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Ende für privilegierte Kundenanlage? BGH-Urteil und die Konsequenzen für Quartiersprojekte

ZIV setzt sich im Rechtsstreit um ein Zwickauer Quartierskonzept gegen ENGIE durch.

Der Bundesgerichtshof BGH hat im Streit um ein Quartiersprojekt in Zwickau ein Grundsatzurteil zum Thema privilegierte Kundenanlage gefällt. ENGIE wollte über Blockheizkraftwerke zwei benachbarte Wohnquartiere versorgen – und den Strom direkt an die Mieter verkaufen. Die angestrebte Privilegierung als Kundenanlage nach EnWG scheiterte. Das Urteil könnte Mieterstrom- und Quartiersprojekte deutlich erschweren.

Ausgangslage: Der Streitfall um ENGIEs Quartierskonzept

ENGIE plante in Zwickau ein Energieversorgungskonzept für zwei benachbarte Wohnquartiere mit insgesamt 256 Wohnungen. Über eigene Blockheizkraftwerke (BHKW) sollte sowohl Wärme als auch Strom erzeugt werden – letzterer sollte direkt über ein eigenes Leitungsnetz zu den Mietern gelangen. ENGIE wollte das Projekt als „privilegierte Kundenanlage“ im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG umsetzen, was bedeutet hätte: keine Netzentgelte, keine Marktkommunikation, deutlich weniger regulatorische Pflichten.

Der lokale Netzbetreiber ZEV widersprach: Die geplante Infrastruktur sei nicht „wettbewerblich unbedeutend“, sondern faktisch ein Verteilernetz. Die Bundesnetzagentur und das OLG Dresden gaben ZEV recht. ENGIE klagte – bis zum BGH.

Vom BGH zum EuGH – und zurück

Der Bundesgerichtshof prüfte, ob deutsches Recht mit dem europäischen Strombinnenmarktrecht vereinbar ist. Dabei entstand ein Grundsatzkonflikt: Während das EnWG unter bestimmten Voraussetzungen Kundenanlagen erlaubt, kennt das europäische Recht keine entsprechende Ausnahme für den Stromverkauf an Dritte.

Der EuGH urteilte im Herbst 2024 eindeutig: Nationale Sonderregeln zur Kundenanlage verstoßen gegen EU-Recht. Nur wenige Sonderformen – etwa geschlossene Verteilernetze in Industrieparks – sind zulässig, jedoch nicht im Kontext klassischer Wohnquartiere.

Auf dieser Grundlage entschied der BGH im Mai 2025 endgültig: Die ENGIE-Anlagen in Zwickau sind keine Kundenanlagen, sondern regulierungspflichtige Verteilernetze. ENGIE verliert damit das Privileg – mit weitreichenden Folgen.

Folgen für ENGIE – und die Branche

ENGIE muss künftig alle Pflichten eines regulierten Netzbetreibers übernehmen:

  • Verwaltung und Betrieb der Zählpunkte in den Mietwohnungen,
  • energiewirtschaftliche Marktkommunikation mit Netz- und Messstellenbetreibern,
  • Abführung von Netzentgelten,
  • buchhalterische Entflechtung von Netz und Vertrieb,
  • Einhaltung sämtlicher Vorgaben zu Sicherheit, Datenschutz und Verbraucherschutz.

Die wirtschaftlichen Vorteile des Modells entfallen. Besonders schwer wiegt der Wegfall des „vereinfachten“ Modells, das bisher viele Mieterstrom- und Quartiersprojekte erst ermöglicht hat.

Was bedeutet das für Mieterstrommodelle?

Das Urteil betrifft theoretisch alle Projekte, bei denen Strom an Dritte geliefert wird – auch kleinere Mieterstromprojekte mit mehreren Gebäuden. Sobald Strom über eine gemeinschaftliche Infrastruktur fließt, greift die neue Rechtsprechung. Damit könnte sich die Wirtschaftlichkeit vieler Konzepte verschlechtern.

Auswirkungen auf Quartiers- und Arealnetze

Auch größere Areale wie Krankenhauscampusse, Flughäfen, Firmengelände oder Neubaugebiete verlieren wahrscheinlich ihren Status als Kundenanlage – sofern dort Strom an unterschiedliche Parteien geliefert wird. Für diese Betreiber steigt der Aufwand erheblich.

