
Aufweichung der CO2-Flottengrenzwerte ist schwere Fehlentscheidung der EU
Die EU hat heute eine weitreichende Fehlentscheidung getroffen, die die europäischen Autobauer nicht stärkt, sondern schwächt. Gestern hat der EU-Rat die Aufweichung der CO2–Flottengrenzwerte beschlossen, heute hat das Parlament dem ohne Änderungen zugestimmt. Bedeutet: Die Autohersteller müssen die Flottengrenzwerte von 93,6 g/km nicht in 2025 einhalten, sondern im Durchschnitt der Jahre 25/26/27. „Das bedeutet: Dauerhaft mehr CO2 in der Luft“, sagt der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss.
Es ist kein Zufall, dass diese Entscheidung unmittelbar nach dem Stabwechsel von Scholz zu Merz und Wissing zu Schnieder getroffen worden ist. CDU und CSU sägen seit längerer Zeit an der EU-Entscheidung, das Verbot für Verbrenner, die mit fossilem Kraftstoff betrieben werden, zurückzunehmen. Auch Ursula von der Leyen hatte bei ihrer Wiederwahl Zugeständnisse beim Auto machen müssen.
Rückt die EU nach dieser Fehlentscheidung nun generell von den Klimazielen ab? Die Europäische Union hat sich vorgenommen, 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden.
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„Das bedeutet nicht nur kurzfristig mehr CO2 in der Luft“, betont der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss als Reaktion auf die Entscheidung, „sondern auch dauerhaft.“ Laut Schätzungen könnten die zusätzlichen Emissionen demnach dem Jahresausstoß eines Landes wie Dänemark oder Griechenland entsprechen.
Auch wirtschaftlich bedeutet die Aufweichung der CO2-Flottengrenzwerte Gravierendes: Europa muss zusätzlich 10 bis 20 Milliarden Euro mehr für importierte Kraftstoffe ausgeben. Auch die Autoindustrie, gerade in Deutschland, erhält völlig falsche Signale: Wer nach jahrelangem Vorlauf es 2025 nicht hinbekommt, die Flottengrenzwerte einzuhalten, wird es womöglich auch in den Folgejahren nicht schaffen.
Was also als Hilfestellung für eine „bedrängte Branche“ verkauft wird, ist in Wahrheit ein Rückschritt auf ganzer Linie: für den Klimaschutz, für die Wettbewerbsfähigkeit Europas und für die Zukunftsfähigkeit einer Schlüsselindustrie.
Eine weitere Begründung für die Aufweichung der CO2-Flottengrenzwerte sind angeblich drohende milliardenschwere Strafzahlungen, die die Branche in Gefahr gebracht hätten. Bloss widerspricht: „Selbst im schlimmsten Fall erreichen die Bußgelder kaum eine Milliarde Euro.“ Ein Bruchteil der Beträge, mit denen die Branche üblicherweise hantiert.
Viele Hersteller, wie Volvo, haben längst ihre Produktion umgestellt. Wer jetzt weiter auf Verzögerung setzt, riskiert, dass Europas Autoindustrie endgültig den Anschluss verliert.
Aufweichung der CO2-Flottengrenzwerte: Was wäre wirklich nötig?
Viel wichtiger als diese lobbygetriebene und undurchdachte Fehlentscheidung wäre, die Industrie beim Hochlauf der E-Mobilität endlich durch verlässliche Rahmenbedingungen konsequent z unterstützen. Faire Ladepreise – eventuell in Verbindung mit dem Durchleitungsmodell – wären ein wichtiger Schritt. Dazu müssen ländliche Räume durch Ladeinfrastruktur und perspektivisch zusätzliche autonome Angebote angebunden werden.
Generell braucht es ohnehin eine Verkehrspolitik, die die zentralen Trends berücksichtigt: In Großstädten geht heute schon der Trend weg vom eigenen Auto. Städte wie Paris und Frankfurt lassen immer weniger Fahrzeuge zu. Autonomes Fahren wird – so sagt es Professor Knie – sich innerhalb von zehn Jahren durchsetzen und den Kauf eigener Autos unattraktiv machen.
Autobauer, die sich dauerhaft auf den Verkauf luxuriöser Fahrzeuge verlassen, sind also trotz der Fehlentscheidung der EU zu den Flottengrenzwerten nicht zukunftsfähig. Die Fehlentscheidung der EU ist auch eine deutsche Fehlentscheidung – einen schlechteren Start könnte Verkehrsminister Patrick Schnieder gar nicht hinlegen. Das Debakel zeigt: Die Regierung Merz stellt Wirtschaftsinteressen einzig und allein in den Mittelpunkt und tritt Klimaschutz mit Füßen. Das geht zu Lasten unserer Gesundheit und der unserer Kinder. Und zu Lasten von Wirtschaftskraft und Wohlstand. Eine kurzsichtige Entscheidung, die fataler kaum sein könnte.
Wer bremst, verliert
Die heutige Entscheidung ist eine Kapitulation vor dem Status quo und vor den Lobbyinteressen der Industrie. Sie sendet das fatale Signal: Wer laut genug jammert, bekommt die Regeln nachträglich geändert. Bloss warnt: „Wer jetzt bremst, und den Verbrenner weiter fördert, fährt Europa ins Abseits.“ Der Wandel zur E-Mobilität ist keine Bedrohung, sondern die Überlebensversicherung der europäischen Industrie.
Die EU hat sich heute für den bequemeren, aber gefährlicheren Weg entschieden. Die Rechnung dafür werden Klima, Beschäftigte und die Innovationskraft Europas zahlen.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.