
Ölkonzerne unter Druck: Rekord-Ausschüttungen auf wackligem Fundament
Trotz sinkender Ölpreise halten ExxonMobil, Shell & Co. an milliardenschweren Ausschüttungen fest – doch 2025 könnte das Kartenhaus kippen.
Ölkonzerne unter Druck: 2024 war ein Ausnahmejahr für westliche Energie-Multis: BP, Chevron, Eni, ExxonMobil, Shell und TotalEnergies schütteten zusammen 119 Milliarden US-Dollar an ihre Aktionäre aus – eine neue Bestmarke. Möglich wurde das durch hohe Ölpreise in den Jahren nach dem Ukraine-Krieg und strategisch ausgebaute Rückkaufprogramme. Doch während die Investoren jubeln, ziehen sich dunkle Wolken über den Bilanzen zusammen. Denn der Ölpreis ist inzwischen auf rund 60 Dollar pro Barrel gefallen – und damit droht das Ausschüttungsmodell der vergangenen Jahre an seine Grenzen zu stoßen.
Die Analyse von Rystad Energy zeigt: Der Anteil der Ausschüttungen am operativen Cashflow – der sogenannte Payout Ratio – lag 2024 bereits bei 56 Prozent. Sollte das aktuelle Preisniveau anhalten, dürfte dieser Wert 2025 auf bedrohliche 85 Prozent steigen. Das hieße: Für jeden verdienten Dollar geben die Konzerne 85 Cent an ihre Aktionäre zurück. Eine wirtschaftlich riskante Strategie, die Investitionen in neue Projekte, Energiewende-Technologien und Versorgungssicherheit untergraben könnte. Für Unternehmen, die sich öffentlich zur Dekarbonisierung bekennen, ist das ein Widerspruch, der zunehmend schwer zu vermitteln ist.
Rückkäufe als erste Stellschraube
Trotz rückläufiger Einnahmen halten viele Supermajors bislang an ihren Kapitalrückflüssen fest. Während Dividenden als stabiler Bestandteil der Kapitalpolitik gelten, sind Aktienrückkäufe flexibler – und dürften laut Rystad Energy das erste Opfer möglicher Kürzungen sein. ExxonMobil etwa kündigte noch im Frühjahr ein weiteres Rückkaufprogramm in Milliardenhöhe an, obwohl die operativen Einnahmen rückläufig sind. Auch Shell zeigt sich bislang unbeeindruckt von der Entwicklung an den Rohstoffmärkten. In den Chefetagen scheint das Kalkül zu lauten: lieber kurzfristige Marktberuhigung durch hohe Ausschüttungen, als die Anleger mit Sparmaßnahmen zu verunsichern.
Diese Strategie hat jedoch ihren Preis. Seit dem Höchststand der liquiden Mittel im Jahr 2023 – damals summierten sich die Cash-Reserven der großen Player auf rund 160 Milliarden US-Dollar – sind die Rücklagen kontinuierlich geschrumpft. Im ersten Quartal 2025 lagen sie nur noch bei knapp über 120 Milliarden. Das bedeutet: Um das Ausschüttungsniveau von 2024 zu halten, greifen die Konzerne bereits auf ihre Reserven zurück – ein Vorgehen, das sich nicht unbegrenzt fortsetzen lässt.
Die Kehrseite der Rekorde
Besonders brisant: Viele der genannten Unternehmen haben sich in ihren Payout-Zielen eigentlich zur Disziplin verpflichtet. BP, TotalEnergies und Eni peilen offiziell eine Ausschüttungsquote zwischen 30 und 40 Prozent des operativen Cashflows an, Shell setzt den Zielkorridor bei 40 bis 50 Prozent. Doch davon ist die Realität weit entfernt. Wenn 2025 tatsächlich 85 Prozent des Cashflows ausgeschüttet würden – was angesichts der Daten zum ersten Quartal realistisch erscheint – läge das rund doppelt so hoch wie der selbstgesteckte Zielrahmen. Analysten rechnen daher mit einem Rückgang der Gesamtausschüttungen um 20 bis 40 Prozent – also auf ein Niveau zwischen 70 und 95 Milliarden US-Dollar.
Ein solcher Schritt wäre nicht nur ein Einschnitt für Investoren, sondern auch ein strategisches Signal. Denn weniger Rückflüsse an die Aktionäre könnten Raum schaffen für Investitionen in erneuerbare Energien, Wasserstofftechnologien, CO₂-Abscheidung oder neue Geschäftsmodelle jenseits des fossilen Kerngeschäfts. Genau hier aber bleibt die Transformation der Supermajors bislang schleppend – nicht zuletzt, weil die Mittel fehlen oder umgewidmet werden.
Was auf dem Spiel steht
Die Lage ist vertrackt, fossile Ölkonzerne unter Druck: Einerseits erwarten Investoren weiterhin hohe Renditen – gespeist aus den Rekordjahren 2022 und 2023. Andererseits hat sich das Marktumfeld fundamental verändert. Mit einem stabilen Ölpreis um 60 Dollar und wachsendem Druck zur Emissionsminderung wird die bisherige Ausschüttungspolitik zur Belastung.
Rystad-Experte Espen Erlingsen warnt: „Die Unternehmen stehen vor der Wahl, entweder ihre Investitionspläne zu kürzen oder die Kapitalrückflüsse zurückzufahren. Beides ist unattraktiv – aber notwendig, um langfristig stabil zu bleiben.“
Für die Energiewende ist das ein Warnsignal. Wenn große Teile der verfügbaren Mittel in Form von Dividenden und Rückkäufen abfließen, fehlen sie dort, wo Transformation dringend nötig wäre. In einem geopolitisch angespannten Marktumfeld – mit wachsender Konkurrenz aus Asien und ambitionierten Klimazielen in Europa – könnten westliche Ölkonzerne so den Anschluss verlieren.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.