Kreative Auswege: Das „Hamburger Modell“

Ein möglicher Ausweg: Das „Hamburger Modell“ von Christian Warsch und Holger Laudeley. Es basiert auf dezentral installierten Mini-PV-Anlagen (z. B. auf Balkonen), die direkt mit dem Stromspeicher und Zähler der jeweiligen Wohnung verbunden sind. Es findet kein Stromverkauf über Dritte statt – sondern direkte Eigenversorgung durch den Mieter. Diese Konstruktion fällt nicht unter die BGH-Entscheidung und könnte man als kreative Lösung Schule machen.

Die Vorteile: minimale Bürokratie, keine Netzbetreiberpflichten, rechtssichere Umsetzung. Doch auch dieses Modell hat technische und regulatorische Grenzen – etwa bei Altbauten oder komplexeren Gebäudestrukturen.

Wie geht es weiter?

Branchenexperten fordern eine gesetzgeberische Klarstellung zum Thema privilegierte Kundenanlage. Nikolaus Starzacher von Countrol erwartet mittelfristig eine neue Rechtsgrundlage, um Mieterstrom und Quartierskonzepte weiterhin praktikabel zu gestalten. In seiner täglichen Praxis mit Mieterstrommodellen sieht er derzeit noch keine Veränderung. Andere, wie Holger Laudeley, sind skeptischer: Für klassische Quartierskonzepte könnte das Urteil das Aus bedeuten. Umso mehr setzt Laudeley auf das als Solidarische Balkonkraftwerke bekanntgewordene „Hamburger Modell“.

Das BGH-Urteil rund um die „privilegierte Kundenanlage“ kann weitreichende Folgen haben. Wie weitreichend wird sich aber wohl erst dann zeigen, wenn die Bundesregierung Konsequenzen daraus gezogen und rechtliche Vorgaben verändert hat. Und: Auch die Urteilsbegründung des BGH liegt noch nicht vor. Auch davon dürfte weitere Klarheit ausgehen.

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1 Kommentar
  1. N. Ashraf sagt

    Als Nobile begrüßen wir die jüngste Diskussion rund um das BGH-Urteil zur privilegierten Kundenanlage und sehen darin eine Chance, neue Wege für gemeinschaftliche Energieversorgung zu beschreiten. Mit unserer Plattform EnergySharing ermöglichen wir bereits heute in Deutschland die Umsetzung von Energy Sharing durch das Subbilanzkreismodell – ganz ohne die Notwendigkeit einer privilegierten Kundenanlage.

    Energy Sharing mit Nobile: Vorteile jenseits von Netzentgelteinsparungen

    Auch wenn derzeit keine direkten Netzentgeltbefreiungen für Energy Sharing bestehen, bietet unser Modell zahlreiche Vorteile:
    • Lokale Wertschöpfung: Durch die Nutzung regional erzeugter erneuerbarer Energien stärken wir die lokale Wirtschaft und fördern die Unabhängigkeit von zentralen Energieversorgern.
    • Transparente Teilhabe: Unsere Plattform ermöglicht es Bürgerinnen und Bürgern, aktiv an der Energiewende teilzunehmen, indem sie nicht nur Verbraucher, sondern auch Mitgestalter der Energieversorgung werden.
    • Flexibilität und Preissicherheit: Durch die direkte Nutzung von lokal erzeugtem Strom können Teilnehmer von stabileren und potenziell günstigeren Strompreisen profitieren, unabhängig von volatilen Marktbedingungen. 
    • Netzdienlichkeit: Die lokale Erzeugung und der Verbrauch von Strom entlasten die überregionalen Netze und tragen zur Stabilität des Stromsystems bei. 

    Das BGH-Urteil unterstreicht die Notwendigkeit, alternative Modelle wie das unsere zu fördern und rechtlich abzusichern. Wir setzen uns daher für klare gesetzliche Rahmenbedingungen ein, die Energy Sharing als festen Bestandteil der deutschen Energiewende etablieren.

    Grüße N. Ashraf

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