systematische Entkopplung beider Atmosphärenschichten verursachen würden.

Dieses gegenläufige Signal ist ein klarer Beleg für den menschengemachten Klimawandel. In der Studie wurde genau dieses Muster – der sogenannte „Fingerprint“ – in historischen Temperaturdaten simuliert und analysiert.

Die Analyse konzentriert sich auf die Stratosphäre, die zweite Schicht der Atmosphäre. Während die Troposphäre durch Treibhausgase erwärmt wird, kühlt sich die Stratosphäre durch denselben Effekt ab – insbesondere in ihren oberen Regionen.

Diese gegensätzliche Dynamik ist ein eindeutiger Fingerabdruck menschlicher Klimabeeinflussung und macht die Stratosphäre zu einem besonders sensiblen Bereich für Klimadiagnostik.

Die Studie zeigt auch: Diese Abkühlung hätte sich in einem idealisierten Szenario mit heutiger Satellitentechnik bereits innerhalb von 25 Jahren nach Beginn einer Messreihe (also ab 1885) nachweisen lassen.

„Dies bestätigt, dass atmosphärische Temperaturveränderungen nicht nur zur Erkennung, sondern auch als Frühindikator für den Erfolg von Klimaschutzmaßnahmen wirksam sein können“, erklärt Prof. Andrea Steiner, Atmosphärenwissenschaftlerin am Wegener Center for Climate and Global Change der Universität Graz.

Nur 10 ppm CO₂: Ein deutliches Signal

Besonders bemerkenswert: Das menschengemachte Signal war bereits bei einem CO₂-Anstieg von nur 10 ppm (zwischen 1860 und 1899) nachweisbar. Zum Vergleich: Zwischen 2000 und 2025 ist der CO₂-Wert um rund 50 ppm gestiegen. Insgesamt liegt der Zuwachs seit dem ursprünglich messbaren Zeitpunkt inzwischen bei etwa 140 ppm (vgl. dazu Keeling-Kurve).

„Das zeigt, wie empfindlich die obere Atmosphäre auf den Anstieg von Treibhausgasen reagiert – deutlich stärker als ihre natürliche Variabilität“, sagt Gabi Hegerl von der University of Edinburgh.

Politischer Kontext: Warnung vor Datenverlust

Die Autor*innen der Studie warnen ausdrücklich vor den politischen Konsequenzen eines Verlusts an Messkapazität. Gerade die Überwachung der oberen Atmosphäre sei entscheidend für das Verständnis und das Monitoring des Klimawandels.

„Ich denke, es ist wichtig, dass Nicht-Wissenschaftler wissen, was hier auf dem Spiel steht. Wenn wir die Fähigkeit verlieren, zu messen und zu überwachen, wie sich unsere Welt verändert, macht uns das alle weniger sicher“, so Santer.

Vor diesem Hintergrund kritisieren die Forscher geplante Budgetkürzungen in den USA, etwa bei der NOAA, NASA oder im Energieministerium, die auch klimarelevante Satellitenmissionen betreffen würden.

Klimakommunikation im Wandel

Was ist Attributionsforschung?

Attributionsforschung untersucht, in welchem Ausmaß bestimmte Wetterereignisse oder langfristige Klimaentwicklungen auf menschliche Einflüsse – insbesondere den Ausstoß von Treibhausgasen wie CO₂ – zurückzuführen sind.

Dabei werden mithilfe von Klimamodellen Szenarien mit und ohne menschlichen Einfluss simuliert und miteinander verglichen. So kann abgeschätzt werden, ob etwa eine Hitzewelle ohne Klimawandel überhaupt möglich gewesen wäre oder wie stark menschliche Faktoren ein Extremereignis beeinflusst haben.

Die Aussagekraft der Attributionsforschung verschiebt Grenzen: Der Klimawandel war nicht nur ein langfristiger Trend, sondern ist heute für einzelne Tage nachweisbar. Das verändert, wie wir über das Klima sprechen – und wie wir politische Verantwortung einordnen:

  • Medien erhalten eine neue Grundlage für tagesaktuelle Klimaberichterstattung, etwa durch Ansätze wie den Climate Shift Index von Climate Central, der den Einfluss des Klimawandels auf konkrete Wetterereignisse quantifiziert und tagesaktuell publiziert. – zumindest theoretisch. Noch fehlt es an etablierten Formaten, die den täglich messbaren menschlichen Klimaeinfluss kommunizieren. Wird es künftig neben dem „Wetter vor acht“ auch ein „Klima vor sieben“ geben, das zeigt, wie stark menschliche Emissionen Wettertrends beeinflussen? Die wissenschaftlichen Grundlagen wären vorhanden – nun sind Journalistinnen und Medienstrategen gefragt.
  • Juristische Debatten über Kausalität könnten sich verändern.
  • Politische Verzögerungen lassen sich weniger mit Unsicherheit rechtfertigen.

Diese Entwicklung ist kein technischer Durchbruch im klassischen Sinne, aber sie schafft neue Möglichkeiten für politische Kommunikation, Bildungsarbeit und faktenbasierte Entscheidungsprozesse. Sie stärkt das Fundament für faktenbasierte Klimapolitik.

Ein Rückblick, der Zukunft schafft

Die Studie zum Klimawandel-Nachweis von Santer, Solomon und weiteren ist ein wissenschaftlicher Meilenstein. Sie macht deutlich: Der Mensch hat das Klimasystem länger, früher und nachhaltiger verändert, als wir es bisher ausdrücken konnten.

Wenn sich zeigt, dass wir den Klimawandel schon seit 140 Jahren hätten messen können, dann ist das mehr als ein wissenschaftlicher Befund. Es ist ein Spiegel für unsere kulturelle und politische Trägheit.

Die Studie liefert das, was Cleanthinking immer wieder einfordert: eine evidenzbasierte Grundlage, um Klimaschutz an der Realität zu messen, nicht an politischen Zyklen. Aus meiner Sicht st klar: Wer heute Klimadaten-Infrastruktur abbaut, nimmt billigend in Kauf, dass politische Entscheidungen in Zukunft wieder im Blindflug getroffen werden – obwohl das Wissen eigentlich vorliegt.

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